Chemnitzer Morgenpost

„Was hilft es, wenn man Str wenn die Menschen weg Aßen baut, gehen?“

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BERLIN - 33 Jahre Mauerfall was im Westen des wiedervere­inigten Deutschlan­ds ein Eintrag im Kalender ist, hängt vielen ehemaligen DDR-Bürgern bis heute nach. Die Vorsitzend­e der Kanzler-SPD, Saskia Esken (61) - groß geworden im Norden des Schwarzwal­ds -, sprach mit Paul Hoffmann und Erik Töpfer exklusiv über ihre eigenen Wende-Erfahrunge­n und die politische­n Fehler der Wiedervere­inigung.

Frau Esken, wir zwei Ossis haben heute die Möglichkei­t, mit „einem Wessi“zu sprechen. Haben Sie das vor ’89 für möglich gehalten?

Wir hatten alle die Hoffnung, dass der Tag des Mauerfalls eines Tages kommen würde. Willy Brandt hat einmal gesagt, „der beste Weg, die Zukunft vorauszusa­gen, ist, sie zu gestalten“, und diesen Vorsatz haben sich an vorderster Linie die Menschen in Ostdeutsch­land zu eigen gemacht. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir heute hier sprechen dürfen.

In den 33 Jahren ist viel passiert. Was muss Deutschlan­d in den nächsten 33 Jahren erreichen?

Die deutsche Einheit ist natürlich ein großer Glücksfall. Die Trennung war eine schwere Zeit, die Wiedervere­inigung das wichtigste Ereignis in der jüngeren deutschen Geschichte. Das auch dadurch möglich wurde, dass ein paar Rädchen zusammenge­passt haben. Allem voran der Mut der Bürgerinne­n und Bürger in den ostdeutsch­en Ländern, auf die Straße zu gehen, sich nicht zu fürchten, sondern friedlich dafür zu kämpfen, dass Freiheit und Demokratie

möglich werden. Aber natürlich auch die vorangegan­gene Entspannun­gspolitik. Da kam einiges zusammen und hat letztlich ermöglicht, dass die Mauer fällt und wir uns jetzt als geeintes Land gemeinsam weiterentw­ickeln. Es ist vieles zusammenge­führt worden, was lange getrennt war, vieles überwunden worden, was an Unterschie­den da war.

Aber dennoch ist bei Weitem nicht alles perfekt.

Manches hat sehr, sehr lange auf sich warten lassen, wie zum Beispiel die Rentenangl­eichung. Auch die Löhne sind immer noch nicht gleich. Und weil Vermögen nicht dadurch entstehen, dass man sich das

vom Mund a spart, sonder durch Erbscha ten, die im Oste kaum vorkom men, sind auc die Vermöge massiv ungleic verteilt. An dies Stelle zitiere i gerne Petra Kö ping (64, säch sche Sozialmi terin, Anm. d. R „Wenn wir die M schen in Deu land fragen, sich für sie den Mauerfall ändert hat, s die im Osten ‚A und die im Wes ‚Nichts. Also mindest nic für mein persö liches Leben Das ist der Unte schied, den w alle begreife müssen.

Vielen Ossis ist ihr Leben zusammenge­brochen

Woher kommt das denn Ihrer Meinung nach?

Vielen Menschen im Osten Deutschlan­ds ist mit dem Zusammenbr­uch der DDR auch gewohntes ben zusamm gebrochen. dieser Disrupt etwas Neues aufzubauen

Waren Sie zum Mauerfall schon in der Politik?

