Henny Brenner lebt nicht mehr
DRESDEN/WEIDEN - „Den Bomben, die in jener denkwürdigen Nacht vom 13. auf den 14. Februar die Stadt Dresden dem Erdboden gleichmachten, verdanke ich mein Leben.“
Was für ein Satz.
Ein Buch beginnt so, geschrieben von Henry Brenner, „Das Lied ist aus“. Der Untertitel verrät präziser den Charakter des Buches. Er lautet: „Ein jüdisches Schicksal in Dresden“. Henny Brenner aus Dresden war eine Überlebende des Bombenangriffs und, mehr noch, des deutschen Völkermords an den Juden. Nun ist sie 95-jährig gestorben.
Das Buch erschien Anfang der 2000er-Jahre. Es brachte die Autorin, die in Bayern ein neues Zuhause gefunden hatte, ihrer Heimatstadt wieder näher, denn von da an reiste sie häufig nach Dresden, um etwa in Schulen aus dem Buch zu lesen und mit Schülern über das Erlebte zu sprechen. Henny Brenner berichtet von einem Schicksal, wie es stellvertretend steht für viele jüdische Leben zu jener Zeit, und doch ist diese Geschichte ganz und gar die ihre und und die ihrer Familie.
Henry Brenner, damals Henny Wolf, war Augenzeugin und Leidtragende der Judenverfolgung, der in Dresden Tausende zum Opfer fielen. Geboren 1924 als Tochter einer jüdischen Mutter, deren Familie Anfang der 1890er-Jahre aus Russland nach Dresden gekommen war, und eines nichtjüdischen Vaters, lebte sie nach 1933, wie der jüdische Romanist Victor Klemperer, in einem Sonderstatus. So wie Klemperer, der jene Zeit in seinen Tagebüchern festhielt, durch seine nichtjüdische Ehefrau Eva vor der Deportation geschützt war, bewahrte die nichtjüdische Herkunft des Vaters Mutter und Tochter Wolf auf fragile Weise davor, „vogelfrei“zu sein.
Doch lebten die Wolfs den Alltag von
Ausgestoßenen. Vater Wolf hatte viele Jahre lang ein Kino geführt, das „Palast-Theater“in der Alaunstraße. Da er sich dem Ansinnen der Nazis, sich von seiner jüdischen Familie zu trennen, verweigerte, wurde er zur Aufgabe des Kinos gezwungen. Einige Jahre lebte die Familie in einer kleinen Villa in der Deutschen-Kaiser-Allee, der heutigen Mendelssohnallee. Sie durfte dort nicht bleiben. Detailliert berichtet die Tochter in ihrem Buch von den alltäglichen Demütigungen, denen e Familie ausgesetzt war - wie e von nichtjüdischen Nachbarn emieden wurde, Bekannte die traßenseite wechselten, sobald ne Begegnung droh, sie auf der Straße eschimpft und bepuckt, von den Beörden schikaniert nd sozial isoliert wuren, wie in der Reichpogromnacht des 9. November 1938 agd auf Juden gerde und die Synagoge verbrannte, wie der Judenstern sie brandmarkte - und von der täglichen Angst, deportiert zu werden. Henny Brenner berichtet von Schulverbot und Zwangsarbeit, wo sie im Übrigen auch Victor Klemperer begegnete.
Dann, im Februar 1945, wurde Mutter und Tochter Wolf tatsächlich die Deportation angekündigt. Am 13. Februar ging die schriftliche Anordnung ein, beide hätten sich am 16. Februar für einen Arbeitseinsatz außerhalb Dresdens in der Zeughausstraße einzufinden. Jeder habe gewusst, was das bedeutete, heißt es im Buch. „Nur ein Bombenangriff kann uns retten“, habe der Vater das Schicksal beschworen, erinnert sich die Tochter. Noch am selben Tag wurde die Stadt in Schutt und Asche gelegt. Wie so viele Dresdner irrten die Wolfs durch den Feuersturm. Die Judensterne auf ihren Kleidern hatten sie abgerissen. Schließlich fanden sie Unterschlupf in einem verlassenen Haus in Blasewitz, wo sie bis Kriegsende in ständiger Angst, entdeckt zu werden, ausharrten.
Trotz allen Schreckens wollte die Familie nach dem Krieg in Dresden bleiben. Doch erlebten die verbliebenen Juden auch unter russischer Besatzung und später in der DDR Demütigung und Zurückweisung. So übersiedelten die Wolfs 1953 nach West-Berlin. Im selben Jahr heiratete Henny Wolf und fand im oberpfälzischen Weiden eine neue Heimat. Sie brachte zwei Söhne zur Welt. Vater Wolf starb 1956, die Mutter 1980, ausgerechnet am 13. Februar. Im Jahr darauf reiste Tochter Henny, die nun Brenner hieß, erstmals wieder nach Dresden. Viele solcher Reisen folgten. „Trotzdem begleiten mich jedesmal gemischte Gefühle, wenn ich ‚nach Hause‘ fahre, im Garten meiner Kindheit spazieren gehe und die alten Bäume sehe, auf die ich als Kind geklettert bin“, heißt es im Buch. „Ich freue mich, dass ich dies noch erleben darf, und doch weiß ich genau: Die Menschen, aus denen ‚mein Dresden‘ bestand, sind nicht zurückgekehrt.“
Ein langes Leben ist vorbei. Ein Leben, das nach der mörderischen Lesart der Nazis wertlos und deshalb der Vernichtung preisgegeben war. So kann vielleicht jedes der vielen Lebensjahre der Henny Brenner, geborene Wolf, als Ausdruck des nachhaltigen Triumphes über die Nazis und ihren Irrsinn aufgefasst werden. Geschwächt durch das hohe Alter, verstarb sie in der Nacht zum 18. Mai an den Folgen einer Lungenentzündung. Es heißt, sie habe nicht gelitten. gg