Überfall auf einen Kohlen-Laster
FrankGoldammersBestselleralsMOPO-Fortsetzungsroman-50 Teil
Ein Anruf aus der Zentrale ließ auf sich warten. Er hatte sich erbeten, nur bei einem Ermittlungserfolg angerufen zu werden. Dreimal hatte das Telefon geklingelt, doch jedes Mal waren es nur dienstliche Gespräche für die Friedhofsverwaltung gewesen. Blieben noch die drei Feuerbestattungen vom Vortag, die er nicht überprüfen konnte. Die Verwaltungsmitarbeiter, die Friedhofsgärtner, die Fahrer auf dem Hof, sie alle betrachteten ihn mit mürrischem Misstrauen.
Plötzlich erschien Oldenbusch in der Tür. Er hatte den gesamten Vormittag in der Wohnung des Notars verbracht und Heller hatte ihm ausrichten lassen, wo er zu finden sei. Oldenbusch schloss jetzt die Tür des ihnen fremden Büros und setzte sich auf den gepolsterten Stuhl vor dem Schreibtisch.
„Keinerlei Spuren von Fremdeinwirkung. Kassner hat bei Siem nur einen niedrigen Alkoholwert im Blut analysiert.“Oldenbuschs Gesicht sprach Bände, trotz des Bartwuchses.
Heller hatte dergleichen erwartet. „Noch etwas?“, fragte er lapidar.
„Die Schindler hat jemand sagen gehört, du seist übergeschnappt. Die machen sich lustig über dich.“
„Nur so lange, bis wir etwas finden.“
„Aber du hast nichts gefunden?“Oldenbusch sah ihn erwartungsvoll an.
Heller schüttelte den Kopf. Natürlich wurmte ihn das, doch war es müßig zu erklären, dass ein Austausch der Leichen auch jederzeit an einem anderen Ort stattgefunden haben könnte. Allein in Dresden gab es über zwanzig Friedhöfe. Dazu kamen die in Freital,
in Radebeul, Pirna, Heidenau und die aus den kleinen Dörfern im näheren Umkreis … Genauso gut konnten die Leichen schon kremiert sein oder doch verwechselt, oder man hatte die Aufforderung andernorts nicht ernstgenommen. Gegen Sturheit und Ignoranz kam man schwer an.
Es klopfte knapp und die Tür öffnete sich einen Spalt.
„Entschuldigen
Sie, brauchen Sie noch lang?“, fragte die Dame von der Friedhofsverwaltung, deren Büro er okkupiert hatte.
Heller stand auf und gab Oldenbusch ein Zeichen mitzukommen.
„Eine Frage noch“, wandte er sich an die Frau. „Sie hatten doch im Sommer einen Einbruch hier, nicht wahr? Was wurde entwendet?“
„Das haben wir alles gemeldet“, kam die rasche Antwort. Heller sah die Frau streng an.
Die Frau lenkte ein. „Einer der Wagen kam weg, ansonsten wurde hier nur zerstört. In der großen Halle wurden Särge umgestoßen und zertreten. Hier in den Büros haben sie alles aus den Schränken gerissen, Formulare, Akten. Viel gestohlen wurde nicht. Stifte, Locher, Heftklammern, Papier.“
Als Heller sein Kellerbüro betrat, kam ihm Salbach eilig entgegen.
„Ich habe versucht, Sie am Friedhof zu erreichen, aber Sie waren gerade weg!“, entschuldigte er sich und reichte Heller ein Blatt.
Der las Salbachs Notiz und blickte auf.
„Warum haben wir nie etwas davon erfahren?“
„Weil es in der Nähe von Freiberg geschehen ist.“
„Und es gab keinen Ermittlungserfolg? Wurde gefahndet?“Salbach verzog den Mund. „Also, die Kollegen da haben sich nicht gerade als zugänglich erwiesen. Sie waren sehr maulfaul. Es wurde wohl eine Fahndung ausgerufen, die jedoch schnell wieder eingestellt wurde.“
„Darf ich mal erfahren, was los ist?“, fragte Oldenbusch ungehalten. Heller setzte sich und las laut. „Am achtundzwanzigsten August wurde auf einer Landstraße vor Freiberg ein Laster der Köhlerei Hartmann aus Crandorf von Bewaffneten aufgehalten. Er hatte fünf Zentner Holzkohle geladen. Der Fahrer, Herr Lippisch, wurde aus der Kabine gezerrt und mit dem Gewehrkolben niedergeschlagen. Er trug eine schwere Platzwunde an der Schläfe davon, blieb sonst unverletzt. Der Laster verschwand mitsamt seiner Ladung. Es war ein Framo V 500.“
„Crandorf?“, fragte Oldenbusch. „Ich weiß nicht, wie viele es davon gibt, aber das liegt ja hinter Annaberg-Buchholz. Gäbe es da nicht andere Köhlereien, die nach Dresden liefern könnten?“
„Nun, es scheint eine recht große Köhlerei zu sein. Vielleicht ist nur sie in der Lage, größere Bedarfsmengen zu decken.“Heller las weiter. „Den Angaben des Fahrers zufolge waren die Räuber maskiert, einer von ihnen könnte eine Frau gewesen sein. Sie sprachen kein Erzgebirgisch, eher Dresdner Sächsisch.“
„Die Girtlitz-Kinder?“, fragte Oldenbusch.
