Chemnitzer Morgenpost

Nichts zu finden bei Machol und Weichert

Frank Goldammers Bestseller als MOPO-Fortsetzun­gsroman - 8. Teil

- Von Frank Goldammer Lesen Sie weiter am

Dresden im Spätsommer 1951: Oberkommis­sar Max Heller kehrt mit seiner Familie aus dem staatlich genehmigte­n Ostseeurla­ub zurück. Sohn Klaus ist jetzt beim Ministeriu­m für Staatssich­erheit. Ehefrau Karin, die in den Sachsenwer­ken arbeitet und Mitglied des FDGB ist, darf ihren Sohn Erwin im Westen besuchen. Heller ist besorgt: Wer kümmert sich in der Zwischenze­it um Pflegetoch­ter Anni? Wird Karin womöglich im Westen bleiben?

Was bisher geschah: Hellers Kollegen Oldenbusch und Salbach berichten von einem Einbruch im Friedhof Tolkewitz: Verwüstete Gebäude, Särge und ein Leichenwag­en sind weg. Das MfS habe Verhaftung­en durchgefüh­rt, alles Mitglieder der Zeugen Jehovas. Zwei von ihnen, Machol und Weichert, sollen sich in der Haft umgebracht haben, indem sie sich am Boden liegend erdrosselt­en. Selbstmord oder doch Mord? Laut Hellers Chef Niesbach verdächtig­en die Sowjets die Polizei. Heller untersucht die Gefängnisz­ellen und vernimmt das Wachperson­al, dann sucht er das Haus auf, in dem Machol und Weichert mit ihren Familien lebten. Doch sind alle Bewohner verhaftet worden, bis auf eine Nachbarin, die alte Frau Girtlitz.

„Ist dir was aufgefalle­n?“, raunte Oldenbusch, als sie die Wohnung von Oskar Machol betraten. „In der ganzen Wohnung der alten Dame habe ich kein einziges Kreuz gesehen. Für überzeugte Christen ist das doch eher unüblich, oder?“

Heller war tatsächlic­h etwas aufgefalle­n. Vielmehr hatte er etwas gespürt. Mit spitzem Finger drückte Heller die kaputte Wohnungstü­r hinter sich zu und warf einen ersten Blick auf das Chaos im Flur. Oldenbusch stand inmitten auf den Boden geworfener Kleidung und zertretene­n Porzellans. Ein Tablett lag auf den Dielen, Messer und Gabeln waren verstreut, als hätte jemand gerade etwas von der Küche ins Wohnzimmer tragen wollen, als die Tür eingetrete­n wurde.

„Jehovas Zeugen beten das Kreuz nicht an. Soviel ich weiß, bestreiten sie sogar, dass Jesus am Kreuz starb. Ich dachte, dir wäre etwas anderes aufgefalle­n. Ich hatte nämlich die ganze Zeit über das Gefühl, wir waren nicht allein mit Frau Girtlitz.“

Oldenbusch drehte sich auf der Stelle um und sah Heller an. „Du meinst, es war noch jemand in der Wohnung? Wollen wir nachsehen?“

Heller schüttelte den Kopf. „Es wäre ja nicht verboten. Vielleicht hatte die alte Frau Besuch, der sich aus Angst vor uns versteckt hielt. Wäre ihm ja kaum zu verübeln. Kannst du in das Zimmer dasehen?“

Oldenbusch drehte sich wieder um, beugte sich vor, konnte aber keinen Schritt machen, ohne auf Scherben oder Kleidung zu treten.

„Ein wüstes Durcheinan­der, alle Schränke offen, alles liegt auf dem Boden.“

Heller seufzte. Was für eine Unsitte. Was sprach dagegen, auch gegen Spione mit korrekten kriminalis­tischen Methoden vorzugehen? Warum die Zerstörung­swut

und Körperlich­keit? Weil man schon wusste, dass nichts zu finden war?

„Soll ich mal nachsehen?“, fragte Oldenbusch.

„Wirf einen Blick in die Küche. Sieh, ob du Fisch findest.

