Chemnitzer Morgenpost

„Wir rennen sehenden Auges in unser Verderben“

Frank Goldammers Bestseller als MOPO-Fortsetzun­gsroman - 6. Teil

- Von Frank Goldammer

Dresden im November 1944, der Krieg ist in der Schlusspha­se, mit allem Grauen, das noch folgt. Kriminalin­spektor Max Heller hat einen schwierige­n Job. Er jagt einen Frauenmörd­er, den Angstmann.

Was bisher geschah: Zwei Jungen haben die gefesselte Leiche einer ermordeten Frau gefunden. Hellers Chef, SS-Obersturmb­annführer Rudolf Klepp, will den Fall schnell zum Abschluss bringen. Er glaubt an einen Zufallsmör­der. Heller ist anderer Ansicht. Er und sein Kollege Oldenbusch finden heraus, dass die Tote als Krankensch­wester gearbeitet hat. Bei einem Besuch im Krankenhau­s erfährt Heller vom Klinikleit­er Dr. Alfred Schorrer den Namen der Toten: Klara Bellmann. Die Krankensch­wester Rita Stein verrät dem Inspektor, dass Klara Bellmann drei Monate zuvor von Berlin nach Dresden kam und zuletzt in der Jägerstraß­e wohnte.

„Ein Rad gefunden.“

„War es also ein Raub?“„Ich bin mir ziemlich sicher, der Täter hatte es nicht auf das Rad abgesehen. Warum kam sie aus Berlin?“

„Sie war ausgebombt worden, hat dort alles verloren. Ihr gesamtes Hab und Gut, selbst das Krankenhau­s, in dem sie angestellt war, wurde zerstört. Weil sie hier Verwandte hatte, kam sie her.“

Nun stutzte Heller. „Warum kam sie dann erst im Schwestern­heim unter?“

„Ich kann da nur eine Vermutung anstellen.“Rita Stein zog sich ein wenig zurück, so als wäre ihr wieder bewusst geworden, mit wem sie sprach.

„Wollen Sie mich daran teilhaben lassen?“, ermunterte Heller sie.

„Sie war mit einem rassisch nicht einwandfre­ien Mann verheirate­t, hatte sich achtunddre­ißig scheiden lassen. Ihre Verwandten wollten sichergehe­n, ob dies auch stimmte, deshalb hatte sie in Berlin neue Scheidungs­unterlagen angeforder­t, da all ihre Papiere bei dem Bombenangr­iff verloren gegangen waren.“Schwester Rita schloss den Mund schnell, als fürchtete sie, Heller könnte aus ihrer Art, darüber zu sprechen, falsche Schlüsse ziehen.

„Wie kam es zu Ihrer Freundscha­ft?“

„Ist das wichtig? Wie es eben so kommt, man entdeckt Gemeinsamk­eiten. Teilt dieselben Sorgen.“

Heller klappte sein Buch zu, steckte es mitsamt dem Stift in die Manteltasc­he.

„Vielen Dank. Ich werde Familie Schurig später aufsuchen. Zuerst muss ich noch einmal zu Schorrer.“

„Doktor Schorrer? Ich muss auch zu ihm. Offenbar hat er von mir gehört und würde mich gerne in einer seiner Abteilunge­n beschäftig­en.“

„Das ist ein Kompliment an Ihre Arbeit.“

„Ich weiß nicht, ich kenne ihn nicht sehr gut“, erwiderte

haben

wir

nicht

Schwester Rita schroff. Dann ließ sie Heller stehen und steuerte mit schnellem Schritt au das Treppenhau­s zu.

Heller folgte ihr mit einigem Abstand die Treppen hinunte und schloss erst vor dem Haus wieder zu ihr auf. Schweigend passierten sie die verschiede­nen Gebäude auf dem Weg zu Schorrers Klinik.

Plötzlich blieb Heller stehen und sagte laut: „Es war Ihr Rad!“

Rita Stein blieb nicht stehen, doch sie verzögerte ihren Schritt unmerklich. Erst an de Eingangstü­r machte sie halt.

„Mein Mann ist Oberfeldwe­bel. Artillerie. In Afrika. Sei fast zwei Jahren habe ich keine Nachricht von ihm. Er gilt als vermisst.“

„Das muss nichts heißen“erwiderte Heller und versuchte aber gar nicht erst, aufmuntern­d zu lächeln.

Rita sah ihm fest in die Augen. „Ich mache mir da nichts vor“, sagte sie knapp und setzte ihren Weg fort.

Doktor Schorrers Verhalten machte Heller deutlich, was er von dieser Verschwend­ung seiner Zeit hielt. Trotzdem hatte Heller darauf bestanden Klara Bellmann noch einma zu sehen.

Sie lag auf dem Seziertisc­h die Augen geschlosse­n. Ih Kopf war unversehrt, doch vom

Hals abwärts war der Körper mit tiefen Schnittwun­den übersät. Das weiße Licht der Lampen entblößte jedes schrecklic­he Detail. Ein süßlicher Geruch stieg ihm in die Nase.

„Er hat sich nicht an ihr vergangen?“Heller zwang sich, alles zu betrachten, das kleinste Detail konnte von Bedeutung sein, selbst ein abgebroche­ner Fingernage­l.

Schorrer stand mit auf dem Rücken verschränk­ten Händen da. „Ich bin zwar kein Gerichtsme­diziner, doch ich meine mit ziemlicher Sicherheit zu wissen, dass dies nicht geschehen ist “ meine Anwesenhei­t ist hier län ger vonnöten?“

„Es geht dem Täter wohl darum, das Opfer leiden zu lassen. Er weidet sich an ihren Schmerzen, ihrer Angst. Ob dies eine gezielte Tat gegen Klara Bellmann war, dass der Täter seine Wut speziell an ihr ausließ?“

Schorrer steckte seine Hände in die Seitentasc­hen seines Kittels. „Ich bin kein Psychologe. Ich bin Arzt, ich versuche Kranke zu heilen und Verwundete zusammenzu­flicken. Nichts anderes habe ich jahrelang an der Front getan. Ich frage schon lange nicht mehr nach dem

Grund Und le offene Körper gesehen, dass ich mir erlauben darf zu sagen, ich konnte keinen Unterschie­d erkennen zwischen einem arischen Körper, einem russischen und einem jüdischen. Ich denke nicht länger als ein paar Tage voraus, und mir fehlt es an allem. Bald wird nicht mehr nur Mangel herrschen, bald wird nichts mehr da sein. Wir rennen sehenden Auges in unser Verderben. Diese Tote hier ist für mich eine unter vielen, ihr Mörder ebenso!“

„Aber Sie verstehen, was ich hier tue?“, fragte Heller leise und bestimmt.

Schorrer nickte

Selbst

 ??  ?? Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs.
Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller,
der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders
aussehen wird.
Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.

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