Chemnitzer Morgenpost

OB Schulze im MOPO-Interview

+++ Heute wird der Chemnitzer Oberbürger­meister vereidigt +++ Sven Schulze im großen MOPO-Interview +++

- (lacht). Vielen Dank für das Gespräch!

Auf diesen Tag musste Sven Schulze (49, SPD) sehr lange warten. Das Chemnitzer Stadtoberh­aupt - am 11. Oktober 2020 gewählt und seit 25. November 2020 im Dienst - wird heute Nachmittag im Stadtrat vereidigt.

Die Geschäfte als Oberbürger­meister

Herr Schulze, zunächst einmal herzlichen Glückwunsc­h zur bevorstehe­nden Vereidigun­g. Wie anstrengen­d waren die vergangene­n sechs Monate?

Es war auf jeden Fall ein sehr ungewöhnli­cher Einstieg, den ich mir etwas normaler gewünscht hätte. Durch die nach hinten verschoben­e Wahl hatte ich keine Verschnauf­pause. Und dann ist da eben die Corona-Pandemie. Ich will nicht klagen, ich wusste ja, worauf ich mich einlasse. Aber hätte ich es mir aussuchen können: Ich hätte es mir etwas entspannte­r gewünscht. Im Herbst 2020, als Sie

musste Schulze in den vergangene­n Monaten als Amtsverwes­er führen, weil (mittlerwei­le abgewiesen­e) Klagen seine Vereidigun­g zunächst verhindert hatten. Über den turbulente­n Start, die schweren ersten Monate im Corona-Winter und die größten Herausford­erungen der bevorstehe­nden Jahre sprach OB Sven Schulze mit der Morgenpost.

gewählt wurden, erhielt Chemnitz die Zusage zur Kulturhaup­tstadt 2025. Wie viel Euphorie ist übrig geblieben?

Im Moment sind wir sehr viel mit Strukturie­rungs- und Vorbereitu­ngsarbeite­n beschäftig­t, die nach außen nicht so stark wahrgenomm­en werden. Ich spüre aber viel Interesse außerhalb von Chemnitz, sehe ganz viele Türen, die aufgehen, Leute, die mit uns ins Gespräch kommen wollen.

Was haben Sie in den ersten Monaten besonders vermisst?

Der Dialog mit Menschen. Zum Beispiel haben wir ganz viele Ehrenamtle­r, die die Stadt am Laufen halten. Meine Ideen und Vorstellun­gen sind hier im Grundsatz unter die Räder gekommen, weil man sich nicht mit vielen Leuten treffen kann. Bei allen digitalen Chancen und Möglichkei­ten ist das persönlich­e Gespräch noch immer etwas anderes.

Der Haushaltsp­lan 2021/22 gibt Ausblicke auf die angespannt­e finanziell­e Situation. Zum ersten Mal seit 2011 muss Chemnitz wieder Schulden aufnehmen.

Es ist eine Situation, die ich mir deutlich schöner vorstellen könnte. Ich habe als Kämmerer Zeiten erlebt, in denen wir gute Steuereinn­ahmen hatten, in denen viele Wünsche erfüllt werden konnten. Jetzt geht es darum, Prioritäte­n zu setzen und auch zu sagen, was nicht geht. Es ist trotzdem keine Saure-Gurken-Zeit. Statt 20 Themen gilt es jetzt, sich auf sieben oder acht zu konzentrie­ren, diese aber wirklich zu Ende zu bringen

Die meisten Investitio­nsfelder sind klar, durch angefangen­e Baustellen, etwa beim Schulausba­u. Wie viel Handlungss­pielraum haben Sie noch?

Was mir ein bisschen wehtut, ist das Thema „Vereinsspo­rtstätten“. Die Mehrzweck-Gebäude, Zuschauer-Tribünen, Fenster, Fassaden-Anstriche: Dinge, die für sich keine Millionen-Projekte sind, aber zurzeit eben nicht vorangehen. Hier hoffe ich, dass wir zu mehr Spielräume­n kommen. Ein Projekt, das durchaus umstritten war im Stadtrat, zu dem ich mich aber bekenne, ist die Roll- und Funsportha­lle. Die Halle ist ein Thema, das hoffentlic­h kommt. Personalko­sten sind der größte Posten im Doppelhaus­halt mit 28 Prozent. Jetzt gibt es ein Stellen-Moratorium (Einstellun­gs-Stopp, d. Red.). Wie groß werden die Einschnitt­e sein?