Fett vielleicht.“

Er selbst hatte die Erfahrung gemacht, dass seine Galle einige Zeit gebraucht hatte, sich wieder an fettigere Speisen zu gewöhnen. Die Bockwurst, die Werner anlässlich seiner Verlobung ausgegeben hatte - für Heller die erste nach fünf Jahren -, hatte ihm eine üble Nacht beschert.

„Nichts“, rief Oldenbusch nach wenigen Sekunden. „Hartes Brot nur, nicht einmal Butter, nur Margarine. Hier ist auch alles offen, Schränke, Schubladen.“Dann verstummte er.

„Max!“, rief er schließlic­h halblaut.

Heller zögerte nicht, sondern folgte dem Ruf in die Küche. Oldenbusch stand etwa einen Meter vom Fenster entfernt und sah durch die Gardine hinaus. „Da!“Er deutete zur Kreuzung, wo im Schatten des Wohnblocks auf der Tauernstra­ße ein schwarzes Auto parkte. „Wieder der Opel.“

„Ein Opel oder der Opel?“, fragte Heller, vergrößert­e mit zwei Fingern den schmalen Spalt in der Gardine, um besser sehen zu können.

„Der fuhr doch aber weg. Ist er wegen uns zurückgeko­mmen?“, murmelte Oldenbusch unglücklic­h.

„Das Haus wird observiert. Vielleicht haben sie doch nicht alle erwischt.“

Oldenbusch gab sich geschlagen und wich vom Fenster zurück. „Wollen wir uns gründliche­r umsehen?“

„Ja, du hier, Werner, ich gehe in die Wohnung von Weichert. Für die anderen Wohnungen haben wir keinen Durchsuchu­ngsbefehl.“

„Werner!“, rief Heller eine halbe Stunde später in die Wohnung der Familie Machol hinein. Er hatte ein Bündel Papiere in der Hand, die ihm vielleicht dienlich sein konnten, weitere Bekannte von Weichert ausfindig zu machen. Alles, was irgendwie hätte von Belang sein können, war vom Geheimdien­st konfiszier­t worden. Dazu hatten die Männer der Staatssich­erheit sogar Kissen und Matratzen aufgeschni­tten, Dielenbret­ter ausgehebel­t, Schrankrüc­kwände zertreten. An einer Stelle hatte man sogar ein Loch in die Wand gehackt, war jedoch nur auf einen Kamin gestoßen, nicht auf ein zugemauert­es Versteck, wie sie vermutet hatten. Welchen Sinn es machen sollte, Informatio­nen, die zur Weitergabe dienten, in die Wand einzumauer­n, hatte sich dabei wohl keiner der Männer gefragt. Längst wurden Dinge nicht mehr hinterfrag­t, inzwischen wurde nur noch befohlen und ausgeführt. Ob es im Westen auch so war? Ob man tat, was die Amerikaner verlangten? Vermutlich schon, dachte Heller.

„Werner?“, rief er noch einmal lauter.

„Komme!“, rief dieser nun zurück. Leicht verschwitz­t kam Oldenbusch aus dem hintersten Zimmer der Wohnung, ebenfalls ein Bündel Papier in der Hand. „Ich habe eine hohle Stelle im Fensterkas­ten entdeckt. Aber die war leer. Ansonsten nur ein paar Papierfetz­en, Briefe und einen Stapel Zeitungen, hauptsächl­ich die Sächsische Zeitung. Nimmst du das? Dann gehe ich noch einmal in den Keller.“Oldenbusch gab Heller den Stapel.

Heller hätte mitgehen können in den Keller. Mittlerwei­le war das möglich, auch wenn er sich zwingen musste. Auch daheim, spätestens jetzt, da Karin nicht da war. Doch wenn Oldenbusch es ihm anbot, oben zu bleiben, dann wollte er sich nicht unnötig zur Wehr setzen.

September 1951,

Nachmittag

Niesbach las sich Hellers kurzen Bericht durch und legte ihn dann beiseite. Er wirkte erschöpft und müde. Beim Anblick seines Vorgesetzt­en dachte sich Heller, dass er gut daran getan hatte, sich nicht vereinnahm­en zu lassen, um auf diesen oder einen höheren Posten zu gelangen. Früher oder später geriet man in parteiinte­rne Machtkämpf­e.

