„Wenn wir aus Deutschland ein Bullerbü machen, wird uns niemand auf der Welt folgen“
MOPO: Herr Lindner, wir erwischen Sie gerade im Auto, unterwegs zu einem Ihrer unzähligen Wahlkampftermine. Wie fühlt sich Wahlkampf im Jahr 2021 an? Ist er anders durch Corona?
Christian Lindner: Es ist für mich eine Erleichterung, wieder Kontakt mit Menschen zu haben, durch das Land zu reisen, Betriebe zu besuchen und mit Leuten auf den Marktplätzen zu diskutieren. Das ist endlich wieder da! Zugleich stellt man fest, dass sich über die Pandemie manches verändert hat, eines aber nicht: Immer noch gibt es Funklöcher, bei der Breitbandversorgung ist Deutschland weiter auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Das muss sich rasch ändern!
Auf Ihren Touren müssen Sie sicher des Öfteren an Ampeln halten. Schließt die FDP die Ampelkoalition komplett aus?
Wir haben ja 2017 unter Beweis gestellt, dass Überzeugungen für uns wichtiger sind als Karrieren. Wir schließen aus, dass es in Deutschland mit der FDP höhere Steuern gibt. Wir schließen aus, dass es eine Aufweichung der Schuldenbremse gibt, weil wir bereits sehr viele Schulden haben. Wir schließen aus, dass es in Deutschland mit der FDP einen Linksdrift gibt. Damit stehen uns also CDU und CSU näher als SPD und Grüne.
Wenn die Freien Wähler den Sprung in den Bundestag schaffen würden, wäre das doch eine Art Traumkoalition, oder? Mit den Freien Wählern, der Union …
Die Freien Wähler haben in meinen Augen keine Aussicht auf Einzug in den Bundestag. Ich rate ab, die Stimme zu verschenken. Wer die Freien Wähler wählt, der schwächt die Option der FDP, beispielsweise eine Regierung der Mitte zu begründen. Wer Freie Wähler oder auch die AfD wählt, der stärkt in Wahrheit die Parteien links der Mitte, weil sie dann für die Regierungsbildung gebraucht werden. Deshalb sollte man die FDP bei dieser Wahl mit allen Stimmen unterstützen.
Viele Deutsche meinen: Der Einzige, der als Kanzlerkandidat wirklich was könnte, wäre der Lindner! Was sagen Sie dazu?
Es ist amüsant und natürlich motivierend, wenn man positives Feedback bekommt, aber wir sind Realisten. Deshalb haben wir keine Kanzlerkandidatur angemeldet. Wir haben gesagt, wir würden gerne Einfluss nehmen. Da die anderen Parteien das Kanzleramt beanspruchen, haben wir uns ausnahmsweise auch mal erlaubt zu sagen, was wir uns vorstellen können - das Finanzministerium. Dort gibt es viel zu tun, um den Aufschwung in Deutschland zu stärken. Wir müssen den Haushalt wieder zukunftsfest machen und dürfen den jungen Menschen nicht zu viele Schulden auf die Schultern legen. Inzwischen haben wir ja sogar Inflationsrisiken.
Wie will die FDP sich mittelund langfristig gegen ökologisch denkende Parteien durchsetzen und der Jugend eine klimagerechte und dennoch bezahlbare Zukunft ermöglichen?
Die FDP ist auch eine ökologisch denkende Partei. Unsere Antwort auf den Klimawandel sind aber nicht viele kleinteilige Verbote. Denn Verbote in Deutschland führen vielleicht dazu, dass wir etwas CO2 einsparen, aber wir verlieren gleichzeitig wirtschaftliche Perspektiven und Freiheit. Unsere Aufgabe muss eine andere sein. Wir sind eine Nation von Ingenieurinnen und Technikern. Sie müssen Antworten entwickeln und in die Praxis bringen, wie wir Wohlstand und Freiheiten mit Klimaschutz verbinden. Wenn wir aus Deutschland ein Bullerbü mit subventioniertem Lastenfahrrad wie in den Büchern von Astrid Lindgren machen, dann wird uns niemand auf der Welt folgen.