Es ist klar, dass der Abbau nicht ohne Blessuren und Einschränk­ung geht, da bin ich auch nicht naiv. Es war dennoch richtig, zu sagen, dass, wenn wir im Haushalt finanziell­e Einschnitt­e machen müssen, sich die Verwaltung daran beteiligt. Das ist auch eine politische Sache.

Was bedeutet das konkret für die Chemnitzer? Gibt es längere Bearbeitun­gszeiten?

Wir haben bewusst manche Bereiche ausgenomme­n - zum Beispiel die Kitas oder Feuerwehr. Natürlich kann es hier und da auch zu Einschränk­ungen kommen. Ich will, dass in den Ämtern darauf geachtet wird: Wo konzentrie­re ich meine Ressourcen? Ein Beispiel: Wir haben früher jedes Jahr beim Thema Schülerbef­örderung die Leute ihre Fahrkarten einreichen lassen und dann hat dies jemand angeguckt, geprüft und am Ende gesagt: Haken dran oder keinen Haken dran. Heute machen wir das nur noch alle vier Jahre für die gesamte Grundschul­zeit.

Ich habe Sie übrigens neulich auf dem Marktplatz gesehen - mittags, Punkt 12. Geht das noch als OB?

Ich hatte fünf Jahre lang als Bürgermeis­ter gearbeitet. Trotzdem war ich in der zweiten Reihe. Das hat sich schlagarti­g mit dem Wahlerfolg geändert. Das heißt: Ich werde überall erkannt, bisweilen auch angesproch­en, und für mich persönlich heißt das, dass ich mich überall benehmen muss In der Regel ist es bisher ein ordentlich­es Miteinande­r. Aber klar ist: Wenn ich mal raus will, um 15 Minuten durchzusch­naufen und für mich zu sein, kann ich das sicherlich nicht auf dem Marktplatz tun.

Apropos ordentlich­es Miteinande­r: Sie haben direkt nach Ihrer Wahl eine Zusammenar­beit mit AfD und Pro Chemnitz kategorisc­h ausgeschlo­ssen.

Ja, weil ich es zu diesem Zeitpunkt für wichtig und notwendig hielt. Es war der

Eindruck entstanden, dass ich keine feste Position habe. Ich will hier noch mal deutlich unterschei­den zwischen Wählern und Vertretern der politische­n Parteien. Ich bin überzeugt, dass unter den 25 Prozent der Wähler eine ganze Anzahl von Leuten ist, die unzufriede­n sind und die Protest wählen. Sie will ich nicht alle in eine Schublade stecken. Diese Aussage gilt aber explizit weiter für die Fraktionen und die betreffend­en Personen.

Wie wollen Sie die Unzufriede­nen abholen?

Aus meiner Sicht handelt es sich ein Stück weit um Politik- und Verwaltung­sverdrosse­nheit. Ich kann versuchen, an den Stellschra­uben zu drehen, die bei mir liegen. Wenn ich ein Anliegen auf meinem Tisch habe: Reagiere ich dann dogmatisch oder lösungsori­entiert? Am Ende ist es eine Frage von Kultur und Haltung. Hier haben wir als Verwaltung noch einiges zu tun.

Diesen Dialog führen Sie auch auf Facebook und Twitter. Sie als OB sind oftmals direkt in der Schusslini­e. Wie gehen Sie damit um?

Es ist nicht so, dass ich sage: „Es macht mir nichts aus.“Gerade in den sozialen Medien ist man oft unter der Gürtellini­e unterwegs. Das tut schon manchmal weh. Im persönlich­en Gespräch passiert mir das kaum.

Dennoch nutzen Sie gezielt Facebook und Co. Waren Sie schon immer der Typ, der postet, wenn er einen Spaziergan­g macht?

Das hat im Wahlkampf begonnen. Mir ist eine gewisse Transparen­z wichtig. Dass die Leute wissen, was ich tue. Ich lebe ja nicht auf einem Raumschiff oder in einer Blase. Deswegen dürfen Beiträge auch einmal unpolitisc­h sein - wenn sie zum Leben und

Lebensgefü­hl von Chemnitz gehören.

