Chemnitzer Morgenpost

„Die Bolschewis­ten dienen dem Teufel“

Frank Goldammers Bestseller als MOPO-Fortsetzun­gsroman - 7. Teil

- Von Frank Goldammer

Dresden im Spätsommer 1951: Oberkommis­sar Max Heller kehrt mit seiner Familie aus dem staatlich genehmigte­n Ostseeurla­ub zurück. Sohn Klaus ist jetzt beim Ministeriu­m für Staatssich­erheit. Ehefrau Karin, die in den Sachsenwer­ken arbeitet und Mitglied des FDGB ist, darf ihren Sohn Erwin im Westen besuchen. Heller ist besorgt: Wer kümmert sich in der Zwischenze­it um Pflegetoch­ter Anni? Wird Karin womöglich im Westen bleiben?

Was bisher geschah: Hellers Kollegen Oldenbusch und Salbach berichten von einem Einbruch im Friedhof Tolkewitz: Verwüstete Gebäude, Särge und ein Leichenwag­en sind weg. Das MfS habe Verhaftung­en durchgefüh­rt, alles Mitglieder der Zeugen Jehovas. Zwei von ihnen, Machol und Weichert, sollen sich in der Haft umgebracht haben, indem sie sich am Boden liegend erdrosselt­en. Selbstmord oder doch Mord? Laut Hellers Chef Niesbach verdächtig­en die Sowjets die Polizei. Heller untersucht die Gefängnisz­ellen und vernimmt das Wachperson­al, dann sucht er das Haus auf, in dem Machol und Weichert mit ihren Familien lebten.

Heller war auf der Treppe schon einige der blank gebohnerte­n Stufen hinaufgest­iegen. Oldenbusch folgte ihm.

„Es ist keiner da!“, rief plötzlich eine weibliche Stimme aus dem Hausflur. Die beiden Polizisten kehrten wieder um. Eine alte Frau, weitaus älter als Frau Marquart, stand in der Tür zur Erdgeschos­swohnung. Sie trug einen schlichten Hausmantel, ihr weißes Haar war zu einem strengen Dutt gebunden und sie stützte sich auf einen Gehstock.

„Kriminalpo­lizei. Wir wollen zu Frau Machol und zu Frau Weichert.“

„Es ist niemand mehr da. Gar niemand. Die Russen haben alle mitgenomme­n. Alle im Haus, nur mich nicht.“

„Alle wurden verhaftet?“Jetzt sah Heller, dass die Wohnungstü­r neben dem Schloss gesplitter­t und nur notdürftig vernagelt war.

„Ja. Wenn Sie also jemanden suchen, wenden Sie sich an die Russen.“Die alte Frau wollte ihre Tür wieder schließen.

„Moment bitte!“, rief Heller und kam näher, um das Namensschi­ld zu lesen. „Frau Girtlitz. Sagen Sie, sind alle im Haus hier Zeugen Jehovas?“

„Jehovas Zeugen. Ja, wir haben diese Gemeinscha­ft selbst gewählt, es sind ja nicht mehr viele von uns übrig geblieben.“

„Sie meinen, nach den Verhaftung­en im vorletzten Jahr?“

„Ich meine, nach dem Nationalso­zialismus! Wir waren einige hundert in Dresden, aber die meisten wurden abgeholt. Die meisten kamen nicht zurück aus den KZ, auch nicht mein Enkel. Auch Herr Machol und Herr Weichert waren zum Arbeitsdie­nst gezwungen, dann zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt und letztlich ins KZ gebracht worden. Vier Jahre waren sie in Buchenwald, bis zur Befreiung.“

Heller überlegte einen Moment, wie er fortfahren sollte, ohne seine Kompetenze­n zu überschrei­ten,

doch angesichts der Umstände konnte er wohl kaum noch viel Unheil anrichten.

„Wissen Sie vom

Tod der Herren Machol und Weichert? Und von den näheren Umständen?“

Frau Girtlitz nickte knapp. „Ich wurde nicht offiziell unterricht­et, weil ich keine direkte Angehörige bin. Aber ich habe davon gehört, ja. Aber, wollen Sie nicht hereinkomm­en?“Die alte Frau ließ Heller und Oldenbusch eintreten.

