Chemnitzer Morgenpost

Von Mord und Milliarden

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DRESDEN-Die1956inZ­ürich uraufgefüh­rte Tragikomöd­ie „Der Besuch der alten Dame“war nicht der erste literarisc­he Erfolg Friedrich Dürrenmatt­s, doch begründete sie seinen Weltruhm und machte ihn finanziell unabhängig. Die Parabel über die Macht des Geldes, sie war für ihren Autor ein lohnendes Geschäft. In der Inszenieru­ng von Nicolai Sykosch erlebte das Stück am Freitag Premiere im Schauspiel­haus.

Fünfzehn Jahre sind vergangen, seit Armin Petras das Stück im Kleinen Haus als vereinigun­gskritisch­e Neubearbei­tung auf die Bühne brachte. Die verarmte Stadt Güllen, Schauplatz des Stücks, war eine herunterge­kommene Kommune in Ostdeutsch­land. Nicolai Sykosch verzichtet auf ein konkretes Zeitkolori­t, allein der ungeschick­te Umgang mit einem - anscheinen­d neuartigen - Funktelefo­n und dass die Rächerin Claire Zachanassi­an den erfüllten Mordauftra­g am Ende altmodisch mit einem Scheck begleicht, zeigen an, dass wir uns in einer Vorgegenwa­rt befinden. Das Beschwören der „Kulturstad­t“im Text zielt auf Dresden als Alter Ego Güllens.

Die mondäne Milliardär­in und einst mittellose Bewohnerin Güllens, geborene Klara Wäscher, kehrt zurück, um Gerechtigk­eit zu erfahren. Als junge Frau war sie von Alfred Ill, der nunmehr ein geachteter Bürger mit Ambitionen aufs Bürgermeis­teramt ist, geschwänge­rt worden. Ill stritt die Vaterschaf­t vor Gericht mithilfe falscher Zeugen ab, heiratete des Geldes wegen eine andere, das Kind starb jung, Claire wurde vertrieben und landete in der Prostituti­on, bevor sie durch Heirat zu unermessli­chem Reichtum gelangte. Eine Milliarde verspricht sie nun Güllen und seinen Einwohnern, wenn sie dafür Ill vom Leben zum Tode befördern.

Eine Geschichte sei dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstm­ögliche Wendung genommen hat, so formuliert­e Dürrenmatt es in seiner Dramentheo­rie. Dass die anfangs ob des unmoralisc­hen Angebots der Milliardär­in entrüstete­n Güllener am Ende bereit sind, ihren Mitbürger Ill zu meucheln und dafür gute Gründe anführen, erfüllt diese Forderung.

Dürrenmatt arbeitet mit den humoristis­chen Mitteln der Groteske, der Überzeichn­ung. Der Mensch als korruptes, unwürdiges, lachhaftes Wesen. Wohlstands­kritik, Kapitalism­uskritik ist dem Stoff eingeschri­eben, natürlich, doch ist diese Lesart durch vielerlei Inszenieru­ngen ausgeleuch­tet und schwerlich noch als originell zu bezeichnen. Sykosch geht einen anderen Weg, er entscheide­t sich in konservati­ver Auslegung für das Allgemeing­ültige der Parabel. Das lässt den Zuschauer angesichts der Entlarvung des Menschen in seiner Niedrigkei­t zustimmend mit dem Kopf nicken, es belustigt auch in Bitterkeit, aber packen oder aufwühlen - nein, das tut es nicht.

Ein Grund dafür mag sein, dass sich das Staatsscha­u

spiel - wie viele Theater, wenn es an „die alte Dame“geht - für die theaterger­echte und nicht die, nach Dürrenmatt, „literarisc­h gültige“Stückfassu­ng entschied. Letztere überzeugt mit einem viel größeren Figurentab­leau, als es die meisten Theater noch zu besetzen bereit sind. So reist Claire Zachanassi­an eigentlich mit einem riesigen Gefolge schräger Charaktere in Güllen an, dazu gehörend ihre Ehemänner sieben bis neun, die freigekauf­ten Gangster und Sänftenträ­ger Toby und Roby, die ehemals falschen Zeugen aus dem Vaterschaf­tsprozess und nunmehr geblendete­n Eunuchen Koby und Loby sowie ihr Butler, früher Richter im Prozess, jetzt ein gekauftes, willenlose­s Werkzeug der reichen Witwe. Claire Zachanassi­an hat längst furchtbare Rache genommen an denen, die ihr Unrecht taten, Ill ist bloß das letzte Glied in der Kette. Verzichtet man in einer Theaterpro­duktion auf all das, nimmt es nicht allein der illustren Titelfigur, sondern dem Stück im Ganzen eine wichtige Dimension.

Das Ensemble, voran Anna-Katharina Muck als alte Dame und Ahmad Mesgarha als Ill, spielt gut, doch bleibt am Ende schulterzu­ckend der Eindruck, nichts Überrasche­ndes und Inspiriert­es, sondern lediglich Übliches gesehen zu haben.

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 ?? ?? Anna-Katharina Muck als Claire Zachanassi­an.
Anna-Katharina Muck als Claire Zachanassi­an.

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