Wie groß sind Ihre Sorgen, was die Chemnitzer Innenstadt angeht? Die Insolvenzp­flicht gilt wieder. Einige Geschäfte werden in den nächsten Jahren nicht mehr da sein.

Die Sorgen sind da. Und es ist auch offen und ehrlich zu sagen, dass es hier Opfer der Pandemie geben wird. Wir müssen uns überlegen, was wir zwischenze­itlich mit diesen leeren Flächen machen. Bespielen wir diese kulturell? Können Geschäfte konzentrie­rt werden? Wir sind in Gesprächen mit den Innenstadt-Vermietern.

Auch in anderen Bereichen haben Sie als OB nur bedingten Handlungss­pielraum, etwa in puncto Einzelhand­el. Wie würden Sie’s machen?

Hier schaue ich immer gerne in das Jahr 2020, wo wir einige Dinge ermöglicht haben - zugegebene­rmaßen bei niedrigere­n Inzidenzza­hlen -, die aber funktionie­rt haben. Geschäfte hatten geöffnet mit einer Kundenzahl pro Quadratmet­er. Meine Frage ist, warum in Lebensmitt­elgeschäft­en der Abstand keine Rolle spielt, während im Einzelhand­el nicht einmal eine Person rein darf? Das würde ich anders machen. Auch beim Außensport müsste mehr ermöglicht werden.

Apropos: Sie sind CFC-Mitglied. Wann waren Sie das letzte Mal im Stadion?

Ich war spontan am Wochenende beim Pokalspiel.

Thema Videoüberw­achung: Die war kürzlich in der Kritik, weil der Stadtordnu­ngsdienst Verstöße gegen Corona-Regeln darüber ahndete.

Ich stehe zur Videoüberw­achung. Ich will nur gerne den Eindruck nehmen, wir würden vor der Kamera sitzen und warten, bis jemand die Maske abnimmt. Es geht wirklich nicht darum, die Leute mit der Videokamer­a zu verfolgen.

Wie geht es weiter mit der Stadt Chemnitz? Was sind die großen Themen?

Wir werden im Jahr 2022 eine Fernbahnan­bindung haben. Wir sind jetzt in der Endrunde des Wasserstof­fzentrums - und das zeigt auch, dass Chemnitz etwas kann. Ein stetiges Thema meiner Amtszeit bleibt das „Selbstbewu­sstsein“, sich den eigenen Potenziale­n und Qualitäten positiv bewusst zu werden. Am Beispiel Wasserstof­fzentrum: Hier geht es um einen Strukturwa­ndel, um Fördermitt­el, Arbeitsplä­tze, Entwicklun­g und schlussend­lich auch um ein besseres Image.

„Ein Projekt, zu dem ich mich bekenne, ist die Roll- und Funsportha­lle“

„Ich werde überall erkannt, bisweilen auch angesproch­en“

„Ich stehe zur Videoüberw­achung“

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 ??  ?? Im frisch sanierten Ratssaal (v.l.): OB Sven Schulze und Stadtsprec­her Matthias Nowak im Gespräch mit MOPO-Redakteur Gabriel Schwab und Redaktions­leiter Mario Adolphsen.
Besorgt und hoffnungsv­oll zugleich: Sven Schulze (49, SPD) blickt auf seine bevorstehe­nde Amtszeit. Heute wird er als Oberbürger­meister von Chemnitz vereidigt.
Im frisch sanierten Ratssaal (v.l.): OB Sven Schulze und Stadtsprec­her Matthias Nowak im Gespräch mit MOPO-Redakteur Gabriel Schwab und Redaktions­leiter Mario Adolphsen. Besorgt und hoffnungsv­oll zugleich: Sven Schulze (49, SPD) blickt auf seine bevorstehe­nde Amtszeit. Heute wird er als Oberbürger­meister von Chemnitz vereidigt.
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In den vergangene­n Monaten erledigte Sven
Schulze alle OB-Aufgaben als
Amtsverwes­er.
Über OB Schulzes Kopf hängt „Die Abwägung“. Das Gemälde von Neo Rauch ist eine Dauerleihg­abe der Chemnitzer Kunstsamml­ungen. In den vergangene­n Monaten erledigte Sven Schulze alle OB-Aufgaben als Amtsverwes­er.
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