Künstler in der Krise
DRESDEN - In einer Bilderserie taucht das Coronavirus auf Klopapier auf. Oskar Staudinger hat ihn wie eine Heiligenikone mit schwarzer Tuschefeder auf hellem Grund gezeichnet. Eine Parodie auf die Leute, die gerade wie verrückt Klopapier bunkern. Seine Klopapier-Bilder kann man in limitierter Auflage im Passpartout auch kaufen. „Besondere Maßnahmen erfordern besondere Kunst“, sagt der 30-jährige Künstler.
Staudinger erwarb 2018 sein Diplom an der Dresdner Kunsthochschule. Humor ist die beste Medizin, lautet sein Motto. Durch den Ausbruch des Coronavirus wurde er zu Bildern inspiriert, die sich mit dem Thema Pandemie befassen. Den „freiwilligen Hausarrest“verbringt er in seinem 40 Quadratmeter großen Wohnatelier auf der Lilienthalstraße in Dresden. Den Raum nutzt er ohnehin 24 Stunden, sodass er den Unterschied zu vorher kaum merkt. Er ist hauptsächlich Grafiker und Auftragsporträtist. „Im Moment habe ich einige Aufträge fertigzustellen, darunter eine Buchillustrationsgeschichte und ein Gemälde vom Blauen Wunder“, sagt Staudinger. Er könne noch einen Monat seine Miete zahlen. Sollte das mit der Quarantäne länger anhalten, würde es eng. Wenn er und seine Kunst zu Hause bleiben müssen, kann er seine Bilder kaum verkaufen. „Ich bin auf jeden Cent angewiesen und ernähre mich die nächste Zeit nur noch von Haferflocken.“
Ähnlich wie ihm ergeht es vielen Künstlern, deren Existenzgrundlage wegzubrechen droht wegen der einschneidenden Maßnahmen, die eine Weiterverbreitung des Coronavirus eindämmen sollen. Theater, Clubs und Galerien bleiben geschlossen.
„Wichtig für Künstler ist, dass man zu Vernissagen geht, Kontakte knüpft, erhält und sich austauscht. Das fällt jetzt alles weg“, sagt die Malerin Helena Zubler. Sie war im Gespräch mit Galerien, doch nun sei alles offen. Außerdem hatte sie bereits eine Jobzusage in einem Museum, das nun geschlossen ist. Viele Künstler haben zwei bis drei Nebenjobs, auch Kurse und Stipendien sind abgesagt. Helena Zubler wollte im April als Dozentin einen Zeichenkurs im Kulturforum „riesa efau“beginnen. Während ihre Bilder im Atelier trocknen, geht sie in den Garten und findet dort neue Energie: „Man kann wieder anfangen, Briefe zu schreiben, öfter anrufen und für andere da sein, einkaufen für ältere Menschen und die Lebensmittel vor die Wohnungstür stellen.“Es werde weiterhin Kunst produziert, sagt Helena Zubler: „Aber die Wege und die Vermittlung zwischen Künstler und Umwelt werden derzeit massiv umgekrempelt.“
Betroffen sind auch darstellende Künstler. Als Beispiel dienen kann der Travestiekünstler „Miss Chantal“, der mit Charme, Herz und Gefühl in seinen Shows in Dresden und Leipzig das Publikum bezirzt und oft im Boulevardtheater zu Gast ist. Die Auftritte dort fallen nun aus, außerdem Großveranstaltungen und zwei Kreuzfahrtschiffsreisen mit der Aida, wo er im März und April auftreten sollte. „Dadurch habe ich zu hundert Prozent
Verdienstausfälle. Zwei Monate schaffe ich durchzuhalten.“Dann kommt die Angst, wie es weitergehen soll. „Ich muss Kostüme kaufen, Krankenversicherung und Lebensunterhalt finanzieren“, rechnet der Künstler vor. Da blieben ihm keine Rücklagen. Doch will er aktiv bleiben: „Mit ein paar Kollegen wollen wir ein Livestreaming im Netz machen, wo wir eine Stunde singen, plaudern und interaktiv mit den Zuschauern sind.“
Inzwischen gestartet ist eine Initiative von Bündnis 90/Die Grünen und „Wir gestalten Dresden - der Verband der Kreativwirtschaft in Dresden“. Vergangenen
Mittwoch legte die Initiative dem Wirtschaftsausschuss der Stadt eine Maßnahmenliste für Soforthilfen zur Unterstützung von Kultur- und Kreativschaffenden vor. „Doch dort war keiner nicht mal fünf Minuten bereit, sich mit dem Thema zu befassen“, sagt Grünen-Stadtrat Torsten Schulze. Der Kulturrat hatte bereits letzte Woche ein Notfallpaket von Bund und Ländern für Kulturschaffende gefordert. Die Frage, was die Stadt tun kann für die Dresdner Kulturszene in der Corona-Krise, soll auf der heutigen Stadtratssitzung wieder auf die Tagesordnung.
Lilli Vostry