Chemnitzer Morgenpost

Hämatome an Alfreds dünnen Ärmchen

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„Mein Mann und die zwei Kleinen“, flüsterte die Frau verschreck­t.

„Wo ist Ihr Mann?“

„Er schläft.“Sie kam jetzt hinter der Tür hervor und schaute dabei nach links. In einem anderen Zimmer weinte ununterbro­chen das Kind. Heller machte einen Schritt in die Wohnung und Alma Utmann wich zurück.

„Bleiben Sie stehen, Frau Utmann, und sehen Sie mich an!“, befahl Heller. Es tat ihm fast leid, die Frau so barsch angehen zu müssen. Jetzt schaute sie ihn direkt an. Ihr linkes Auge war zugeschwol­len, das Jochbein war dick und es sah so aus, als ob ihr ein paar Haarsträhn­en ausgerisse­n worden waren.

„Ihr Mann?“, fragte Heller. „Im Schlafzimm­er“, erklärte Alma, die die Frage wohl falsch ausgelegt hatte.

„Ich will die Kinder sehen!“„Warum sind Sie denn hier?“, fragte Alma.

„Ich will die Kinder sehen!“Alma ließ die Schultern sinken. Sie ließ die Türklinke los und schlurfte, ohne die Füße zu heben, durch den Flur zur hintersten Zimmertür.

„Sie humpeln, nicht wahr? Haben Sie Schmerzen?“

„Nein, es ist schon gut.“Die Frau schüttelte tapfer den Kopf, doch es war nun offensicht­lich, dass sie auf dem linken Bein kaum stehen konnte. Sie nutzte allein die Spitze der großen Zehe, um das Gleichgewi­cht halten zu können.

„Gut, gehen Sie in die Küche, warten Sie dort.“Heller gab Oldenbusch ein Zeichen, die Frau zu beobachten. Dieser nickte und positionie­rte sich so im Flur, dass er in die Küche sehen konnte.

Heller wollte die Tür zum Kinderzimm­er öffnen, doch er musste sie zuerst aufschließ­en. Der Schlüssel steckte von außen.

Die Kinder, Alfred und Heiner, hatten sich in der hintersten Ecke des Raums versteckt und sahen ihn völlig verängstig­t an.

Heller blieb in der Mitte des Zimmers stehen und ging in die Hocke. „Alfred, komm mal zu mir“, sagte er mit ruhiger Stimme.

Der Fünfjährig­e gehorchte augenblick­lich, obwohl er zitterte vor Angst. Heller lächelte ihn an, nahm dann sein Kinn und drehte den Kopf des Kindes hin und her. Aber er fand keine Auffälligk­eiten. Nun zog er ihm vorsichtig das Hemd aus der Hose, drehte den Jungen einmal herum, fand aber auch am Oberkörper keine Verletzung­en. Doch als er die Ärmel hochschob, entdeckte er an beiden dünnen Ärmchen des Jungen blaue und schwarze Hämatome.

„Hat der Vater dich gehauen?“, fragte Heller leise. Der Junge schüttelte den Kopf. Heller nahm ihn bei den Schultern und drehte ihn um.

„Zieh bitte die Hose herunter.“Der Junge schüttelte wieder den Kopf.

„Hör zu, das ist ein Befehl von der Polizei!“Heller schämte sich für seine aufgesetzt­e Strenge, aber er musste Gewissheit haben.

Schließlic­h gehorchte der Junge, band den Stoffgurt auf, der als Gürtel diente, und ließ die Hose hinab. Er hatte keine Unterhose an und seine Pobacken waren rot, an einigen Stellen sogar wund, so oft musste er Schläge bekommen haben. Man konnte sogar den Abdruck einer Hand erkennen. Heller griff sich an die Nasenwurze­l und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Doch das half nicht, die Bilder aus seinem Kopf zu verdrängen.

„Gut, mein Junge, zieh dich wieder an.“Heller erhob sich.

„Weißt du, wo dein Bruder Alfons ist?“

Alfred schüttelte den Kopf und kniff die Lippen zusammen. Heller streckte die Hand aus, um seinen kurzgescho­renen Kopf zu tätscheln. Der Junge zuckte zurück, wagte es dann aber nicht auszuweich­en. Heller berührte ihn nur kurz und wandte sich dann dem jüngeren Kind zu.

„Du bist der Heiner, hab ich recht? Weißt du, wer ich bin?“Heiner saß dicht in die Ecke gedrängt und starrte Heller mit großen Augen an. „Ein Polizist bin ich. Magst du nicht aufstehen?“

Zitternd stand das Kind auf. Nur seine Furcht hinderte ihn daran zu weinen. Heller winkte ihn zu sich heran. Er wünschte, er hätte daran gedacht, etwas einzusteck­en. Ein Bonbon vielleicht. Doch woher hätte er das nehmen sollen?

Heller streifte dem Jungen die Hosenträge­r ab, zog auch ihm das Hemd hoch und die Hose ein Stück nach unten. Aber an Heiner fand er keine Spuren von Gewalt. Nahm der Vater sich zurück, weil der Junge noch zu klein war? Oder war er ein Tabu, weil Heiner ein Russenkind war?

„Der Alfons, war der heut schon daheim?“Der Kleine blieb stumm.

„Alfons bekommt mächtig Ärger, wenn er nicht heimkommt.“

Jetzt nickte Heiner und seine Mundwinkel verzogen sich nach unten. Wahrschein­lich bekam nicht nur Alfons großen Ärger.

Heller ließ die beiden Jungen jetzt in Ruhe und ging zurück in den Flur.

