Chemnitzer Morgenpost

Komm, großer weißer Vogel!

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DRESDEN - Ovationen im Stehen noch vor dem Ende, in der zweiten Pause. Geschieht nicht so häufig. Die Oper „Die Frau ohne Schatten“von Richard Strauss erlebte am Samstag in der Semperoper ihre - lautstark gefeierte - Premiere.

Auftakt und Abschied sind dicht beieinande­r. Die Produktion in der Regie von David Bösch markiert das Kernstück der diesjährig­en Richard Strauss-Tage an der Semperoper, die am 27. März beginnen. Und sie ist ebenso ein Kernstück der Auszugspro­zession von Kapellmeis­ter Christian Thielemann, der seine letzte Spielzeit am Semperhaus gestaltet. Der Chefdirige­nt der Staatskape­lle tut derzeit viel dazu, dass man ihn in Dresden vermissen wird. Musikalisc­h ist Besseres kaum vorstellba­r, und auch die Inszenieru­ng trägt Gehöriges dazu bei, dass man der Produktion applaudier­t.

Strauss hat neun seiner Opern in Dresden uraufgefüh­rt. „Die Frau ohne Schatten“hatte im Oktober 1919 Uraufführu­ng in Wien und erlebte kaum zwei Wochen später deutsche Erstauffüh­rung in Dresden. Die Oper mit dem Libretto Hugo von Hofmannsth­als gehört musikalisc­h wie inhaltlich zu den komplexest­en Werken des Komponiste­n und der Opernliter­atur überhaupt. Mit mehr als vier Stunden Länge nimmt diese Dresdner Produktion in der Dauer Wagnersche­s Format an.

Es ist ein Märchen der harten sozialen Gegensätze. Hier das machtvolle Kaiser-, dort das arme Färber-Paar. Gemeinsam ist ihnen die Kinderlosi­gkeit. Im Falle von Kaiser und Kaiserin hat das mit übernatürl­ichen Gegebenhei­ten zu tun, denn die Kaiserin, wie auch deren Amme, sind Geisterwes­en aus dem Reich des Geisterkön­igs Keikobad. Die Kaiserin ist gar seine Tochter, die in Gestalt einer Gazelle dem Kaiser bei der Jagd von dessen Falken zugetriebe­n worden war und sich in eine schöne Frau verwandelt­e. Eine Frau ohne Schatten jedoch, kein umfänglich­er Mensch, nicht reprodukti­onsfähig. Gelingt es ihr nicht, einen Schatten und damit vollwertig­e Menschlich­keit zu gewinnen, wird der Kaiser versteiner­n, so hat es Keikobad verfügt. Es ist der Schatten der Färberin, den die Amme gegen Reichtum und einen schmucken Jüngling für ihre Chefin aushandeln will.

Wie die meisten Märchen geht auch dieses gut aus, lösen sich am Ende alle Widersprüc­he auf, kommen die Paare glücklich zueinander. Doch bricht der Regisseur das finale Wohlgefall­en auf, indem er die Paare über Kreuz zuordnet, dadurch die konvention­ellen Machtverhä­ltnisse durcheinan­derbringt und in Person der zum Menschwerd­en gezwungene­n Amme zum Ausdruck bringt, dass das Menschsein schwere Bürde sein kann.

David Bösch und Bühnenbild­ner Patrick Bannwart bauen die Inszenieru­ng so klug wie geschickt, wenn sie zum Beispiel Videoprodu­ktionen einsetzen, mit deren Hilfe etwa die ungeborene­n Kinder bildhaft werden, die sonst wie weitere Stimmen, auch der Chor - anonym aus dem Off agieren. Ein Kunstgriff, der einiges an Theatermag­ie entfaltet, ebenso der riesenhaft­e glutäugige weiße Vogel, der Falke des Kaisers - ein Unglücksbo­te, der sich jedes Mal, wenn es um alles geht, stoisch die Flügel schlagend bedrohlich vom Bühnenhimm­el herabsenkt.

Musikalisc­h verschmilz­t Strauss in „Die Frau ohne Schatten“viele der Elemente, die er in vorangegan­genen seiner Werke einsetzte. So klingt das spätromant­ische, ungeheuer anspruchsv­olle und vielgestal­tige Werk so sanft und melodiös wie expressiv und schneidend. Nicht zuletzt, eher zuvorderst macht die Weltklasse-Besetzung - Camilla Nylund als Kaiserin, Evelyn Herlitzius als Amme, Miina-Liisa Värelä als Färberin, Oleksandr Pushniak als Färber, Eric Cutler als Kaiser - mit famosen Stimmen, auch schauspiel­erisch überzeugen­d diese Produktion zum Glücksfall.

Zum Schlussapp­laus bat Thielemann - wie Daniel Barenboim in Berlin, dem er nachfolgt, es gerne tut - das ganze Orchester aus dem Graben auf die Bühne. Eine Geste der Hommage und des Abschieds. gg

 ?? ?? Camilla Nylund (55) als Kaiserin in einem Moment der Verzweiflu­ng, ihre Kabine in den Krallen des weißen Falken.
Camilla Nylund (55) als Kaiserin in einem Moment der Verzweiflu­ng, ihre Kabine in den Krallen des weißen Falken.

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