Heller staunte über die Größe der Wohnung, doch dann erkannte er, dass die Frau nicht allein hier wohnte.

„Wer lebt denn noch hier?“„Mein Sohn und die Urenkel.“„Und alle sind verhaftet worden? Die Urenkel auch?“Heller sah sich noch einmal prüfend um. Es sah nicht danach aus, dass kleine Kinder hier lebten.

Frau Girtlitz schüttelte den Kopf. „Bitte setzen Sie sich, ich kann Ihnen Wasser anbieten. Und hier, das können Sie zur Lektüre mitnehmen.“

Die Frau hielt den Männern zwei Broschüren entgegen. Heller setzte sich an den Esstisch, Oldenbusch folgte seinem Beispiel.

Königreich Gottes, las Heller, während die Frau, die offenbar an einer schmerzend­en Hüfte litt, in die Küche humpelte und mit Gläsern hantierte.

„Wissen Sie“, rief sie halblaut, „für uns gibt es nur den einen Führer. Und nur ein Reich. Das Königreich Gottes. Jesus Christus herrscht in diesem Reich, er spricht für uns zu Gott.“

Nun kehrte sie mit zwei Gläsern auf einem Tablett zurück. Oldenbusch sprang von seinem Stuhl auf und nahm ihr das Tablett ab.

„Sie können sich denken, dass es Hitler nicht gefiel, dass wir ihm nicht gehorchten. Unsere Männer verweigert­en den Waffendien­st, auch heute noch. Deswegen wurden wir angefeinde­t und werden es nach wie vor. Unter Hitler hat man versucht, uns zu vernichten, und jetzt holen sie sich den Rest.“

„Sie meinen, der Vorwurf der Spionage ist nicht gerechtfer­tigt?“

„Ich meine, Gott tut, was er tun muss.“

Das war keine Antwort, doch Heller war nicht hier, um das zu erörtern. „Wann haben Sie Herrn Machol und Herrn Weichert zuletzt gesehen?“

„An dem Tag, als sie verhaftet wurden. Wir leben hier wie in einer großen Familie, sehen uns jeden Tag.“Die alte Frau stand immer noch im Zimmer. „Hatten Sie das Gefühl, dass es den beiden nicht gut ging, waren sie krank?“

„Sie waren bei bester Gesundheit“, erwiderte die Frau rasch und blieb unbewegt auf ihren Stock gestützt stehen.

„War Ihnen denn bewusst, dass sie möglicherw­eise beobachtet wurden und unter Verdacht stehen, Spionage zu betreiben?“

„Natürlich, und es war uns auch klar, dass sie eines Tages kommen und uns alle holen werden. Doch was sollen wir tun? Wir arbeiten, wir beten und es ist unsere Pflicht, den Menschen vom Königreich Gottes zu berichten.“

„Sie meinen, Sie missionier­en?“„Wir versuchen die Menschen zu retten, vom falschen Glauben zu befreien oder von ihrer Gottlosigk­eit. Es sind schwere Zeiten für uns.“

Und trotzdem stehen sie es durch, kommentier­te Heller in Gedanken. Er konnte das verstehen und dann auch wieder nicht. Offenbar gab ihnen der Glaube den nötigen Halt, alle Unbill zu ertragen. Anderersei­ts machte er ihnen das Leben schwerer als nötig. Und wenn ihr Glaube so stark war, wenn sie so wenig korrumpier­bar waren, warum sollten sie dann spionieren? Was konnte ihnen der Westen verheißen, das Jehova nicht konnte.

„Ist es Ihnen denn erlaubt, Selbstmord zu begehen? Ich dachte, er gilt bei Ihnen als Sünde?“

Frau Girtlitz’ Miene erhellte sich ein wenig. Plötzlich regte sie sich und nahm sich einen Stuhl heran. „Wir glauben nicht an die Unsterblic­hkeit unserer Seelen und daran, dass die Seele sich nach dem Tod in eine andere Welt begibt. Das Leben ist heilig und kostbar, und sich selbst zu töten, erregt das Missfallen Jehovas. Doch berücksich­tigt Jehova die Umstände des Todes.

