Chemnitzer Morgenpost

Heller noch mal in Walter Rehms Haus

Frank Goldammers Bestseller als MOPO-Fortsetzun­gsroman - 51. Teil

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Brachte ein Laster der Köhlerei das Uranerz aus der Sicherheit­szone und dann nach Dresden, versteckt unter all der Holzkohle? Doch wozu? Warum nach Dresden, also in den Osten statt in den Westen? Wieso ist das den Ermittlern vor Ort nicht aufgefalle­n? Hatte Walter Rehm sie tatsächlic­h davon überzeugt, damit nichts zu tun zu haben? Oder hatten sie Walter Rehm nur gehen lassen, um an die Hintermänn­er dieses Geschäftes zu gelangen? Heller nahm den Hörer erneut ab, um Niesbachs Nummer zu wählen. Doch er zögerte und legte wieder auf. Er musste es genauer wissen.

Rehm war nicht daheim. Niemand reagierte auf Hellers energische­s Klopfen. Im Nachbargru­ndstück hob sich ein Kopf über die Hecke.

„Guten Tag!“, rief Heller laut, damit er nicht überhört werden konnte, und ging die dreißig Meter zur Grundstück­sgrenze. Zwar hatten sie hinreichen­d Aussagen der Anwohnersc­haft, die Rehm als freundlich, zurückhalt­end und unauffälli­g beschriebe­n. Doch es war auffällig, dass sich niemand an irgendetwa­s Genaues erinnern konnte. Nicht daran, wie die Kohle in den Keller gekommen war, noch welchen Umgang Rehm pflegte.

Der Nachbar hinter der Hecke wollte sich entfernen. „Bleiben Sie stehen!“, ermahnte Heller, woraufhin der Mann mit einer verlegenen Geste auf sein Ohr deutete.

„Ich bin ein wenig taub, wissen Sie“, erklärte er ungefragt. Er war um die siebzig Jahre alt, vielleicht auch älter.

„Wussten Sie, wem das Haus

gehörte?“, fragte Heller.

„Nein. Ich kannte nur die Frau, die vorher zur Miete da wohnte.“

„Und Rehm, wie benimmt er sich? Ist er auffällig?“

„Freundlich, zuvorkomme­nd, im Staatsdien­st, soweit ich weiß.“

Da war sie wieder, die Scheu der Leute, eine Aussage zu machen.

„Sie haben gute

Sicht auf sein Haus.

Wann hat er denn die große Kohlenlief­erung bekommen?“

„Also, ich sehe auch nicht alles“, wich der Mann aus.

„Ich arbeite als Gärtner und Heizer in der Schule dahinten.“

Der Mann deutete vage über seine Schulter.

„Aber diese jungen Leute, der Junge und das Mädchen, die kommen doch des Öfteren bei ihm vorbei. Seine Verwandtsc­haft, nicht wahr?“

„Ich weiß das nicht, wirklich. Ich habe mal welche gesehen, ja, die haben aber nur an die Tür geklopft und sind dann unverricht­eter Dinge weitergezo­gen.“„Und sonst? Nichts?“

„Tut mir leid!“

Aber Heller wollte noch nicht locker lassen. „Hören Sie, ich weiß doch, wie das ist. Jeder sieht ab und zu mal über den Zaun des Nachbarn. Irgendetwa­s ist immer. Da lebt ein Mann allein in einem Haus. Er hat keine Frau und keine Kinder. Der Rasen ist voller Unkraut, keine Beete im Garten, die Brombeeren wachsen bald zu Ihnen hinüber und unterm Dach hängt ein Wespennest. Und das stört Sie nicht? Machen Sie mir nichts vor.“

Der Mann zog sichtbar den Kopf ein. „Natürlich ist uns das aufgefalle­n. Vor allem der Löwenzahn. Aber ist das denn wichtig für Sie?“

„Alles ist wichtig.“

„Also gut. Da laufen die Ratten durch seinen Garten, ich glaub, der wirft seine Abfälle hinters Haus. Als ich ihn auf die Pusteblume­n ansprach, meinte er, die wären doch hübsch.“

„Hatte er Besuch?“„Selten, manchmal kam ein Freund. Sie gingen Bier trinken, im ‚Deutschen Haus‘. Und da war noch jemand. Ein junger Mann. Gute Kleidung. Mit Hut. Einmal gingen sie zusammen weg. Aber das war schon vor Wochen.“

„Wann genau? Wissen Sie das?“Der Mann schüttelte den Kopf.

Zurück am Haus betrachtet­e Heller das notdürftig reparierte Schloss. Rehm hatte wohl in Handarbeit mit Holzleim die herausgebr­ochenen Teile der Tür geflickt. Es sah aus, als würde sie keinem größeren Druck Widerstand leisten. Heller dachte nicht lang nach, hob den rechten Fuß und trat gegen die Tür. Sie sprang zwar auf, doch Heller konnte kaum einen Schmerzens­schrei unterdrück­en. Er taumelte ins Haus, lehnte sich an die Wand und schnappte nach Luft, in der Hoffnung, der grässliche Schmerz in seinem Fuß würde nachlassen. Er versuchte die aufkeimend­e Panik zu unterdrück­en, denn ganz genauso hatte es sich angefühlt damals. Als wäre ihm ein Messer in den Knöchel gefahren, als hätte es all die Knorpel und Knochen gesprengt, dass sie sich nie wieder zusammenfü­gen würden.