Ganz provokativ gefragt: Finden Sie dieses grüne Gebaren mit den ganzen Verboten und
Vorschriften eigentlich noch demokratisch?
Das ist demokratisch, aber es ist nicht liberal und auch nicht sinnvoll. Beispielsweise bringt ein generelles Tempolimit in Deutschland für den Klimaschutz sehr wenig. Letztlich geht es hier um eine Frage des Menschenbildes: Es ist die Frage, ob man den Menschen zutraut, dass sie nachts auf der leeren Autobahn, bei gutem Wetter, mit ihrem klimaneutralen Elektroauto die richtige Entscheidung darüber treffen, welches Tempo angemessen ist, oder ob man glaubt, da müsse man bevormunden.
Nun geht es ja bei den 130 km/h auch häufig um die Sicherheit auf den Straßen. Können Sie sich ein Tempolimit zu begrenzten Zeiten vorstellen? Beispielsweise von 6 bis 20 Uhr, wenn der Berufsverkehr einsetzt …
Hier kann die Digitalisierung eine sehr spannende Option sein. Mit der zunehmenden Vernetzung der Fahrzeuge eröffnet sich ja auch die Möglichkeit einer sogenannten variablen Verkehrsbeeinflussung. Man könnte auch sagen: flexible Verkehrsschilder, die in der Tat nach Witterung und Verkehrslage angemessen Einfluss nehmen können auf Überholverbote oder die Frage der Geschwindigkeit.
Im Zuge eines stärkeren autonomen Fahrens kann das ebenfalls eine Rolle spielen. Hier gibt es auch gute Möglichkeiten, durch technischen Fortschritt die unterschiedlichen Aspekte von Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Verkehrsfluss und Stauvermeidung miteinander zu verbinden.
Stimmen Sie Ihrem Kollegen Marco Wanderwitz eigentlich zu, wenn er sagt, Digitalisierung gibt es nur mit weniger Datenschutz?
Nein, da stimme ich ihm nicht zu und manchmal wundere ich mich über den Kollegen. Er hat auch Thesen geäußert über die Menschen in Ostdeutschland, von denen viele ein Problem mit der demokratischen Entwicklung hätten. Auch hier stimme ich nicht zu. Beim Datenschutz jedenfalls haben wir mit der Datenschutzgrundverordnung in Deutschland unter CDU-Führung etwas falsch gemacht. Die CDU hat die Europäische Datenschutz-Grundverordnung viel zu bürokratisch in deutsches Recht übertragen.
Ist eine Stimme für die FDP eigentlich auch eine für das Impfen?
Ich werbe für das Impfen, ich bin aber gegen eine Impfpflicht. Ich will niedrigschwellige Angebote ausbauen, bei denen man sich spontan und ohne Termin bei einem mobilen Impfteam schützen
lassen kann. Aber ein negativ Getesteter, der keine Impfung hat, muss dennoch auch im Herbst am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Da kann es kein Verbot geben für negativ Getestete, dass sie etwa nicht in die Gaststätte gehen dürfen.
In Sachsen ist es jetzt möglich, dass Veranstalter oder Gastronomen auf 2G umstellen können. Gleichzeitig werden die Schnelltests bald kostenpflichtig. Eine Impfpflicht durch die Hintertür, oder?
Ich hätte auch von einer solchen Entscheidung abgeraten. Auf der einen Seite muss ein privater Anbieter, Händler oder Gastronom entscheiden können, wer sein Geschäft betritt. Das aber ist keine Sache des Staates. Auf der anderen Seite sollten Tests noch weiter kostenfrei bleiben, zu einem späteren Zeitpunkt kann man über eine Kostenpflicht nachdenken. Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir ein großes Interesse daran, dass die Menschen, die noch nicht geimpft sind, sich regelmäßig testen lassen. Auch bei Geimpften macht das ja Sinn, noch zu testen, auch da gibt es ja mitunter Impfdurchbrüche.