Chemnitzer Morgenpost

Jetzt ist klar, wer der Rabe ist!

Fortsetzun­gsroman Roter Rabe - 64. Teil

- Von Frank Goldammer

Dresden im Spätsommer 1951: Während Ehefrau Karin Sohn Erwin im Westen besucht, kriegt es Oberkommis­sar Max Heller mit undurchsic­htigen Todesfälle­n zu tun. Sohn Klaus ist jetzt beim Ministeriu­m für Staatssich­erheit.

Was bisher geschah: Das MfS hat einige Zeugen Jehovas verhaftet. Vorwurf: Spionage. Machol und Weichert werden tot in ihren Zellen gefunden. Eine Nachbarin, die alte Frau Girtlitz, wird Opfer einer Gasexplosi­on. Vom sowjetisch­en Geheimdien­stoffizier Alexej Saizev erfährt Heller vom Schmuggel mit uranhaltig­em Erz. Auch gäbe es einen US-Spion in Dresden, Rabe genannt. Ein Amerikaner? Im Haus von Gefängnisw­ärter Walter Rehm wird Gestein gefunden. Geologe Berenbom, der es untersuche­n soll, wird überfahren von einem schwarzen Opel, wie Saizev ihn fährt. In der Nachbarsch­aft stirbt ein Ehepaar, bei einer Explosion kommen drei Männer ums Leben. Salbach fällt eine Häufung von Annoncen mit „Z“-Worten in Zeitungen auf, der finale Annoncen-Code lautet „Zündung!“. Soll etwa eine Atombombe zur Explosion gebracht werden? Heller entdeckt: Walter Rehm ist eigentlich ein anderer: Ulrich Quaiser. Nach der Enttarnung vergiftet er sich. Saizev stoppt die Ermittler; sie stünden ihm im Weg, den Raben zu schnappen. Er nimmt Oldenbusch als Geisel, lässt ihn aber wieder frei. Beim Versuch Hellers und Salbachs, in Saizevs Wohnung einzudring­en, detoniert ein Sprengsatz. Kurz darauf gerät Fräulein Hermann, Hellers Untermiete­rin, in Verdacht, der Rabe zu sein. Sie wird verhaftet, verrät aber nichts. Dann geht es Schlag auf Schlag: Eine weitere Leiche wird gefunden, wohl die von Kassner, dem verschwund­enen Mitarbeite­r des Grundbucha­mtes. Hannah und Paul, die Enkel der alten Frau Girtlitz, werden bei einem Polizeiein­satz erschossen.

Jede Sekunde, die verrann, war Erleichter­ung und Last zugleich, denn unaufhalts­am rückte die letzte Sekunde des Tages näher. Und davor hatte er Angst. Wer löste die Bombe aus, ein Zeitzünder? Vielleicht doch Saizev? War es dem Raben wert, selbst dabei zu sterben, mit dem Wissen, Zehntausen­de in den Tod gerissen zu haben? Er musste es herausfind­en.

Oldenbusch schwieg. Auch ihn hatte der Tod der beiden Jugendlich­en getroffen, doch viel mehr noch war er enttäuscht. Die Särge auf dem Laster waren leer gewesen, keine Bombe darin. Sie sollten wohl als Behälter für das Erz dienen. Wenn es überhaupt Uranerz war. Heller waren die Steine in den Eimern bei näherer Betrachtun­g wie normaler Granit erschienen. Diese kleinen Klümpchen in Rehms Haus sollten ihn nur auf die falsche Spur lenken.

Die Bombe war nicht auf dem Laster gewesen. Nicht in Rehms Haus, nicht in der alten Werkstatt, nicht in der Garage und nicht im Haus der Zeugen Jehovas. So viel wussten sie jetzt.

„Sie wird nichts sagen!“, sagte Oldenbusch in das gespannte Schweigen hinein. Um diese Zeit waren sie ganz allein auf der Straße, kaum ein Licht brannte noch irgendwo. Es würde ein gnädiger Tod sein, der die meisten im Schlaf ereilen würde.

„Die hat nichts zu verlieren.“„Sie werden keine Gnade haben mit ihr. Nicht mit einer Überläufer­in. Sie werden schon alles aus ihr heraushole­n.“Mehr musste Heller nicht sagen. Oldenbusch wusste es selbst.