Hat derjenige im Affekt gehandelt, war er nicht bei Sinnen, war er krank? Auch Saul, der König Israels, stürzte sich ins Schwert, als sicher war, dass er die letzte Schlacht gegen die Philister nicht gewinnen konnte. Er wollte von ihnen nicht mit Schimpf und Schande behandelt werden. David, der von Jehova Gesalbte, segnete die Bewohner Jabesch Gileads, die den von den Philistern geschändet­en Leichnam Sauls von der Stadtmauer nahmen, ihn verbrannte­n und ihm zu Ehren sieben Tage fasteten. Möge Jehova euch gegenüber liebende Güte und Treue üben, sprach er.“

Heller hatte zwar seinen Stift gezückt, zögerte aber bei seinen Notizen, da er nicht wusste, wie lange sich die Ausführung­en der alten Frau noch hinziehen würden. Nun legte er den Stift weg, ohne etwas geschriebe­n zu haben.

„Daraus ziehe ich den Schluss, es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass die beiden Männer Selbstmord begingen. Glauben Sie denn, die beiden haben sich umgebracht? Nachdem sie all die Jahre im Zuchthaus und Konzentrat­ionslager durchgesta­nden haben?“

Frau Girtlitz schloss ihren Mund und sah Heller in die Augen. Sie schien nachzudenk­en, und als Heller schon glaubte, sie würde nicht mehr antworten, nickte sie plötzlich.

„Durchaus. Vielleicht hatte sie die Verzweiflu­ng übermannt. Vielleicht hatten sie für einen Moment die Besinnung verloren. Mitten in der Nacht hat man sie ihren Frauen und Kindern entrissen. Es ist den Bolsche wir wirklich sie brauche denn sie dien falschen Herr dienen dem T

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„Haben S jemals er dass hier

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Suizid besprochen werden?“, fragte Olden busch.

„Wurden beiden in gendeiner Art und Weise angeleitet, sich auf eine bestimmte Art umzubringe­n?“

„Ich weiß nicht, wie sich die bei den umg bracht hab

d

Taten sie es auf dieselbe Art und Weise?“

Oldenbusch warf einen Blick auf seinen Chef, ehe er antwortete. Heller nickte. „Ja. Aber das tut nichts zur Sache.“

„Nein, im Haus wurde nicht darüber gesprochen, aber es mag sein, dass Julius und Oskar während ihrer langen Zeit im KZ sich mit anderen Häftlingen darüber austauscht­en. Es gab viele Selbstmord­e damals.“

„Wissen Sie, was die beiden an dem Abend ihrer Verhaftung gegessen hatten?“, fragte Heller, ehe die Frau ins Sinnieren geraten konnte.

Frau Girtlitz hob die Augenbraue­n. „Nun, Brot nehme ich an.“

„Nichts, womit man sich gelegentli­ch den Magen verdarb? Ging es Ihnen oder irgendjema­ndem sonst im Haus schlecht an dem Tag?“

„Mir ging es nicht schlecht, über die anderen kann ich nicht urteilen. Es wurden ja alle mitgenomme­n, selbst die Kinder.“„Wo sind die jetzt?“

„In einem Heim, soviel ich weiß.“

Heller wollte sich nicht ausmalen, wie es den Kindern jetzt erging. Er konnte nur hoffen, dass man Erbarmen hatte und wenigstens die Frauen wieder entließ, wenn man mit den Vernehmung­en fertig war. Er nahm sein Glas, trank es aus, dann erhob er sich.

„Sie sagten, die Türen sind eingetrete­n worden? Stehen die alle offen? Wir würden uns im Haus gern umsehen.“

„Ich werde Sie dabei nicht aufhalten.“

 ??  ?? Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs.
Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g
eines jeden Lesers anders aussehen wird.
Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.

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