„Wir werden wei in die Ukraine lief Ter Waffen ern müssen“
Oft beschweren wir uns darüber, dass es nur noch angepasste Politiker gibt, die lieber ihren sicheren Posten verteidigen, als mit ihrer Meinung anzuecken. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (64, FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, gehört nicht dazu. Wir haben uns mit der direkten Düsseldorferin zum ausführlichen Gespräch getroffen.
Frau Strack-Zimmermann, haben Sie sich mittlerweile schon daran gewöhnt, dass in Europa wieder Krieg herrscht?
Daran werde ich mich nie gewöhnen.
Wieso werden aktuell immer noch so viele Waffen an die Ukraine geliefert? Scheinbar hat die es doch ganz gut im Griff.
Es geht bei der Lieferung von militärischem Material nicht nur um letale Waffen, sondern auch um Equipment, welches dringend benötigt wird, wie zum Beispiel Schutzwesten oder dass die Ernährung gesichert ist. Solange Russland nicht aufhört, die Ukraine anzugreifen, werden die NATOStaaten beziehungsweise die EU-Mitglieder die Ukraine unterstützen und auch weiter Waffen liefern müssen.
Sind das also die aktuellen Forderungen? Essen und Ausrüstung?
Wenn Menschen an Krieg denken, denken sie logischerweise zuerst an Waffen. Aber es bedarf mehr, um sich gegen einen solchen Angriff zur Wehr zu setzen. Es gibt in der Geschichte viele Beispiele, dass Kriege verloren gegangen sind, weil Soldaten zum Beispiel nicht die richtige Kleidung hatten, als der Winter ausbrach. Das kann eine entscheidende Rolle spielen.
Kann das Deutschland liefern? Wir tun uns ja schon schwer, die eigene Bundeswehr vernünftig einzukleiden.
Wir liefern an die Ukraine, sofern möglich, auch aus dem Bestand der Bundeswehr und beziehen das Material für unsere Soldaten und Soldatinnen dann wiederum vom Hersteller.
Die Schweiz hat schon zum zweiten Mal die Lieferung von Munition abgelehnt. Ist das aus Ihrer Sicht eine mutige oder dumme Entscheidung?
Die Schweiz erklärt sich für neutral, das haben wir zu akzeptieren. Die Frage, die sich allerdings aufdrängt, ist, was eigentlich wäre, wenn Deutschland oder andere NATO-Staaten angegriffen würden, und wir, um uns zu verteidigen, auf in der Schweiz hergestellte Munition zurückgreifen müssten? Wird uns das dann auch verweigert, weil die
Schweiz in Krisengebiete keine Munition liefern darf?
Also ist die eigentliche Frage der Munitions-Lieferungen aus der Schweiz viel größer als das, worum es jetzt geht?
Momentan geht es um die Munition, die für den Flugabwehrkanonenpanzer Gepard gebraucht wird, der in der Ukraine vor allem dafür eingesetzt wird, dass die Schiffe gefüllt mit Weizen und Mais ukrainische
Häfen verlassen können. Ich bin der Meinung, wir alle, auch die Schweiz, sollten alles daransetzen, eine weltweite Hungersnot zu verhindern. Denn die droht unmittelbar, wenn das Getreide die vom Hunger betroffenen Länder nicht erreicht.
Wie konnte es so weit kommen, dass Munition in einem neutralen Land produziert wird?
Bedeutet Neutralität ausschließlich, keinem Bündnis anzugehören, oder bedeutet es auch, sich außenpolitisch aus allem rauszuhalten, wenn gleichzeitig mit der Herstellung von Munition Geschäfte gemacht werden? Diese Frage müssen Ihnen die Schweizer Kollegen beantworten.
Und wieso produzieren wir Gepard-Panzer und die Schweiz die Munition dafür?
