Schweres Unterfangen
Es ist keine leichte Aufgabe, die der Senat des Oberlandesgerichts die nächsten Monate vor sich hat: Haben Lina E. (26) und ihre Mitangeklagten die Neonazis schwer verletzt? Und wenn ja: Waren sie wirklich eine Bande?
Was schon in der Alltagskriminalität ein schweres Unterfangen ist, wird im politischen Bereich noch komplizierter: Sowohl Tätern als auch Opfern geht es hier um mehr als die bloße Tat, nämlich darum, die eigene Sache voranzubringen. Wer hier bereits zu Gewalt gegriffen hat, dem wird auch die propagandistische Lüge keine zu starken Gewissensbisse bereiten.
Dazu kommt, dass die mutmaßlichen Opfer alles andere als Pazifisten sind, teilweise bereits erhebliche Vorstrafen mit sich bringen und es bislang keine Hinweise auf Mäßigung gibt. Da meint so mancher, dass sie die Geschehnisse wohl verdient hätten.
Ein emotionaler Trugschluss! Denn welche Konsequenzen neonazistische Aktivisten aus ihren Handlungen zu tragen haben, muss in einem rechtsstaatlichen Verfahren geklärt werden. Dass es hier oft genug zu Versäumnissen kommt, kann kaum bestritten werden. Dennoch rechtfertigt das keine der Taten, die dem Quartett vorgeworfen werden.
Darum ist die Rechtsstaatlichkeit im Lina-E.-Prozess gleich doppelt gefordert: Zum einen muss sie klären, was den Neonazis passiert ist und dafür angemessene Urteile fällen. Zum anderen muss sie die eigene Reputation und eigene Standards schützen - dazu auch umstrittene Ermittlungsmethoden, vage Vorwürfe und das Durchsickern von Ermittlungsdetails in die rechtsextreme Szene aufklären. Eine große Herausforderung.
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