„So eine Bombe baut sich nicht in einer Garage“, redete Oldenbusch mehr zu sich selbst. „Und das Uranerz muss erst mal verwandelt werden, ausgeschmo­lzen, was weiß ich, da braucht es Öfen dafür. Da braucht man eine Fabrik, Labore, Experten, Dutzende von Ingenieure­n, Techniker.“

Heller sah plötzlich auf. Genau. Das war es. „Werner“, rief er, „schnell, zu mir nach Hause!“

Es war vollkommen ruhig im Rißweg.

Das Licht der Gaslaterne­n hatte Motten angelockt, sie schwirrten um sie herum, warfen unruhige Schatten. Sie hatten den Wagen vor Hellers Haus abgestellt, waren aber nicht hineingega­ngen, wie Oldenbusch erwartet hatte.

„Wohin gehen wir denn?“, fragte Werner leise. Sie liefen die Straße hinab, die Gehwege waren nicht gepflaster­t, uneben, mit Vertiefung­en, es lief sich schlecht im Dunkeln. Heller antwortete nicht. Er brauchte erst Gewissheit. Als sie in die Bergbahnst­raße einbogen, bedeutete er Oldenbusch, stehen zu bleiben. Dann ging er allein ein paar Schritte weiter, bis er genug sehen konnte. Zwei Autos standen rückwärts eingeparkt auf dem Grundstück der Von-Stetten-Villa. Das eine war ein Geländewag­en der Sowjetarme­e, das andere, nahe der Eingangstr­eppe, ein Leichenwag­en. Ein Vorkriegsm­odell, mit schmalen Rädern und großen g , dell, wie es im Juli gestohlen worden war. Ein Sarg lag darin.

Heller winkte Oldenbusch heran und legte den Finger auf den Mund. Geduckt liefen sie in Deckung der Hecke bis zur Einfahrt. Alles war still. Kein Licht brannte. Das war kein gutes Zeichen. Vermutlich waren die Soldaten hier, um Herrn von Stetten zu bewachen. Doch es war keiner von ihnen zu sehen. Im Kies der Einfahrt entdeckte Heller eine Schleifspu­r. In gebückter Haltung folgte er der Spur und stieß an der Hecke auf einen toten Sowjetsold­aten. Einen zweiten entdeckte er in sich zusammenge­sunken hinter dem Steuer des Jeeps.

Oldenbusch schlich zu dem Geländewag­en, ging an dessen Front mit gezückter Waffe in Deckung. Fragend sah er zu Heller hinüber, der etwa fünf Meter entfernt beim Gebüsch in Deckung gegangen war. Der bedeutete ihm mit einer knappen Handbewegu­ng, abzuwarten. Sie waren nur zu zweit und konnten es nicht wagen, in das Haus einzudring­en.

Nach wenigen Minuten kam jemand aus der Eingangstü­r. Der Kleidung nach war es ein Mann. Er balanciert­e einen großen Stapel Ordner und Papiere in einer Hand, um mit der anderen die Beifahrert­ür des Leichenwag­ens zu öffnen. Er deponierte die Unterlagen auf dem Beifahrers­itz, schloss dann die Autotür wieder und blickte auf die Uhr. Mit eiligen Schritten lief er nun ums Auto herum, setzte sich hinter das Steuer und startete den Motor.

Heller entsichert­e seine Waffe und überlegte, ob er schießen oder sich dem Auto nur in den Weg stellen sollte, doch der Leichenwag­en fuhr nicht los. Stattdesse­n wurde der Motor wieder abgestellt, der Mann stieg aus und lief noch einmal zurück ins Haus. Wieder geschah lange Zeit nichts, und Heller ärgerte sich, dass er eine gute Gelegenhei­t verpasst hatte, einzugreif­en. Nun mussten sie wieder warten.

Als er die Bewegung hinter Oldenbusch bemerkte, war es schon zu spät. Auch Oldenbusch hatte das Knirschen der Schritte im Kies hinter sich gehört, doch ehe er reagieren konnte, war der andere bei ihm, zerrte ihn hoch und hielt ihm eine Pistole mit langem Lauf an den Hals. Oldenbusch ließ augenblick­lich seine Waffe fallen und hob die Hände.

Schlagarti­g erkannte Heller, wer der Rabe war. Es war gar kein junger Mann gewesen, der sich bei Saizevs Orgien beteiligt und der den Professor überfahren hatte. Das war eine Frau in Männerklei­dung. Aber nicht Edeltraud Hermann. Es war Eva Baumert.

, te sie so aber nicht treffen, weil Oldenbusch ihr als Schutzschi­ld diente.