„In der Werkstatt lagen Reste von Holzkohle, und Rehms Keller ist voll davon!“
Salbach räusperte sich. „Es ist von den Vorgeladenen niemand erschienen. Der Vorladungsbescheid wurde jedoch ordnungsgemäß ausgehändigt.“
„Niemand ist erschienen?“Damit hatte Heller nicht gerechnet, doch eigentlich bestätigte das seine Vermutung. Es gehörte einiges dazu, einer polizeilichen Vorladung nicht zu folgen.
„Warum sollten die beiden ein solches Risiko eingehen?“, griff Oldenbusch den Gedanken wieder auf. „Bewaffneter Raubüberfall. Für ein paar Zentner Holzkohle?“
Heller ging darauf nicht ein, ihm war ein Gedanke gekommen, den er aber erst einmal für sich behalten wollte.
„Also gut. Folgendes.“Heller fuhr sich über die Bartstoppeln, um einen Moment Zeit zu gewinnen. „Ich will noch etwas erledigen. Ihr versucht inzwischen herauszufinden, wo Hannah und Paul sich aufhalten. Hängt euch an sie dran, beobachtet sie, unauffällig. Ich will informiert sein und will Meldung, sobald sich etwas ändert. Hinterlasst die Nachrichten in der Zentrale. Ich will wissen, was sie machen. Aber ich bitte um äußerste Vorsicht! Peter, Sie fügen sich Werners Anweisungen.“
„Selbstverständlich!“Salbach zog unmerklich die Oberlippe hoch und schien den Sinn dieses Befehls nicht zu verstehen.
„Was hast du denn vor?“, fragte Oldenbusch, dem die Aussicht, mit Salbach auf gemeinsame Mission zu gehen, offensichtlich nicht behagte.
„Ich will nur etwas überprüfen. Fahrt ihr beiden los. Ich hinterlasse eine schriftliche Dienstanweisung für euch und komme nach, sobald ich kann.“
Oldenbusch räusperte sich, zögerte, wusste aber nicht, wohin er blicken sollte. Heller seufzte innerlich, tat aber seinem langjährigen Kollegen den Gefallen.
„Peter, holen Sie schon mal den Wagen, er soll vollgetankt sein!“
Salbach nickte, nahm seine Jacke und die Pistole und verließ das Zimmer. So gern hätte Heller mit ihm ein persönliches Wort gesprochen, ihm die Hintergründe von Werners Misstrauen erläutert. Der Junge musste ja denken, er würde von ihnen bewusst ausgegrenzt.
„Also, was ist, Werner?“, fragte er dann streng, sobald Salbach den Raum verlassen hatte.
„Meinst du, wir sollen uns bei der Zentrale melden?“, fragte Oldenbusch.
„Du meinst, es ist nicht sicher?“Nachdem er selbst schon einen Maulwurf in ihren Reihen vermutet hatte, war Oldenbuschs Einwand nicht unberecht
„Würdest du daheim anrufen Oldenbusch h Schultern und
Diese Leitung auch abgehör den, wie jede mutmaßte Helle
„Werner, vers fach, mich irg erreichen. Gib keinem Fall Inf mationen an Au ßenstehende, auch nicht an
Frau Marquart oder dieses Fräulein Hermann. Un auch nicht an A ni!“
Werner nickt zögernd. Heller hatte Verständnis für seine Skepsis. So wie er auch Eva Baumert verstand undAlexejund
Karin. Manchmal wünschte er, es sich leic machen zu k nen, wie so viele seiner Mitbürger, für die es nur Schwarz und Weiß, Gut und Böse gab. Es wäre nicht richtig, es war sogar ganz falsch. Es gab keinen einfachen Weg in dieser Welt. Immer war etwas dazwischen, alles konnte und musste aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Es gab kein Ja oder Nein, kein Wahr und Unwahr. Doch manchmal wünschte er sich, esseiso.
Heller wartete, bis Oldenbusch und Salbach gegangen waren. Dann nahm er den Hörer von der Gabel und wählte eine Nummer.
Eine halbe Stunde später wischte er sich den Schweiß von der Stirn und sortierte dann seine Notizen.
Die Köhlerei Hartmann aus Crandorf lieferte nicht nur nach Dresden. Sie belieferte offenbar die gesamte Gegend, unter anderem auch die Wismut-Werke in Johanngeorgenstadt. Dort, wo Kurt Rehm wegen Schmuggels von Uranerz verhaftet worden war.
Heller nahm sich die Tabelle vor, in der er die Daten der Anzeigen notiert und sortiert hatte. Er brauchte nicht lange zu suchen, um den Tag zu finden, an dem der Laster überfallen und samt Ladung gestohlen worden war. Die Botschaft an diesen Tagen lautete ‚Zunder‘. Heller fuhr mit dem Finger alle Botschaften ab, fand das Wort Zunder nicht noch ein weiteres Mal. Und da die Köhlerei Hartmann wöchentlich mehrmals nach Dresden fuhr, konnte es bedeuten, dass an diesem bestimmten Tag etwas auf dem Laster lag, das es wert war, einen Raubüberfall zu begehen.