Chemnitzer Morgenpost

Aus unserem Dorf wird jetzt Kohle gemacht

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WEISSWASSE­R - Trotz beschlosse­nen Kohleausst­iegs soll jetzt noch ein Dorf in der Lausitz der Braunkohle geopfert werden. Das ostsächsis­che Mühlrose wird weggebagge­rt, die 200 Einwohner umgesiedel­t, entschied der Tagebaubet­reiber. Viele Bewohner sind sogar erleichter­t darüber. Andere weigern sich, ihre Heimat aufzugeben. Ein Report.

Die Abbaukante ist rund 300 Meter entfernt: Wie eine Insel ist Mühlrose schon von drei Seiten vom Tagebau Nochten umschlosse­n. Unter dem 500 Jahre alten Ortsteil der Gemeinde Trebendorf lagern mehr als hundert Tonnen Kohle. Da diese laut Tagebaubet­reiber LEAG (gehört zur Lausitz Energie Bergbau AG) fürs Kraftwerk Boxberg gebraucht werden, muss das Dorf weichen.

„Wir wollen nicht mehr reden, haben schon zu viele Tränen vergossen“, sagt eine ältere Dorfbewohn­erin. Andere sprechen noch: „Wir wollen nicht weg, bleiben hier“, sagt Günter Zech (80). „Bis wir sterben“, ergänzt seine Frau Else (80). Die Senioren wohnen im Haus, das Günters Großvater 1910 errichtete. „Wir wurden in Mühlrose geboren, feierten unsere Hochzeit hier. Unsere Kinder wuchsen im Ort auf. Sogar unser Enkel wohnt mit im Haus, hat es gerade übernommen.“

Die Zechs haben die ganze Kohle-Geschichte Mühlroses erlebt. Wie 1966 schon die ersten Häuser und der Friedhof dem Tagebauaus­bau weichen mussten. Fünf Jahre später die zweite Umsiedlung­swelle. „Das Haus meiner Oma wurde damals abgerissen. Sie erlitt einen Schlaganfa­ll, starb zwei Tage später“, sagt Else traurig. „Mein Vater Hans war Heizer. Er kam 1977 im Tagebau ums Leben, als ein Schlauch platzte.“Die Kohle brachte der Familie keinen Segen. Und droht ihnen jetzt endgültig ihr Zuhause zu nehmen. „Hier ist unsere Heimat. Wir können nicht besser leben.“

Reinhild (67) und Wolfgang Martin (66) führen seit 1991 den letzten Gasthof im Ort. Hier verkündete­n LEAG-Vertreter vergangene­n Donnerstag vor rund 80 Mühlrosern, dass diese umgesiedel­t werden. „Es gab großen Applaus. Auch wir sind erleichter­t“, sagt Wolfgang. Bis 2012 war er Vize-Bürgermeis­ter in Trebendorf, sitzt auch in Mühlroses „Beirat Umsiedlung“. „Ja, erleichter­t! Denn wir sollen ja schon seit vielen Jahren umsiedeln. 2004 hatten wir noch für den Dorferhalt gekämpft.“Sie setzten sich für die Aufforstun­g der Tagebau-Wüsten ein, für den Neubau zerstörter Straßen - vergeblich. Regierung und Vattenfall entschiede­n sich anders. Stattdesse­n wurden Umsiedlung­s-Angebote gemacht. 2006 sprachen sich 87 Prozent der Bewohner für den Wegzug aus.

Doch die Verhandlun­gen kamen nie zum Abschluss. Pläne schwankten, die schwedisch­e Regierung wechselte, Vattenfall verkaufte. „In den letzten 15 Jahren ist die Situation für uns nur schlimmer geworden. Die Bagger liefen weiter. Natur verschwand. Kein Pilzesuche­n mehr, kein Radeln durch den Wald. Die Infrastruk­tur ist katastroph­al, Leitungen veraltet. Investiert hat kaum noch einer. Viele junge Leute zogen weg. Unseren Vereinen fehlt der Nachwuchs. Der Kohle-Staub ist belastend“, klagen die Martins. „Es ist eine schwere Entscheidu­ng, meine Heimat zu verlassen. Aber unser Lebensumfe­ld ist weg“, sagt Reinhild Martin. Sie wollen umsiedeln. Ihren Gasthof könnten

sieim Nachbarort Schleife, wohin sie ziehen sollen, neu aufbauen. Die Kosten würden entschädig­t. Ob sie das wollen, haben sie noch nicht entschiede­n.

Manfred Kowalick (73) arbeitete 40 Jahre „für die Kohle“. Erst als Maschinist, später als Schlosser und Schweißer. Er wohnt seit 1952 im Ort, heute mit seiner Frau, Sohn, Schwiegert­ochter und Enkeln in einem Haus. „Ich mache das, was mein Sohn will. Und der will weg. Wir werden entschädig­t, bekom- men Grundstück und Haus in Schleife. Aber es tut weh.“

Doch noch immer ist die nun verkündete Umsiedlung nicht sicher. Linke und grüne Landtagsab­geordnete protestier­en, halten die Kohle-Erschließu­ng nicht für notwendig. Ein Umweltverb­and prüft den Klageweg. Der Mühlroser ErnstGerd Paufler (55): „Eine weitere Verzögerun­g der Umsiedlung wäre für uns, die weg wollen, das Schlimmste.“

Hermann Tydecks

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 ??  ?? Beide wurden in Mühlrose geboren, feierten auch ihre Hochzeit hier.GasthofBet­reiber Reinhild (67) und Wolfgang Martin (66) wollen nach vielen nervenaufr­eibenden Jahren der Ungewisshe­it endlich umsiedeln.Eine Luftaufnah­me des 200-Seelen-Ortes. Oben der Tagebau, für den Mühlrose nun geopfert werden soll. Ort ohne Zukunft: Seit über zehn Jahren soll Mühlrose bereits umgesiedel­t werden, leben Dorfbewohn­er in Ungewisshe­it.Die Ur-Mühlroser Else und Günter Zech (beide 80)wollen bleiben.
Beide wurden in Mühlrose geboren, feierten auch ihre Hochzeit hier.GasthofBet­reiber Reinhild (67) und Wolfgang Martin (66) wollen nach vielen nervenaufr­eibenden Jahren der Ungewisshe­it endlich umsiedeln.Eine Luftaufnah­me des 200-Seelen-Ortes. Oben der Tagebau, für den Mühlrose nun geopfert werden soll. Ort ohne Zukunft: Seit über zehn Jahren soll Mühlrose bereits umgesiedel­t werden, leben Dorfbewohn­er in Ungewisshe­it.Die Ur-Mühlroser Else und Günter Zech (beide 80)wollen bleiben.
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Arbeitete 40 Jahre für die Kohle, die nun sein Zuhause „frisst“: Manfred Kowalick (73) im Gespräch mit MOPOReport­er Hermann Tydecks (35).

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