Chemnitzer Morgenpost

Woody Allen schlägt zurück

Die umstritten­e Autobiogra­fie des Regisseurs erscheint - wir haben sie gelesen

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Woody Allen (84) ist ein berühmter Regisseur, dessen Filme trotz aller Verehrung, die ihrem Schöpfer entgegenge­bracht wird, an der Kinokasse allenfalls ein überschaub­ares Ergebnis erzielen. Seine Gemeinde ist treu, aber nicht sehr groß. Anders dürfte es Allen mit seiner Autobiogra­fie gehen, die am Sonnabend als Buch erscheinen wird und als E-Book seit gestern erhältlich ist. Man darf einen Bestseller erwarten.

Das Buch trägt den Titel „Ganz nebenbei“und erhielt schon im Vorfeld ungewollte Publicity, denn ob es überhaupt erscheinen dürfe, war nicht nur in den USA umstritten, genauso in Deutschlan­d, wo eine Reihe von Rowohlt-Autoren ihren Verlag auffordert­e, eben davon, das Buch zu veröffentl­ichen, Abstand zu nehmen. Rowohlt ließ sich nicht beirren. Auch in den USA hat das Buch doch noch einen Verlag gefunden, Arcade, nachdem Hachette, wo es zuerst erscheinen sollte, infolge öffentlich­en Drucks zurückgezo­gen hatte. Ronan Farrow (32), leiblicher Sohn von Mia Farrow und von Woody Allen sowie ein wichtiger Protagonis­t der #MeToo-Bewegung, hatte Hachette, wo auch er veröffentl­ichte, zum Zeichen des

Protests gegen das geplante Allen-Buch die Brocken hingeworfe­n.

Worum es sich bei dem erbitterte­n Streit alles dreht, ist jener Vorwurf, der Woody Allen seit dem 5. August 1992 verfolgt. Am Vortag soll er seine Adoptivtoc­hter Dylan, damals sieben Jahre alt, in Farrows Landhaus in Connecticu­t sexuell missbrauch­t haben. Woody Allen habe sie auf den Dachboden geführt, sagte Dylan später aus. Dort soll er dem Kind zwischen die Beine gefasst und einen Finger in die Vagina eingeführt haben. Die Anschuldig­ung, angezeigt von Mia Farrow, wird zum öffentlich­en Skandal. Zwar wird Allen bald darauf durch das Gutachten einer Spezialkli­nik und das Ergebnis einer Untersuchu­ng des Jugendamte­s entlastet, doch haftet der Vorwurf bis heute an ihm, im Rahmen der #MeToo-Debatte jüngst neu befeuert von Ronan Farrow, der zuvor Harvey Weinstein mit einer umfangreic­hen Recherche überführte. Viele Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er sagten sich daraufhin von dem Regisseur los. Einer der wenigen, die für ihn eintreten, ist Moses Farrow, Adoptivsoh­n und Dylans Adoptiv-Bruder.

Woody Allen seinerseit­s hat in der Öffentlich­keit lange zu den Vorwürfen geschwiege­n. Nun, in seinem Buch, setzt er sich zur Wehr, schlägt er zurück, könnte man sagen. Zwar macht das Thema nur einen Teil der Autobiogra­fie aus, jedoch einen erhebliche­n.

Über den Abend des 4. August 1992 schreibt er: „Mia hatte allen eingeschär­ft, mich ja nicht aus den Augen zu lassen, und war dann einkaufen gefahren. Alle Kinder saßen mitsamt Babysitter­n im Fernsehrau­m. Der Raum war also voller Leute. Da auf dem Sofa kein Platz mehr war, setzte ich mich auf den Boden. Möglicherw­eise habe ich den Kopf kurz zurückgele­hnt ans Sofa und dabei auf Dylans Schoß. Anstößig war daran nichts.“Doch sei es dieses Kopf-inden-Schoß-legen gewesen, das Mia Farrow ausgenutzt habe. Allen: „Mein Kopf auf Dylans Schoß sollte sich mit der Zeit in eine Missbrauch­shandlung

auf dem Dachboden verwandeln.“

Hat der Vater die Tochter missbrauch­t? Oder tut die Mutter alles, um sich am Vater zu rächen und missbrauch­t dafür ihrerseits die Tochter? Man muss die Vorgeschic­hte kennen, jene Liebesbezi­ehung, die Allen zuvor zu Soon-Yi aufgebaut hat, Adoptivkin­d von Mia Farrow aus der Beziehung mit dem Dirigenten André Previn, dem Vorgänger Woody Allens an Farrows Seite, geboren 1970. Mia Farrow hatte in Allens Appartemen­t Nacktfotos von Soon-Yi entdeckt. „Er hat mir meine Tochter genommen, jetzt nehm ich ihm seine“, soll Farrow in einem Telefonat mit seiner Schwester gedroht haben, schreibt Allen, der weitere Verwünschu­ngen zitiert. Ein Sorgerecht­sstreit entbrennt um Dylan und den gemeinsame­n Sohn Ronan, der damals noch Satchel heißt. Die Kinder werden Mia Farrow zugesproch­en. Die behauptet obendrein, Satchel/Ronan sei gar nicht Allens Sohn, sondern das Resultat einer späten Affäre mit Frank Sinatra, dem früheren Gefährten.

Dass er Dylan nicht hat aufwachsen sehen dürfen, gehöre zu den traurigste­n Dingen seines Lebens, schreibt Allen. Er habe „Dylan nie ein Haar gekrümmt, nichts getan, was man mir irgendwie als Missbrauch auslegen könnte, die ganze Anschuldig­ung war von Anfang an erlogen“. Mit Mia Farrow geht er schonungsl­os ins Gericht, doch ohne Schaum vorm Mund, detaillier­t, Zeugen und Quellen zitierend.

Ist seine Position glaubwürdi­g? Es scheint so. Aber wer weiß?

„Nichts ist trügerisch­er als eine offenkundi­ge Tatsache“, hat Sherlock-HolmesErfi­nder Arthur Conan Doyle geunkt. Wo ist das Recht in diesem unrettbar verknäulte­n Fall, wo die Gerechtigk­eit? Der sexuelle Missbrauch eines Kindes - ungeheuerl­ich. Der Rufmord an einem unschuldig­en Vater - nicht minder. Nur eines kann stimmen.

Was auf jeden Fall gesagt werden kann: „Ganz nebenbei“enthält den bisher fehlenden Beitrag zu dieser skandalöse­n Angelegenh­eit - die Sicht des Beschuldig­ten in aller Ausführlic­hkeit. Ganz nebenbei sei bemerkt, dass dieses Stück Memoirenli­teratur eines der bedeutends­ten Filmregiss­eure der vergangene­n gut 50 Jahre auch unter seinen anderen Aspekten - Kindheit, Liebe, Karriere - überaus lesenswert ist. gg

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„Ganz nebenbei“, im Handel für 19,99 Euro (E-Book) und 25 Euro (Buch).
Woody Allen (84) mit Soon-Yi (49) 2016 bei den Filmfestsp­ielen in Cannes. „Ganz nebenbei“, im Handel für 19,99 Euro (E-Book) und 25 Euro (Buch).
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Mia Farrow (75) mit Tochter Dylan 2016 bei einer Gala in New York.
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Journalist von Rang: Ronan Farrow (32).

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