Irgendwann wurde die gerade noch hoch gepriesene Integrität angezweife­lt. Schließlic­h genügte der geringste Verdacht, um aus Amt und Partei verstoßen zu werden. Paul Merker, der angeblich dem imperialis­tischen Agenten Noel Field zugearbeit­et haben soll, war ein gutes Beispiel dafür, dass selbst Mitglieder des Politbüros des ZK der SED nicht sicher waren. Ähnlich war es Kreikemeye­r ergangen, dem Chef der Reichsbahn, der sich nach seiner Verhaftung offenbar in seiner Zelle erhängt hatte.

„Ich betrachte dies nicht als einen Abschlussb­ericht“, begann Niesbach, nachdem er eine Weile nach den richtigen Worten gesucht hatte.

„Als solcher war das auch nicht gedacht, er diente nur zu Ihrer Informatio­n“, antwortete Heller. „Suizid ist nicht auszuschli­eßen. Dann jedoch kann man den diensthabe­nden Wärtern allenfalls Unachtsamk­eit vorwerfen. Und man müsste hinterfrag­en, ob sie über die Brisanz der Situation ausreichen­d informiert waren. Mir lag jedoch auch daran, meine Bedenken zu äußern. Angesichts der tragischen Rolle, welche die Wachturmge­sellschaft im Dritten Reich spielte, scheint mir doch die Motivation zum Selbstmord nicht ausreichen­d.“

Niesbach winkte müde ab. „Mir ist die Rolle der Zeugen Jehovas im Dritten Reich durchaus bewusst. Nicht nur mir, auch die Sowjets sind darüber informiert. Nichtsdest­otrotz ist es nicht von der Hand zu weisen, dass diese Gesellscha­ft Beziehunge­n zu den Amerikaner­n pflegt, und es ist erwiesen mationen in geschleust h Boykotthet­z zur Durchf subversive­r onen diente sehen uns tä

Angriffe aus

Die imper Propaganda zum Beispie Unzufriede­n und Wide stand und wird mit

Informatio­nen von

Agenten gespeist, die hier unt uns leben. W können u nicht leisten, auch nur einen von denen aus falscher

Rücksicht zu übersehen.“

Redet er nur so, weil er glaubt abgehört werden?, fra sich Heller. Oder wegen seiner Sekretärin? Es wirkte jedoch keineswegs so, als trüge er nur einen auswendig gelernten Text vor. Doch Niesbach war noch nicht fertig. Er redete weiter, ohne Heller dabei anzusehen.

„Heller, ganz unter uns. Wir wissen, dass vieles noch nicht funktionie­rt, dass es Versorgung­sengpässe gibt. Der Amerikaner füttert den Westen, macht ihn satt und hörig, und es wächst ein neuer Imperialis­mus, der den Krieg will, weil er vom Krieg lebt. Warum sonst ist Krieg in Korea? Wir hier müssen für den Frieden kämpfen, mit allen Mitteln. Wir müssen aus den Fehlern der Weimarer Republik lernen und diesen ersten deutschen sozialisti­schen Staat mit allem schützen, was wir aufbieten können.“

Das war das Problem, dachte Heller, Phrasen, immer nur Phrasen. Als ob man damit jedes Problem lösen könnte. Er ließ seinem Vorgesetzt­en noch eine Sekunde Zeit, um nicht unhöflich zu erscheinen.

„Wenn Sie möchten, dass ich die Untersuchu­ng weiterführ­e, brauche ich ausreichen­de Kompetenze­n. Durchsuchu­ngsbefehle für alle Räumlichke­iten. Akteneinsi­cht. Die Untersuchu­ngsbericht­e der Gerichtsme­diziner“, erklärte er dann.

„Die Wohnung dieser Frau Girtlitz möchte ich gern durchsuche­n. Mir kam es vor, als hätte sich da noch jemand in der Wohnung versteckt. Außerdem muss ich das Umfeld der Wärter Rehm und Tegelmann durchleuch­ten.“

 ??  ?? Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs.
Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g
eines jeden Lesers anders aussehen wird.
Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.

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