Semperoper mal menschenleer
DRESDEN - Ein Opernhaus ist ein immerwährend schwirrender Bienenstock. SoauchdieDresdnerSemperoper. Die Fotokünstlerin Candida Höfer (80) zeigt die Sächsische Staatsoper jedoch komplett ohne Menschen. Der Effekt ist verblüffend, selbst für die Opernchefs ein völlig neuer Blick auf ihr Haus. Im Kupferstich-Kabinett treten Höfers großformatige Fotografien der leeren Opernräume in Dialog mit historischen Werken der Sammlung.
Den 14 Fotoarbeiten Höfers, die Hauptbühne, Zuschauersaal oder Werkstätten zeigen, architektonisch streng zentrierte Foyers oder das - wie ein Raumschiff gestrandet wirkende - Halbrund der Garderobe, sind Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen von Albrecht Dürer, Daniel Hopfer oder Giovanni Battista Piranesi gegenübergestellt, die ihrerseits von bühnenhafter Architektur, Raumperspektiven oder Szenarien in Werkstätten der Renaissance
und Aufklärung zeugen.
Für die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), Marion Ackermann (59), erfülle die Ausstellung „Candida Höfer: Kontexte. Eine Dresdner Reflexion“den wichtigen Aspekt, nicht nur historische Sammlungen vor Augen zu führen, sondern auch zeitgenössische Künstler in Korrespondenzen damit zu zeigen.
Stephanie Buck (58), Direktorin des Kupferstich-Kabinetts, ergänzt: „Wir haben viel gelernt. Was wir ja schon kannten, haben wir jetzt in den Kontexten mit den Arbeiten Höfers ganz neu erlebt.“Bewusst habe man deshalb keine konkrete Gegenüberstellung neuer und alter Werke vorgenommen, deshalb gebe es auch keine Bildunterschriften. Buck: „Aber es ergibt sich eine natürliche Logik für Betrachter.“Etwa wenn zu Beginn Höfers Fotos des Malsaals der Semperoper oder deren Materialarchivs stehen, denen Kupferstiche von Jan van de Straet (1523-1605) beigefügt sind, die Werkstätten für Buchdruck und Kupferstich zeigen.
Candida Höfer, die zur internationalen Avantgarde der Nachkriegsmoderne zählt, bevorzugt Motive architektonischer Innenräume von Schauplätzen der Kultur, die sie ohne Menschen inszeniert. Ausstellungs-Kuratorin Doreen Mende sagt: „Es ist kein Blick hinter die Kulissen, sondern Reflexion über Orte kultureller Rituale.“Damit habe das Projekt „Semper Oper Dresden“auch eine Linse für die Beschäftigung mit dem eigenen Bestand geliefert.
Peter Theiler (67), scheidender Opern-Intendant, der sein eigentlich stets bevölkertes Haus im Sommer 2023 in den Theaterferien für das Projekt geöffnet hat, zeigt sich verzückt: „Auch ein geschlossenes Theater hat etwas Faszinierendes, ist eine Verführung.“Normalerweise seien die Räume selbst außerhalb der Saison für nur wenige Nachtstunden verwaist. Deshalb waren die Fotoarbeiten ein ungewöhnlicher Aufwand, erklärt Theilers Stellvertreter, der Chefdramaturg Johann Casimir Eule (55): „Es gab genau einen Tag, den 17. Juli 2023, an
dem die meisten Aufnahmen gemacht werden konnten.“
Nur eine Woche wurde drum herum weitergearbeitet, stets mit vorhandenem Licht, ohne mitgebrachte Scheinwerfer. Candida Höfers komplizierte Aufnahmen, die erst im Studio digital im Composit-Verfahren zusammengesetzt werden, dauerten oft rund zwei Stunden pro Foto - währenddessen hatte man Arbeiter und die Besucher von Führungen von links nach rechts verschieben müssen.
Den Motiven mit ihrer jetzt schreienden Stille sehe man das nicht an. Eule: „Auch wir Theatermacher haben das Haus so noch nicht gesehen, es ist für uns alle ein großes Geschenk.“
Höfers gewaltige Fotos bestechen durch perfekt ausgeleuchtete Tiefenschärfe, sie sind zudem so ungewöhnlich tief gehängt, dass sich die gezeigten Räume wie zum Betreten in den Raum des Museums hinein öffnen. Die Schau läuft bis zum 21. Juli.