Der Völker
Die Täter blieben unbekannt: Heute vor 30 Jahren, am 6. April 1994, wurde in Zentralafrika ein Flugzeug abgeschossen, in dem sich die Präsidenten von Ruanda und Burundi befanden. Keiner überlebte. Tags darauf begann ein martialisches Gemetzel, bei dem innerhalb von 100 Tagen mindestens 800 000 Menschen grausam ums Leben kamen. Der Völkermord von Ruanda wird als der schlimmste rassistisch motivierte Genozid nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Dabei waren die beteiligten Hutu und Tutsi ursprünglich gar keine ethnisch unterschiedlichen Gruppen. Dass sie es einst wurden, lag an den Kolonialherren aus Deutschland und später Belgien.
Der gewaltsame Konflikt zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern ist so alt wie die Siedlungsgeschichte der Menschheit und wird mit Kain und Abel bereits zu Beginn des Alten Testamentes angedeutet. Die auf ihrer Scholle festsitzenden Landarbeiter haben militärisch keine Chance gegen die mobil umherziehenden Hirten. Während die Bodenhacker meist arm bleiben, werden die Viehtreiber oft reich und übernehmen allmählich die Herrschaft eines Landes.
Mitte des 19. Jahrhunderts waren in Ruanda die Hutu Landbauern und Tutsi die Viehbesitzer – es waren Bezeichnungen für soziale Gruppen. Als der König die Verwaltung seines Landes zentralisierte, besetzte er die administrativen Posten mit den reicheren Tutsi, um sich deren Loyalität zu sichern. Diese bauten ihre Macht dadurch aus.
Auf der Berliner Kongo-Konferenz teilten sich 1885 die europäischen Mächte Afrika untereinander auf. Ruanda wurde in Deutsch-Ostafrika eingegliedert. Die neuen Kolonialherren interpretierten die vor Ort vorgefundenen sozialen Verhältnisse aufgrund ihrer pseudowissenschaftlichen Lehre des Rassismus eben ethnisch. Den „Herrenmenschen“Tutsi dichtete man eine wertvollere Abstammung an. Nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“wurden Tutsi und Hutu gegeneinander ausgespielt.
Nach dem Ersten Weltkrieg übernahmen die Belgier Ruanda, auch die bisherige Unterdrückung der Hutu. In den 1930er Jahren führte man Pässe ein und somit die Festschreibung der Gruppenzugehörigkeit. Wer zum Stichtag zehn oder mehr Rinder besaß, wurde Tutsi. Vorher konnte man aufgrund seines Reichtums noch zwischen Hutu und Tutsi wechseln, doch nun wurde die Bezeichnung vom Vater auf die Kinder vererbt. Die Ressentiments zwischen den Gruppen steigerten sich. Man verinnerlichte die falsche rassische Identität, lernte einander zu hassen.
Mit der Unabhängigkeit 1962 übernahm die übergroße Mehrheit der Hutu die Macht. Das Regime trieb Zehntausende Tutsi in den Tod oder ins Ausland. Von dort aus führten die Tutsi einen Guerilla-Kampf. Über Jahrzehnte hinweg kam es in Ruanda, aber auch in den Nachbarstaaten, zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen zwischen Hutu und Tutsi. Und Anfang der 1990er Jahre war die Tutsi-Armee in Uganda so stark gewachsen, dass sie für die Hutu-Regierung in Ruanda zur Gefahr wurde. Der Präsident sah sich zu Friedensverhandlungen genötigt.
Unterdessen wurde in Ruanda die rassistische Propaganda-Maschine angeworfen. Tutsi seien Kakerlaken, Schlangen, Gewürm, welches ausgerottet werden müsse. Théoneste Bagosora, einer der obersten Militärs, ließ Todeslisten anfertigen, auf welchen nicht nur Tutsi standen, sondern auch oppositionelle Hutu. Über die Zugeständnisse bei den Friedensgesprächen zeigte er sich empört. Später fanden sich Hinweise, dass Bagosora hinter dem Abschuss der Präsidentenmaschine stecken könnte. Nur 30 Minuten später begann die „Apokalypse“, die er vorher angekündigt hatte.
Überall im Land trieben Hutu, unterstützt von Polizei und Militär, die verbliebenen Tutsi zusammen. Oft waren Kirchen Schauplatz der Massaker. Da es an Schusswaffen mangelte, wurde es ein blutiges Gemetzel. Laut später offiziellen Angaben wurden 37,9 Prozent der Hunderttausenden Todesopfer mit der Machete