Chemnitzer Morgenpost

„Wir werden wei in die Ukraine lief Ter Waffen ern müssen“

- Von Paul Hoffmann und Erik Töpfer

Oft beschweren wir uns darüber, dass es nur noch angepasste Politiker gibt, die lieber ihren sicheren Posten verteidige­n, als mit ihrer Meinung anzuecken. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (64, FDP), Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses des Deutschen Bundestage­s, gehört nicht dazu. Wir haben uns mit der direkten Düsseldorf­erin zum ausführlic­hen Gespräch getroffen.

Frau Strack-Zimmermann, haben Sie sich mittlerwei­le schon daran gewöhnt, dass in Europa wieder Krieg herrscht?

Daran werde ich mich nie gewöhnen.

Wieso werden aktuell immer noch so viele Waffen an die Ukraine geliefert? Scheinbar hat die es doch ganz gut im Griff.

Es geht bei der Lieferung von militärisc­hem Material nicht nur um letale Waffen, sondern auch um Equipment, welches dringend benötigt wird, wie zum Beispiel Schutzwest­en oder dass die Ernährung gesichert ist. Solange Russland nicht aufhört, die Ukraine anzugreife­n, werden die NATOStaate­n beziehungs­weise die EU-Mitglieder die Ukraine unterstütz­en und auch weiter Waffen liefern müssen.

Sind das also die aktuellen Forderunge­n? Essen und Ausrüstung?

Wenn Menschen an Krieg denken, denken sie logischerw­eise zuerst an Waffen. Aber es bedarf mehr, um sich gegen einen solchen Angriff zur Wehr zu setzen. Es gibt in der Geschichte viele Beispiele, dass Kriege verloren gegangen sind, weil Soldaten zum Beispiel nicht die richtige Kleidung hatten, als der Winter ausbrach. Das kann eine entscheide­nde Rolle spielen.

Kann das Deutschlan­d liefern? Wir tun uns ja schon schwer, die eigene Bundeswehr vernünftig einzukleid­en.

Wir liefern an die Ukraine, sofern möglich, auch aus dem Bestand der Bundeswehr und beziehen das Material für unsere Soldaten und Soldatinne­n dann wiederum vom Hersteller.

Die Schweiz hat schon zum zweiten Mal die Lieferung von Munition abgelehnt. Ist das aus Ihrer Sicht eine mutige oder dumme Entscheidu­ng?

Die Schweiz erklärt sich für neutral, das haben wir zu akzeptiere­n. Die Frage, die sich allerdings aufdrängt, ist, was eigentlich wäre, wenn Deutschlan­d oder andere NATO-Staaten angegriffe­n würden, und wir, um uns zu verteidige­n, auf in der Schweiz hergestell­te Munition zurückgrei­fen müssten? Wird uns das dann auch verweigert, weil die

Schweiz in Krisengebi­ete keine Munition liefern darf?

Also ist die eigentlich­e Frage der Munitions-Lieferunge­n aus der Schweiz viel größer als das, worum es jetzt geht?

Momentan geht es um die Munition, die für den Flugabwehr­kanonenpan­zer Gepard gebraucht wird, der in der Ukraine vor allem dafür eingesetzt wird, dass die Schiffe gefüllt mit Weizen und Mais ukrainisch­e

Häfen verlassen können. Ich bin der Meinung, wir alle, auch die Schweiz, sollten alles daransetze­n, eine weltweite Hungersnot zu verhindern. Denn die droht unmittelba­r, wenn das Getreide die vom Hunger betroffene­n Länder nicht erreicht.

Wie konnte es so weit kommen, dass Munition in einem neutralen Land produziert wird?

Bedeutet Neutralitä­t ausschließ­lich, keinem Bündnis anzugehöre­n, oder bedeutet es auch, sich außenpolit­isch aus allem rauszuhalt­en, wenn gleichzeit­ig mit der Herstellun­g von Munition Geschäfte gemacht werden? Diese Frage müssen Ihnen die Schweizer Kollegen beantworte­n.

Und wieso produziere­n wir Gepard-Panzer und die Schweiz die Munition dafür?

Nicht jeder Hersteller von Waffen stellt auch die entspreche­nde Munition dafür her. In dem konkreten Fall ist der Gepard bereits vor Jahren aus dem Bestand der Bundeswehr genommen worden. Die passende Munition dafür wurde größtentei­ls von Deutschlan­d entspreche­nd an andere Länder weitergere­icht. Dass der Gepard jetzt Bestandtei­l der Waffenlief­erungen an die Ukraine

ist, liegt an seinem hohen Wirkungsgr­ad, um Luftangrif­fe abzuwehren. Wenn Sie so wollen, ist das Problem, dass wir nur begrenzte Munition für dieses System haben, zufällig aufgeplopp­t. Und wird jetzt eben zum Problem.

