Chemnitzer Morgenpost

Biedenkopf erinnert sich

Mit einem Anruf begann vor 30 Jahren das Sachsen-Abenteuer

- Von Torsten Hilscher

Dreißig Jahre Sachsen“- das sind Jahrzehnte des Aufbaus und der Gestaltung, nicht selten verbunden mit Irrtümern, Intrigen und Skandalen, auch und gerade in der Politik. Eine Woche lang präsentier­t die MOPO täglich einen wichtigen Namen der Anfangsjah­re. Heute: Kurt Biedenkopf.

Langsam tippeln sie über den Dresdner Neumarkt: Ingrid (89) und Kurt Biedenkopf (90). Sie stützen sich einander. 40 Jahre Ehe haben sie privat zu einer Einheit verschmolz­en. Das einst mächtigste Paar im politische­n Sachsen lebt nach einer Wohn-Odyssee und dem Verkauf des Hauses am Chiemsee 2018 nun in Sichtweite der Frauenkirc­he. Der nächste Umzug ist bereits geplant, das neue Kanzlei-Büro frisch eingericht­et. Bis dahin geht es täglich ins Restaurant „edelweiss“am Neumarkt, wo heute die MOPO mit am Tisch sitzt.

Das Sachsen-Abenteuer begann für das Paar vor 30 Jahren mit einem Anruf am 25. August. „Nachts halb eins. Lothar Späth war am Apparat“, erinnern sich beide. „Die CDU-Leute hier waren verzweifel­t, dass sie niemanden finden, den sie rufen können“, erzählt er. Sie ergänzt: „Nach einer stillen halben Stunde war die Sache entschiede­n.“

Am 27. August wird Biedenkopf als Spitzenkan­didat der sächsische­n CDU präsentier­t. Biko selbst kommt das Ganze „sehr unwirklich“vor, wie er in seinen-vom Freistaat mitfinanzi­erten Tagebuch veröffentl­ichungen von 2015 schreibt. „Wir sind beide gekommen, um zu helfen.“- In Sachen Demokratie-erlernen und Wiederaufb­au. „Man kann die Menschen ist Ostdeutsch­land nicht alleine lassen, sagten wir uns.“

Es folgen Erdrutsch-Wahlsiege. Gewohnt wird in einer Minister-WG in einem ehemaligen Stasi-Gästehaus. Ingrid bekocht alle. Der bisherigen Wirtschaft­erin besorgt sie eine Stelle in einem Kaufhaus. Sachsen wird zum Musterland im Osten. Der Name „König Kurt“entsteht, noch heute grüßen die Leute.

Die CDU ist eine Macht im Land. Und es gibt eine Schattenma­cht: Das „Büro Ingrid Biedenkopf“provoziert Kritik. „Aber von den Menschen, die Hilfe suchten, bestimmt nicht“, verteidigt sie sich heute. Und er weist darauf hin, dass unter anderem die Wiedergebu­rt des Radon-Heilbades in Schlema ihrem Einsatz zu verdanken ist. Es folgt das Beispiel einer alleinerzi­ehenden Mutter, der Ingrid unbürokrat­isch half. Im Übrigen habe der Landtag dem Büro Personal genehmigt. Kritikern entgegnet er: „Wenn Hunderten geholfen wird, dann lasst mal lieber die Finger weg.“Tatsächlic­h wandten sich über Jahre unzählige Bürger in der Tradition der Eingabe an sie, um Missstände abzustelle­n oder um dies oder jenes zu beschleuni­gen. Sie winkt bescheiden ab: „Weißt Du Kurt-Hans, ich kann mich ganz gut durchsetze­n. Vielleicht hätte ich bezahlt werden können, aber ich wollte es nicht.“

Einen Nachhall haben auch IKEA-Affäre (Er empört: „Das war alles anders, es gab Zeugen.“) und Mietaffäre (Sie empört: „Da sind wir rausgesetz­t worden.“). Bei IKEA ging es ums Rabattfeil­schen, beim Thema Staats-Wohnsitz um gesparte Miete.

Ungefragt fällt der Name Georg Milbradt. Biedenkopf hat die vorgeblich­en Intrigen seines Nachfolger­s 2002 nicht vergessen. Keine Erwähnung findet der Rauswurf Milbradts vorher, im Januar 2001. Was Biko über ihn sagt, ist unfein und soll auch nicht geschriebe­n werden. „Streichen Sie das“, weist Ingrid an.

Ganz am Ende der Erinnerung­sstunde wird es sehr privat: „Er hatte vor etwa fünf Jahren diese Sepsis“, beginnt sie und er vollendet: „ ... die ich ohne Dich nicht überlebt hätte“. Dann schildert er, der damalige Koma-Patient, die Macht ihrer Anwesenhei­t am Krankenbet­t. Kosenamen werden ausgetausc­ht. Im Januar wird Biko 91 Jahre alt.

E Morgen: Der linke Biko-Jäger Karl Nolle (75, SPD).

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Noch immer ist der Ministerpr­äsident a.D. gern auf Veranstalt­ungen gesehen.
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Es geht nur miteinande­r. Ingrid (89) und Kurt Biedenkopf (90) in Dresden.
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Ziemlich beste Feinde: Biko und Georg Milbradt (heute 73, CDU)

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