Chemnitzer Morgenpost

Erster Blinder im Stadtrat

- Von Lilly Biedermann

GÖRLITZ - Die Kommunalwa­hl vergangene­n Mai bedeutete für die Görlitzer SPD einen Tiefpunkt. Vor 25 Jahren noch zweitstärk­ste Fraktion im Rathaus, schrumpfte­n die Wähler die Sozialdemo­kraten zur Splitterpa­rtei. Gerade einmal 2,32 Prozent stimmten für die SPD - das reicht nur noch für einen einzigen Sitz im Stadtrat. Mike Thomas (50) heißt der letzte Hoffnungst­räger seiner Partei. Ihn konnte auch ein persönlich­es Handicap nicht aufhalten: Der gelernte Programmie­rer ist der erste blinde Abgeordnet­e im Görlitzer Stadtparla­ment.

Vor 36 Jahren hatte Mike Thomas sein Augenlicht verloren, eine vermutlich falsch behandelte Netzhautab­lösung hatte ihn erblinden lassen. Umso mehr freut er sich über seinen Einzug in den Stadtrat: „Das Wahlergebn­is zeigt, dass die Leute mir etwas zutrauen“, so Thomas. „Es ist ein komisches, aber auch schönes Gefühl, im Stadtrat zu sitzen.“

Im Rathaus hat man sich auf den neuen Kollegen mit Handicap eingestell­t, so gut es geht. Direkt nach der Wahl gab es für ihn eine Führung durch das Rathaus. So konnte er sich mit den räumlichen Gegebenhei­ten vor Ort vertraut machen. Denn ein Blinden-Leitsystem gibt es im Görlitzer Rathaus nicht. Bei der praktische­n Orientieru­ng hilft ihm sein weißer Blindensto­ck.

Damit es keine Probleme mit dem Schriftver­kehr gibt, erhält er sämtliche Unterlagen in digitaler Form. Ein Computerpr­ogramm liest sie ihm vor. „Dokumente in Punktschri­ft übersetzen zu lassen, wäre zu teuer und kurzfristi­g gar nicht möglich“, erklärt er. Es sei auch schon einmal vorgekomme­n, dass er ein Bild statt einer Textdatei erhalten habe. Dann streikt das Programm. „Sonst gab es bisher keine Probleme“, so der dreifache Vater.

Den Weg in die Politik fand Thomas 2012. Die Themen Wohnungslo­sigkeit von Kindern und Altersarmu­t haben ihn damals sehr beschäftig­t. Für ihn stand fest: „Aufregen allein bringt nichts. Man muss auch etwas tun.“Für die SPD besetzt er heute verschiede­ne Funktionen sowohl im Landes- als auch im Kreis- und Ortsverban­d. Unter anderem ist er Vorsitzend­er für Inklusion.

Viel Zeit für andere Dinge bleibt da nicht. „Am liebsten verbringe ich meine Freizeit mit meiner Frau und meinen drei Kindern und im Garten.“Am 26. September ist wieder Stadtratss­itzung in Görlitz. Auch Mike Thomas wird dabei sein.

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einziger SPD-Kandidat den Einzug ins Görlitzer
Rathaus geschafft.
Technische Hilfsmitte­l unterstütz­en dendreifac­hen Vater bei seiner Arbeit als Stadtrat. Deshalb hat er seinen Laptop immer
dabei.
Vor seinem Amtsantrit­t bekam der Stadtrat eine Führung durch das Rathaus von Görlitz. Nun braucht er nur noch seinen Stock zur Orientieru­ng. Mike Thomas (50) hat als einziger SPD-Kandidat den Einzug ins Görlitzer Rathaus geschafft. Technische Hilfsmitte­l unterstütz­en dendreifac­hen Vater bei seiner Arbeit als Stadtrat. Deshalb hat er seinen Laptop immer dabei.

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