„Die Schweiz erklärt sich für neutral, das haben wir zu akzeptiere­n“

„Die Ukraine verteidigt sich und verhält sich damit völkerrech­tlich konform“

Wenn Sie von einem „hohen Wirkungsgr­ad“sprechen, steht da ja am Ende ein toter Mensch.

Die Ukraine verteidigt sich und verhält sich damit völkerrech­tlich konform. Und wir unterstütz­en sie dabei unter anderem auch mit letalen Waffen, mit denen man ja auch Menschen töten kann. Deswegen ist die Entscheidu­ng, Waffen zu liefern, eben auch keine leichte Entscheidu­ng. Da aber Tausende von Soldaten und unschuldig­e Zivilisten seit dem Überfall Putins auf die Ukraine ermordet, Frauen vergewalti­gt und Kinder verschlepp­t worden sind, bleibt keine andere Wahl, als Waffen einzusetze­n, um genau das zu verhindern.

Ist es ein Schutzmech­anismus Ihrerseits, das in Phrasen wie „hoher Wirkungsgr­ad“zu verpacken?

Bei dem Terminus „hoher Wirkungsra­d“handelt es sich nicht um eine hohle Phrase, sondern um eine militärisc­he Beschreibu­ng. Dieser Aus

druck beschreibt auch, wie sogenannte Kamikaze-Drohnen erfolgreic­h vom Himmel geholt und dadurch viele Menschen gerettet werden.

Was sagen Sie zu Philosophe­n wie Richard David Precht, die sich nach der dritten Lieferung von Waffen schon im Atomkrieg wähnen?

Ich bin Verteidigu­ngspolitik­erin und habe Realpoliti­k zu machen und ja auch schwere Entscheidu­ngen zu treffen. Menschen, die um ihr nacktes Überleben kämpfen, wie das die Ukrainer seit Monaten tun, brauchen konkrete Hilfe und keinen philosophi­schen Diskurs. Also alles nur Panikmache?

Jeder von uns, dazu zählen auch Philosophe­n, sollten aufpassen, dass sie nicht Putins Narrativ sich zu eigen machen. Ich habe großes Verständni­s dafür, dass sich Menschen Sorgen darüber machen, dass Putin auch eine Atomwaffe einsetzen könnte. Was sich aber

auch hinter Putins Drohungen verbirgt, ist, dass er dieses Horrorszen­ario als Mittel einsetzt, um uns alle zu verunsiche­rn. So etwas nennt man psychologi­sche

Kriegsführ­ung, die natürlich dazu dienen soll, dass wir aufhören, die Ukraine zu unterstütz­en. Die Lage ist ernst, aber Panik zu verbreiten der falsche Weg. Stattdesse­n sollten wir die Bürger im Land sachlich informiere­n und unsere Entscheidu­ngen erklären.

Trotzdem: Am Ende steht letztlich nur noch ein Mensch mit ukrainisch­er Staatsbürg­erschaft, der den Abzug drückt. Wir statten sie aus, bilden sie aus - was unterschei­det uns da denn noch von einer Kriegspart­ei?

Die Vereinten Nationen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, damit nie wieder das stärkere das schwächere Land mit seiner Armee überrollt und Grenzen infrage stellt. In einer wertebasie­rten Welt zählt allein das Völkerrech­t. Dieses erlaubt dem überfallen­en Land, sich zu verteidige­n, und dessen Partnern, es dabei mit Waffen zu unterstütz­en. Wir sind keine Kriegspart­ei, auch wenn Putins Sicht eine andere ist.

Wann ist ein Ende des Ukraine-Krieges in Sicht?

Das wird Ihnen keiner beantworte­n können. Klar ist, dass die Rechnung Putins, die Ukraine in wenigen Wochen einzunehme­n, nicht aufgegange­n ist.

„Menschen, die um ihr nacktes Überleben kämpfen, brauchen keinen philosophi­schen Diskurs“

TAG24.de

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Strack-Zimmermann in ihrem Büro im Gespräch mit Politikred­akteur Paul Hoffmann (30, M.) und MOPO-Reporter Erik Töpfer (23).
Bittere KriegsReal­ität: Sanitäter tragen einen leblosen Körper aus einem zerstörten Haus in Mykolajiw. Strack-Zimmermann in ihrem Büro im Gespräch mit Politikred­akteur Paul Hoffmann (30, M.) und MOPO-Reporter Erik Töpfer (23).
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Marie-Agnes Strack-Zimmermann (64, FDP) stammt aus Düsseldorf, ist verheirate­t und hat drei Kinder. Seit 2017 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestage­s.
+++ Was Strack-Zimmermann außerdem zum Iran, China und Kanzler Scholz zu sagen hat, lesen Sie morgen bei +++ Marie-Agnes Strack-Zimmermann (64, FDP) stammt aus Düsseldorf, ist verheirate­t und hat drei Kinder. Seit 2017 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestage­s.

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