Jäger der verlorenen Kunst
Von Dresden nach Magdeburg, das sind zweieinhalb Stunden mit der Bahn, zurück das Gleiche. Gilbert Lupfer (64), Kunsthistoriker mit Wohnsitz Dresden, fährt diese Strecke seit Jahren mindestens einmal und seit vorvergangenem Freitag mehrmals wöchentlich.
Der in Stuttgart geborene Kunstprofessor an der TU und Mitarbeiter der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) seit 2002 ist seitdem neuer Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, einer von Bund, Ländern und Verbänden vor fünf Jahren gegründeten Stiftung in Magdeburg. Seit 2017 arbeitete Lupfer für das Zentrum als wissenschaftlicher Vorstand und bestimmte seine inhaltlichen Geschicke mit, doch war seine Funktion eher beratend und vor allem: ehrenamtlich. Nun ist er als hauptamtlicher Vorstand alleiniger Chef, zuständig für Verwaltung und Inhalt. „Ich bin für die Linie des Zentrums verantwortlich und muss jetzt auch Rechnungen oder Dienstreiseanträge unterschreiben“, erklärt er.
Gründungszweck des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste war vor fünf Jahren die Förderung der Suche nach Raubkunst aus der Nazizeit 1933 bis 1945. Im Mittelpunkt besonders jene Werke, die die Nazis bei jüdischen Eigentümern beschlagnahmten oder ihnen abnötigten. Oftmals gingen solche Werke direkt oder auf Umwegen in den Bestand von Museen ein. Die Suche nach ihnen und den Nachweis ihrer Herkunft zu führen, etwa im Zuge von Restitutionsforderungen, gestaltet sich oft schwierig, weil die Quellenlage unzureichend und selten eindeutig ist. Die SKD riefen aus diesem Grund 2008 das Provenienzforschungsprojekt Daphne ins Leben, ein Musterformat, mit dessen Hilfe der gesamte Museumsbestand, bei Schwergewicht auf die Jahre ab 1933, erfasst wird und die Herkunftswege aufgeklärt werden. Daphne-Chef von Beginn
an war Lupfer, der sich damit international an die Spitze eines neuen Berufsfeldes setzte und bald schon als weltweit gefragter Provenienz-Experte galt. Dass so einer das Magdeburger Zentrum anführt, ist naheliegend, möchte man sagen.
Die Aufgaben des Zentrums haben sich mit der Zeit erweitert. So bezieht sich die Arbeit nicht mehr ausschließlich auf die Nazizeit, aufgearbeitet werden weitere Themenfelder, darunter die koloniale Vergangenheit Deutschlands, also die Aneignung von Kunstgegenständen aus dem Süden Afrikas, und die DDR-Zeit. „Was die DDR angeht, betreiben wir Grundlagenforschung“, so Lupfer. Eigentumsverluste seien etwa bei sogenannter Republikflucht oder auch genehmigten Ausreisen entstanden, „wenn die Betreffenden ihr Hab und Gut in der DDR zurücklassen mussten . Die Aufgabe ist, Herkunft und Eigentumsverhältnisse solcher Kunstwerke in musealem Bestand zu entschlüsseln. Am Ende einer solchen Recherche könnte analog der Provenienzforschung über die Nazizeit die Rückgabe von Kunstwerken an die Alteigentümer stehen.
Neben dem Magdeburger Zentrum bleiben die SKD Lupfers Betätigungsfeld, zumindest bis ins kommende Jahr. „Ich erreiche dann in Dresden die Pensionsgrenze“, sagt er. Ohnehin läuft das Daphne-Projekt Ende 2021 aus. „Wir werden dann alle Objekte ab 1933 durchleuchtet haben“, sagt er. Ob auch alle Provenienzen lückenlos aufgeklärt sein werden, sei eine andere Frage. Da bleibe sicher Forschungsbedarf. Gleiches gilt für die Kolonial- und die DDR-Recherchen. Lupfer: „In beiden Themenfeldern sind wir erst am Anfang“.