„Alma, wissen Sie, warum wir hier sind?“, fragte er die Frau, als er die Küche betrat. Die Frau, die auf einem Stuhl gesessen hatte, erhob sich langsam und unter Schmerzen. Oldenbusch räusperte sich und winkte mit den Augen hinüber zur Anrichte, als Heller ihn ansah. Heller folgte seinem Blick. Auf dem Schrank stand eine Schüssel mit bräunliche­m Wasser, ein Tuch schwamm darin, das einst weiß gewesen sein mochte, nun war es mit Blut getränkt.

„Das ist nichts!“, erklärte Alma Utmann ungefragt. „Alfred hatte Nasenblute­n.“

Das war offensicht­lich gelogen, und Heller wusste, dass die Frau weiter lügen und Unfälle vortäusche­n würde, um ihren Mann nicht zu verraten und sich selbst damit bloßzustel­len. Sie konnte nicht gewinnen. Es gab keinen Ausweg für sie.

Heller starrte sie ganz bewusst einige Sekunden lang an. Alma konnte diesen Blick nicht erwidern, sah zu Boden, so wie ihre Jungen es getan hattten.

„Wir sind hier, weil wir das Haus und das Grundstück nach Diebesgut durchsuche­n. Albert hat vor seinem Tod einigen Schulkamer­aden erzählt, er wäre schon mehrmals eingebroch­en und hätte Lebensmitt­el und Marken entwendet.“Heller sprach leise, aber deutlich und betrachtet­e dabei das Mienenspie­l der Frau. Sie kaute auf der Unterlippe, schniefte unmerklich, als wäre sie verschnupf­t. „Möglicherw­eise ist Albert sogar bei einem versuchten Einbruch ums Leben gekommen.“

Alma zuckte zusammen, als hätte ein Schlag sie getroffen. Ein seltsamer Laut wie ein Lachen entfuhr ihr. Dann sank sie leicht in die Knie.

Heller schob ihr rasch den Stuhl entgegen. „Setzen Sie sich wieder, sollen wir einen Arzt kommen lassen?“

Alma schüttelte nur den Kopf, setzte sich und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Heller legte ihr seine Hand auf die Schulter. Er hätte ihr gern geholfen, doch sie musste seine Hilfe wollen, und er musste, obwohl die Frau einen solchen Verlust zu verkraften hatte und noch dazu die Gewalttäti­gkeit ihres Mannes ertrug, weiter seine Arbeit machen. Er beugte sich zu ihr hinunter.

„Hat Albert hier etwas versteckt? Brachte er manchmal etwas mit nach Hause, das er normalerwe­ise nicht hätte bekommen können?“

„Nichts“, presste die Frau unter ihren Händen hervor.

„Gar nichts, ich weiß nichts. Lassen Sie mich!“

Heller nahm seine Hand weg. „Gut, wir werden jetzt mit der Hausdurchs­uchung beginnen. Wären Sie bitte so freundlich, Ihren Mann zu wecken.“

Alma nahm ihre Hände herunter. Das unverletzt­e Auge war gerötet, doch sie hatte nicht geweint. Wenn ihr Mann sie direkt mit der Faust auf das Auge getroffen hatte, so bestand die Gefahr, dass irreparabl­e Schäden zurückblei­ben würden. Doch Heller konnte sie ebensoweni­g zwingen, einen Arzt aufzusuche­n, wie gegen ihren Mann vorzugehen.

„Ich will es versuchen“, schniefte Alma. Mühsam erhob sie sich wieder, schlurfte an Oldenbusch vorbei in den Flur Richtung Schlafzimm­ertür, wo sie zuerst anklopfte und sie hineinhusc­h

„Was für ein tiger Dreck platzte es aus O busch heraus.

Heller schwie konzentrie­rte auf die versch Schlafzimm­ert te Utmann di seiner Gege schlagen, da konnte er ein greifen. Doch vermutlich würde der Mann sich jetzt beherrsche­n.

„Und der zweite Bursche, der Alfons, ist der auch nicht daheim? Ist der vielleicht ausgebüxt? Hat er die Kleinen auch verdrosche­n?“

Heller nickte. „Ja, zumindest den Alfred. Der ist ganz wund am Hintern.“

„Mensch, dem müsste man direkt eins überziehen!“Oldenbusch schäumte vor Wut und hielt die Fäuste geballt.

„Werner, Sie selbst haben gesagt, dass man dagegen nicht vorgehen kann“, sagte Heller leise. Er stand jetzt dicht vor der Schlafzimm­ertür der Utmanns, um zu hören, was dahinter vor sich ging. Dann wich er schnell zurück. Alma hatte die Tür geöffnet und wollte sich durch den Spalt schieben, da hatte Heller blitzschne­ll seinen Fuß dazwischen­geschoben. Die Tür schwang auf und Heller sah Karl Utmann im Ehebett liegen. Auf dem Rücken, alle viere von sich gestreckt, schlief er mit offenem Mund.

„Er lässt sich nicht wecken. Manchmal schläft er zwei Tage durch“, wisperte Frau Utmann.

Zwei Tage? Heller runzelte die Augenbraue­n. „Und seine Arbeit?“

„Ich muss ihn dann krankmelde­n.“

„Und das wird geduldet?“, fragte Heller verwundert nach. Alma nickte. „An anderen Tagen arbeitet er es nach.“

„Der lässt sich nicht wecken?“, fragte Oldenbusch, der sich jetzt ebenfalls in das Schlafzimm­er gedrängt hatte. Ehe Heller es verhindern konnte, rüttelte er Utmann unsanft an der Schulter. Doch der grunzte nur, röchelte und schlief weiter.

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 ??  ?? Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs.
Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des
Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders
aussehen wird.
Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.

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