Darf der Mohr" noch" so heißen?
DRESDE Dekolonisierung, Political Correctness, Antidiskriminierung und sensible Sprache hat längst auch die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) erreicht. Wir sprachen mit Dirk Syndram (66), dem scheidenden Direktor (geht Ende August in den Ruhestand), über die Situation im Grünen Gewölbe. Syndram hat jüngst ein Buch veröffentlicht: „Der Traum des Königs. Die Schätze des Grünen Gewölbes“.
MOPO: Herr Syndram, immer öfter stehen Museen mit Beständen aus anderen Kulturen oder solche darstellend im Verdacht, kolonialistisch oder rassistisch zu sein. Wie stark steht das Grüne Gewölbe als Einrichtung der Staatlichen Kunstsammlungen im Fadenkreuz?
Dirk Syndram:
Wir stehen sicher nicht, wie etwa die Ethnografischen Sammlungen, im Mittelpunkt dieses Diskurses. Aber natürlich geht er auch an uns nicht vorüber. Wir führen ihn selbst aktiv, wie die SKD im Ganzen. Es gibt seit einiger Zeit eine museumsübergreifende Anti-Diskriminierungs-AG in den SKD, die auch die Ausstellungen und ihre Präsentation im Blick hat. Im Grünen Gewölbe setzen wir uns seit 2004 mit dieser Problematik auseinander.
Mit welchem Ergebnis?
An vorderster Stelle geht es um den Sprachgebrauch, also darum, eine antidiskriminierende Sprache in der Beschreibung und Benennung von Kunstobjekten zu finden, Stichwort Dekolonisierung. Wir sind dazu auch immer wieder im Gespräch mit der Duden-Redaktion. Vieles haben wir umgesetzt. Sie finden in der Benennung unserer Werke keinen „Zwerg“mehr, keinen „Zigeuner“, auch das N-Wort ist getilgt.
Anscheinend nehmen Sie diesen Diskurs sehr ernst.
W W begrüßen ihn und führen ihn selbst. Ein Museum muss für alle gesellschaftlichen Fragen offen sein. Schließlich haben wir den Anspruch, im Zentrum der Gesellschaft zu wirken. Täten wir das nicht, wäre das Museum tot. Auf der anderen Seite dürfen wir einen Fehler nicht machen: die Vergangenheit nach den moralischen Kriterien von heute bewerten. Das wäre fatal.
In der Regel zielt der Diskurs auf drei Aspekte: den unrechtmäßigen Besitz von Kunstobjekten, ihre unangemessene Darstellung und ihre eventuell unangemessene Benennung. Sprechen wir zuerst über den Besitz: Gibt es Stücke im Gesamtkomplex Grünes Gewölbe, die unter den Aspekten des Kolonialismus oder auf anderem Wege unrechtmäßig in die Sammlung gekommen sind?
Das kann ich klar verneinen. Was speziell die Problematik des Kolonialismus anbetrifft, verhält es sich so, dass der Bestand des Grünen Gewölbes, des Historischen wie des Neuen, aus vorkolonialen Zeiten stammt. Die historische Sammlung beginnt um das Jahr 1572, als sich auch der Name „Grünes Gewölbe“erstmals urkundlich erwähnt findet, und endet mit dem Jahr 1738, als August III. Dinglingers Apis-Altar ankaufte. Einzelne Stücke kamen später noch dazu, sogar dieses Jahr noch, aber das ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung.
Der europäische Kolonialismus, auch die Versklavung von Menschen, begann im Übergang zur Neuzeit, also weit vor dem von Ihnen genannten Zeitraum. Portugiesen und Spanier waren in Europa die ersten kolonialen Großmächte.
Wenn es eine postkoloniale Zeit gibt, von der man heute ausgeht, dann gab es auch eine präkoloniale. Die Verhältnisse zwischen dem 19. Jahrhundert, in dem sich Europa die Welt aufteilte, und dem 16. bis beginnenden
18. Jahrhundert, als man sich vor allem durch Handel die Welt erschloss, sind anders. Insbesondere, wenn man das Heilige Römische Reich betrachtet, zu dem das Kurfürstentum Sachsen gehörte.
Aus welchen Kulturkreisen kommen die Stücke des Grünen Gewölbes?
Abgesehen von einigen Jadearbeiten, die aus China kommen, stammt der Bestand beinah zu einhundert Prozent aus Europa, im Zentrum wiederum das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Der Schatz im Grünen Gewölbe und die allermeisten seiner Objekte zeigen die Sicht Europas, in diesem Fall Sachsens, auf die Welt.
Die meisten Stücke der Schatzkammer sind unter der Ägide von August II., dem Starken, und August III. in die Sammlung gelangt. Wie waren die Handelswege?
Man hat erworben, was schön war oder als schön empfunden wurde. Gekauft wurde sehr häufig von reisenden Händlern in damaligen Luxusstädten, wie Nürnberg oder Augsburg, später gehörten Dresden und Leipzig zu den bevorzugten Handelsplätzen, besonders die Leipziger Messe. August der Starke ließ ankaufen vom Geheimrat Johann Georg Freiherr von Rechenberg, seinem Beauftragten für den Erwerb von Schatzkunst, und immer wieder kaufte er auch selbst.
Waren Mittelsmänner und Kunsthändler über jeden Zweifel erhaben? Hat der Hof damals die Kunstobjekte betreffend schon so etwas wie Herkunftsrecherche betrieben oder ihnen blind vertraut?
Provenienzrecherche, wie sie die SKD seit 2008 betreiben, ist ein relativ junger Forschungszweig. An so etwas war im Barock und auch viel später noch nicht zu denken. Die Verkäufer, mit denen der sächsische Hof Geschäfte machte, waren gut beleumundete, vertrauenswürdige Händler, die natürlich auch wussten, was bei Hofe gut ankam.
Wissen Sie heute von jedem Stück, woher es ursprünglich stammt?
Weitgehend wissen wir es. Dennoch kommt es manchmal zu Überraschungen, die sich aus der Forschung ergeben, wenn wir etwa herausfinden, dass ein Objekt eine unrichtige Zuschreibung erhalten hat. Nehmen wir als Beispiel die Büste der Venus im Grünen Gewölbe: Lange Zeit