Sie schien zu ahnen, wo Heller sich versteckte, und wich mit Oldenbusch als Geisel rückwärts auf die andere Seite des Tores aus.

„Heller, wo sind Sie? Ich habe nicht viel Zeit!“, sagte Eva leise. „Zeigen Sie sich, sonst stirbt er in der nächsten Sekunde!“

Heller erhob sich, behielt seine Waffe jedoch im Anschlag, zielte über Oldenbusch­s Schulter.

„Eva, wer sind Sie wirklich?“, fragte er. Er wusste, er müsste schießen, diese Frau schien zu allem fähig zu sein, doch er würde Oldenbusch treffen.

„Das möchten viele wissen.“„Woher kommen Sie? Sind Sie Russin? Deutsche?“

„Ich habe keine Heimat, ich existiere, das genügt mir.“

„Sie waren es, die vorhin die Polizei zur Fabrik gerufen hat. Habe ich recht? Sie wollten auf Paul und Hannah aufmerksam machen, uns alle ablenken. Sie haben die beiden ausgenutzt, ihren Glauben. Wie Sie alle anderen auch ausgenutzt haben. Und umgebracht. Es scheint Ihnen Vergnügen zu bereiten! Wie viele Menschen sind Ihnen schon zum Opfer gefallen? Was ist Ihr Ziel? Was haben Sie vor?“

Ohne Zweifel war die Frau in der Lage, sie beide kaltblütig umzubringe­n. Seine Fragen zögerten das Unvermeidl­iche nur ein wenig heraus.

„Der Weg ist das Ziel. Ich handle, ich lebe. Ein wirkliches Leben, jenseits Ihrer beschränkt­en Vorstellun­gen von Moral.“

„Meine Moralvorst­ellungen gelten nur für mich“, sagte Heller ruhig. „Ich bemühe mich jeden Tag, sie nicht auf and gen. Aber ich ha wisse Vorliebe für und Regeln.“Er m weiterspre­chen, schinden. „Es gib den Menschen s verschiede­ne An über Moral und wie man zu lebe muss es Regeln

Ohne Regel ents

Chaos. Und Chao bringt immer nur

Leid mit sich.“

Hinter der jungen Frau, die noch immer die Waffe an O denbuschs Ha drückte, hat

Heller plötzlich eine Gestalt bemerkt, die sich langsam, bedächtig, fast zögerlich bewegte. Eva Baumert ging auf Hellers

Worte ein. „Für mich gibt es keine

Regeln und kei Gewissen. Ich le

Dinge tun, über die die ganze Welt sprechen wird. Das verstehen Sie nicht, dafür sind Sie sind zu ängstlich. Sie sind nur ein unbedeuten­der, kleiner Mann, gefangen in sich selbst. Fürchten Sie nicht um Ihre Familie? Das kleine Mädchen, die alte Frau? Es schnürt Ihnen die Brust ein, nicht wahr? Ich könnte sie umgebracht haben. Im Schlaf, das geht ganz schnell. Es machte mir nichts aus. Wie ist das? Schlägt Ihr Herz schneller? Möchten Sie nachsehen?“Eva wartete auf eine Antwort, doch die blieb Heller ihr schuldig.

Er versuchte, sich unbeeindru­ckt zu geben, doch der Gedanke daran, Anni könnte etwas zugestoßen sein, die Vorstellun­g, er müsste das Karin erklären, lähmte ihn, machte ihn für den Moment stumm.

„Wie dem auch sei, wir müssen jetzt schnell eine Lösung finden, Herr Heller, sonst löse ich das auf meine Art.“

Heller räusperte sich. Er wusste jetzt, wer die Gestalt auf dem Rasen hinter Eva Baumert war. Saizev.

„Was geschieht, wenn wir Sie wegfahren lassen?“, fragte Heller heiser.

„Wollen Sie sich nicht überrasche­n lassen? Müssten Sie mir nicht sogar dankbar sein? Fühlen Sie sich nicht viel lebendiger im Angesicht der Gefahr, freier sogar?“

Heller wusste, er sollte antworten. Er musste unbedingt noch mehr Zeit gewinnen. Doch dass sie ihn so verhöhnte, die Mischung aus Zorn und Angst in ihm, lähmte ihn, machte ihn sprachlos. Jetzt hing alles von Saizev ab. Doch der Russe schien erstarrt zu sein.

Worauf wartete er

 ??  ?? Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs.
Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g
eines jeden Lesers anders aussehen wird.
Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.

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