Nicht jeder Hersteller von Waffen stellt auch die entsprechende Munition dafür her. In dem konkreten Fall ist der Gepard bereits vor Jahren aus dem Bestand der Bundeswehr genommen worden. Die passende Munition dafür wurde größtenteils von Deutschland entsprechend an andere Länder weitergereicht. Dass der Gepard jetzt Bestandteil der Waffenlieferungen an die Ukraine
ist, liegt an seinem hohen Wirkungsgrad, um Luftangriffe abzuwehren. Wenn Sie so wollen, ist das Problem, dass wir nur begrenzte Munition für dieses System haben, zufällig aufgeploppt. Und wird jetzt eben zum Problem.
„Die Schweiz erklärt sich für neutral, das haben wir zu akzeptieren“
„Die Ukraine verteidigt sich und verhält sich damit völkerrechtlich konform“
Wenn Sie von einem „hohen Wirkungsgrad“sprechen, steht da ja am Ende ein toter Mensch.
Die Ukraine verteidigt sich und verhält sich damit völkerrechtlich konform. Und wir unterstützen sie dabei unter anderem auch mit letalen Waffen, mit denen man ja auch Menschen töten kann. Deswegen ist die Entscheidung, Waffen zu liefern, eben auch keine leichte Entscheidung. Da aber Tausende von Soldaten und unschuldige Zivilisten seit dem Überfall Putins auf die Ukraine ermordet, Frauen vergewaltigt und Kinder verschleppt worden sind, bleibt keine andere Wahl, als Waffen einzusetzen, um genau das zu verhindern.
Ist es ein Schutzmechanismus Ihrerseits, das in Phrasen wie „hoher Wirkungsgrad“zu verpacken?
Bei dem Terminus „hoher Wirkungsrad“handelt es sich nicht um eine hohle Phrase, sondern um eine militärische Beschreibung. Dieser Aus
druck beschreibt auch, wie sogenannte Kamikaze-Drohnen erfolgreich vom Himmel geholt und dadurch viele Menschen gerettet werden.
Was sagen Sie zu Philosophen wie Richard David Precht, die sich nach der dritten Lieferung von Waffen schon im Atomkrieg wähnen?
Ich bin Verteidigungspolitikerin und habe Realpolitik zu machen und ja auch schwere Entscheidungen zu treffen. Menschen, die um ihr nacktes Überleben kämpfen, wie das die Ukrainer seit Monaten tun, brauchen konkrete Hilfe und keinen philosophischen Diskurs. Also alles nur Panikmache?
Jeder von uns, dazu zählen auch Philosophen, sollten aufpassen, dass sie nicht Putins Narrativ sich zu eigen machen. Ich habe großes Verständnis dafür, dass sich Menschen Sorgen darüber machen, dass Putin auch eine Atomwaffe einsetzen könnte. Was sich aber
auch hinter Putins Drohungen verbirgt, ist, dass er dieses Horrorszenario als Mittel einsetzt, um uns alle zu verunsichern. So etwas nennt man psychologische
Kriegsführung, die natürlich dazu dienen soll, dass wir aufhören, die Ukraine zu unterstützen. Die Lage ist ernst, aber Panik zu verbreiten der falsche Weg. Stattdessen sollten wir die Bürger im Land sachlich informieren und unsere Entscheidungen erklären.
Trotzdem: Am Ende steht letztlich nur noch ein Mensch mit ukrainischer Staatsbürgerschaft, der den Abzug drückt. Wir statten sie aus, bilden sie aus - was unterscheidet uns da denn noch von einer Kriegspartei?
Die Vereinten Nationen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, damit nie wieder das stärkere das schwächere Land mit seiner Armee überrollt und Grenzen infrage stellt. In einer wertebasierten Welt zählt allein das Völkerrecht. Dieses erlaubt dem überfallenen Land, sich zu verteidigen, und dessen Partnern, es dabei mit Waffen zu unterstützen. Wir sind keine Kriegspartei, auch wenn Putins Sicht eine andere ist.
Wann ist ein Ende des Ukraine-Krieges in Sicht?
Das wird Ihnen keiner beantworten können. Klar ist, dass die Rechnung Putins, die Ukraine in wenigen Wochen einzunehmen, nicht aufgegangen ist.
„Menschen, die um ihr nacktes Überleben kämpfen, brauchen keinen philosophischen Diskurs“
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