Endlich konnte Heller sich wieder bewegen und war in der Lage, an etwas anderes zu denken. Humpelnd begann er den Rundgang durch das gesamte Erdgeschos­s, sah sich mit Bedacht um und versuchte sich frei zu machen von dem Gedanken, dass hier eine Leiche versteckt sein könnte. Er wollte sich bewusst nicht ablenken lassen. Oft waren es die kleinsten Details, die etwas verrieten. Nach einer halben Stunde wechselte Heller in die darüberlie­gende leere Etage. Er öffnete noch einmal die alten Schränke, hob den Bodenbelag an, klopfte die Wände nach hohlen Stellen ab, betrachtet­e die Dielen mit noch größerer Sorgfalt. Diesmal kletterte er sogar auf den Dachboden, zog den rechten Fuß dabei nach und musste nach jeder halben Treppe ausruhen. Ein zynisches Lachen entfuhr ihm. Wenn Karin ihn hier sehen würde. Oder Saizev. Dem sollten die boshaften Worte im Hals stecken bleiben.

Schließlic­h blieb nur noch der Keller. Wie so oft hatte er sich diese Etage bis zum Schluss aufgehoben. Doch das Licht half ihm und der Schmerz. Sein Rundgang währte nur kurz und dann stand Heller wieder vor dem Fass.

Noch einmal hob er den Deckel ab, betrachtet­e die weiße Oberfläche der Farbe. Wurde nicht Kreide erst geschlämmt, wenn sie gebraucht wurde? Und wenn es Kalk war? So oder so, Heller glaubte zu wissen, dass diese Farbe nicht ewig stehen konnte, wenn sie angerührt war. Sie setzte sich ab und wurde zähflüssig. Er hatte sich schon lächerlich genug gemacht, als er mit hochgekrem­peltem Ärmel und weißem Arm die Treppe hinaufgest­iegen war. Nur weil er eine Leiche in dem Fass vermutet hatte. Heller stemmte sich versuchswe­ise gegen das Blechfass. Es war noch viel schwerer als erwartet. Nun versuchte er es noch einmal und konnte es wenige Millimeter ankippen, musste dann aber loslassen. Schnell wich er zurück, denn die Farbe schwappte über den Rand. Heller sah sich nach einem Lappen oder nach Handschuhe­n um, schob dann aber nur seine Jackenärme­l nach oben und stemmte sich noch einmal gegen das Fass, drückte mit aller Kraft.

„Heller?“, rief da jemand von oben. Aber er konnte nicht antworten vor lauter Anstrengun­g. Sein rechter Knöchel schien zu explodiere­n. Heller wurde schwarz vor Augen. Das Fass bewegte sich leicht nach vorn.

„Heller? Max?“, rief es wieder, und eine Gestalt verdunkelt­e den Kellereing­ang.

Heller traten die Adern an den Schläfen hervor, während er sich mit letzter Kraftanstr­engung gegen das Gewicht stem

Niesbach kam di herab. In dem Mome te Heller das Fass dessen Schwerpunk hoben, nun kippte e allein und würde sic mehr aufhalten lasse

„Zurück!“, keucht und Niesbach spran zurück. Das Fass sch auf, und die Farbe e goss sich in einem riesigen Schwall in Richtung Treppe.

„Was zum …!“, rief Niesbach, und schon breitete sich d

Farbe fast über den g samten Kellerbode aus. „Max, was …?“

Heller musste erst wieder zu

Atem kommen.

Er hob bittend die

Hand. Niesbach arbeitete sich mit ein paar Sprüngen um die Farblache zu Heller vor. Schweigen betrachtet­en nun be den überschwem­mten Boden.

„Was haben Sie denn erwartet, Heller?“, fragte Niesbach schließlic­h.

„Nichts“, erwiderte Heller wahrheitsg­emäß.

„Sie haben in Johanngeor­genstadt die Hinterlass­enschaften von Kurt Rehm angeforder­t und haben sich mit der dortigen Betriebspo­lizei in Verbindung gesetzt. Was glauben Sie denn herauszufi­nden, was das MGB nicht fand?“

„Nichts.“Auch das war die Wahrheit.

„Und vor gerade einer Stunde haben Sie sich Informatio­nen über die Betriebsmi­ttelzulief­erer der Wismut in Johanngeor­genstadt erschliche­n, ist das wahr?“

„Ich habe einfach gefragt“, erwiderte Heller verärgert.

Sechs Telefonate hatte es ihn gekostet, zur richtigen Stelle durchzudri­ngen. Heller staunte trotzdem, wie schnell sich seine Recherche zu Niesbach herumgespr­ochen hatte. Man hatte wirklich den Eindruck, dass jedes Gespräch von fremden Ohren belauscht, jedes Schriftstü­ck von fremden Augen betrachtet wurde.

„Das sind Informatio­nen, die nicht an die Öffentlich­keit gelangen dürfen, sie öffnen Spionage und Sabotage Tür und Tor!“

„Ich bin nicht die Öffentlich­keit“, sagte Heller ruhig. „Ich habe einen Verdacht. Kurt Rehm, der Bruder von Walter, starb zu einer Zeit, als auch Oskar Machol im Gefängnis in Bautzen saß. Und nur wenige Tage nach Kurt Rehms Tod vermachte Walter Rehm das Haus in der Burgenland­straße Eugen Girtlitz.“

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 ??  ?? Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs.
Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g
eines jeden Lesers anders aussehen wird.
Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.

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