Vor 33 Jahren wurde ich gerade Mitglied der SPD, aber politisch aktiv bin ich, seitdem ich 12 oder 13 Jahre alt war. Meine Eltern waren beide Sozialdemo­kraten, die Richtung war mir also schon in die Wiege gelegt. Ich war mit meinem Geschichts­leistungsk­urs in der Oberstufe für zwei Wochen in Leipzig und Umgebung …

Wann war das genau? Definitiv vor dem Mauerfall! (Überlegt und lacht) Vielleicht ’78/79. Jedenfalls war das ein besonderes Erlebnis: Wir hatten Dauerbegle­itung durch einen Reisebegle­iter, bei dem Sie sich vorstellen können, bei wem der angestellt war. Das haben wir gespürt! Ich hatte damals schon ’ne ziemlich große Klappe ehrlich gesagt und ich hab mit dem Grenzübert­ritt - das habe ich nachher in meinem Leben nie wieder erlebt - die Stimme verloren. Ich konnte 14 Tage lang nur flüstern. Als wir zurückfuhr­en, war es vorbei. Mein Geschichte-Leistungsk­urs-Lehrer sagte: „Da wird schon jemand gewusst haben, wofür das gut ist.“

Wie hat sich denn Ihre Sichtweise auf die neuen Bundesländ­er verändert?

Ich hatte die berühmte Oma, die einmal im Jahr zu Besuch kam, weil sie als Rentnerin reisen durfte. Natürlich hatte ich auch politisch eine Wahrnehmun­g zu diesem Staat, aber das sind meine zwei persönlich­en Bezüge dazu. Nach dem Mauerfall war das ganz anders. Da haben wir gesehen, wie dort private Strukturen und Biografien zerbrochen sind, wie wir als Gesamtstaa­t mit dem Solidaritä­tszuschlag es möglich gemacht haben, dass Aufbau stattfinde­t und ganz viel in Beton investiert wurde. Aber zu wenig in die Menschen. Und vielleicht zu wenig in den Zusammenha­lt, in die Zivilgesel­lschaft, die dafür auch gebraucht wird. Was hilft es, wenn man Straßen, Brücken und Schulen baut, wenn die Menschen weggehen, die diese nutzen können?

Gerade am Beispiel der Schulen sieht man doch aber auch, dass man den Menschen auch zu wenig zugehört hat, oder nicht?

Dass wir in vielen Bereichen die ostdeutsch­en Erfahrunge­n durch westdeutsc­he Systeme ersetzt haben, anstatt erst mal hinzuschau­en und zuzuhören - das ist sicher ein Fehler gewesen. Es gab ja durchaus Ansätze, die wir heute vermissen - man denke an die hervorrage­nden Poliklinik­en im Gesundheit­swesen. Dann hätten wir für die Wiedervere­inigung aber mehr Zeit gebraucht, die man sich ehrlicherw­eise nicht nehmen wollte.

Man wollte sich keine Zeit dafür nehmen

Dann müsste es ja aber einen Punkt gegeben haben, an dem man sagt, hier ist die Transforma­tion abgeschlos­sen.

Wie man so schön sagt: Das einzig Stetige ist der Wandel. Die Transforma­tion wird also nie abgeschlos­sen sein. Aber es ist leider immer noch so, dass wir zu wenig aus dem lernen, was erfolgreic­h vorgelebt wurde.

 ?? ?? Ein unvergessl­iches Bild: Menschen feiern in der Nacht vom 9. zum 10. November auf der Berliner Mauer.
Im Berliner Willy-Brandt-Haus stellte sich Saskia Esken den Fragen von Politikred­akteur Paul Hoffmann (30, r.) und MOPO-Reporter Erik Töpfer (23).
SPD-Chefin Saskia Esken (61)
Ein unvergessl­iches Bild: Menschen feiern in der Nacht vom 9. zum 10. November auf der Berliner Mauer. Im Berliner Willy-Brandt-Haus stellte sich Saskia Esken den Fragen von Politikred­akteur Paul Hoffmann (30, r.) und MOPO-Reporter Erik Töpfer (23). SPD-Chefin Saskia Esken (61)
 ?? ?? Auch wenn die Mauer längst eingerisse­n wurde, gibt es doch bis heute teils gravierend­e Ungleichhe­iten zwischen Ost und West.
Auch wenn die Mauer längst eingerisse­n wurde, gibt es doch bis heute teils gravierend­e Ungleichhe­iten zwischen Ost und West.

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