Fake News: Wie geht die Re Desinformationen auf TikTok
Digital-Experte Konstantin von Notz (53, Grüne) fordert strengere Regeln für soziale Netz
BERLIN - Es sind einige der größten Herausforderungen unserer Zeit. Wie gehen wir um mit der meinungsbildenden Macht sozialer Medien, den immer realistischeren Erzeugnissen von künstlichen Intelligenzen oder russischen Troll-Angriffen um? Im Gespräch mit der MOPO erläutert Regierungsexperte Konstantin von Notz (53, Grüne) mögliche Lösungsvorschläge.
Herr von Notz, wie finden Sie das neue TikTok-Profil vom Bundeskanzler?
Konstantin von Notz: Ich selbst bin nicht bei TikTok, habe aber natürlich die Berichterstattung darüber mitbekommen. Es bleibt ein Balanceakt: Grundsätzlich finde ich es nachvollziehbar, dass man TikTok nicht den Nazis und Staatsverächtern überlassen möchte.
Dennoch ist es zumindest merkwürdig, immer wieder vor dem Einfluss Chinas auf und durch TikTok zu warnen und sich ausgerechnet dort als Kanzler ein Profil anzulegen …
Das stimmt. Es ist ein Widerspruch, bei dem ich für mich selbst am Ende eine andere Entscheidung treffe.
Sie sind dafür bekannt, nicht nur mit TikTok zu hadern, sondern auch mit Facebook, X und Co.
Richtig, grundsätzlich bin ich dafür, diese Unternehmen hart zu regulieren und sie zugleich nicht den Leuten zu überlassen, die versuchen, unsere Demokratie abzureißen. Da sollten auch andere Stimmen sein und deswegen möchte ich niemandem einen Vorwurf machen.
In einem Gespräch mit dem „Spiegel“sagten Sie jüngst, der „Aufstieg von rechtsextremen Parteien hat in vielen westlichen Ländern mehr mit dem Konsum sozialer Medien zu tun als mit der Politik von Frau Merkel oder der Ampel“. Wie meinen Sie das?
Wir koppeln den Aufstieg der Rechtsextremen an die Flüchtlingskrise 2015 oder die Corona-Maßnahmen der Regierung. Tatsächlich ist es doch aber so, dass es kaum eine Demokratie auf diesem Planeten mehr gibt, die nicht unter massivem Druck von rechts steht. In diesen Ländern wird häufig eine komplett andere Politik gemacht. Die großen Fluchtbewegungen gab es 2015 in den USA beispielsweise so nicht, dennoch ist Trump mit einer sehr AfD-ähnlichen Agenda dort nach oben gekommen.
Kurzum: Social Media begünstigt den Aufstieg von Extremen und antidemokratischen Kräften?
Es hat auf jeden Fall viel damit zu tun, ja. Übrigens meine ich nicht nur Rechtsextremismus. Auch der IS, andere Extremisten und Demokratiefeinde nutzen Social Media für ihre zugespitzte, falsche, aber durchaus klickbare und auch eingängige
Propaganda. Und bisher haben wir als Demokratie und Rechtsstaat dafür noch keinen guten Umgang gefunden.
Schwierig sind auch die eigenen Standards und Richtlinien solcher Portale wie TikTok. Während ein Video von Mario Barth gegen das Gendern gesperrt wird, gehen Rechtsaußen-Meinungen viral …
Genau solche Fälle sind das Kernproblem. Facebook und Co. saßen alle schon in meinem Büro und meinten: „Gesetze sind ja schön und gut, Herr von Notz, aber wir machen das selbst. Wir sind ein globales Netzwerk und Sie können doch nicht erwarten, dass wir da auf jedes einzelne Land eingehen. Wir setzen unser
eigenes, weltweit geltendes Recht.“Das ist vollkommen verrückt, führt zu Willkür und dazu, dass diese Konzerne nach Gutdünken über sehr relevante Öffentlichkeiten entscheiden.
Ein gutes Beispiel dieser Stelle ist doch Elon Musk, oder?
Jemand wie Musk hat eine klare politische Agenda. Er hat Twitter ja nicht ohne Grund gekauft. Wie der die Algorithmen einstellt, nach welchen Kriterien er Meinungen pusht oder auch nicht, das macht er einfach so, wie es ihm gerade passt. Der Staat ist deshalb in der Pflicht, einen bestimmten Rechtsrahmen zu setzen.
Ist die Idee von Social Media für Sie schon gescheitert?
Nein, das glaube ich nicht. Social Media ist ein Teil unserer Wirklichkeit. Bislang haben wir es - auch aufgrund von wirtschaftlicher an auch Macht und einem geschickten Agieren dieser weltweit handelnden, sehr mächtigen Konzerne - versäumt, entsprechende Standards zu schaffen und diese auch durchzusetzen. Das ändert sich erst jetzt - langsam.
Sollte der richtige Umgang mit Social Media nicht schon an Schulen gelehrt werden?
Es wäre zweifellos enorm hilfreich, wenn auch Lehrkräfte zunächst ein gewisses Verständnis davon hätten, was überhaupt passiert. Natürlich muss man schreiben/lesen/ rechnen lernen, aber es ist doch völlig verrückt, dass die sehr lebenspraktischen und überlebenswichtigen Dinge unserer Zeit oftmals noch keinerlei Eingang in Lehrpläne gefunden haben. Die Schule sollte ein Ort sein, an dem Realität vermittelt wird und man sich kritisch mit ihr auseinandersetzt. Wir bringen Kindern doch auch bei, wie man sich richtig im Straßenverkehr verhält - und stempeln ihn nicht per se als lebensgefährlichen Raum ab.
„Staat ist in der Pflicht, Rechtsrahmen zu setzen“
„Kennzeichnungspflicht muss kommen“
Nicht mehr lange, dann können KIs ganze Gespräche nachstellen, die so nie stattgefunden haben. Das wird doch ein riesiges Problem, gerade in Altersgruppen, die so schon Probleme im Umgang mit der modernen Technik haben, oder?
Das ist schon heute ein krasses Problem. Es ist meiner Meinung nach unerlässlich, dass eine Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Inhalte und Bilder kommen muss. Es muss einfach sofort zu sehen sein, dass das kein echter Mensch war. Es wird ein bestimmter Standard gesetzt, und wenn der nicht eingehalten wird, gibt es Sanktionen.
Auch Fakeprofile sind im KIZusammenhang schon heute ein großes Problem.
Genau, da ist X ein gutes Beispiel. Es werden einfach haufenweise falsche Realitäten generiert. Ein Beispiel: Jemand schreibt etwas Progressives, darunter finden sich aber Hunderte Kommentare, die den Autor geradezu ausbuhen. Bei genauem Hinsehen ist dann aber festzustellen, dass da gar niemand gebuht hat, sondern es einfach nur irgendwelche von Putin generierten Trolle waren. Hier kommt es zu sehr bewussten Diskursverschiebungen, die das Ziel verfolgen, unsere Gesellschaft zu spalten.
Wie funktioniert so eine russische Desinformationskampagne im Internet?
Das kann so pauschal gar nicht gesagt werden, da gibt es ganz unterschiedliche Strategien und Kampagnen. Aber an Beispielen wie dem Brexit, der letzten US-Wahl oder auch Unabhängigkeitsreferenden, z.B. in Katalonien, war ganz massiv zu beobachten, dass bewusst in
Spaltungsthemen reingegangen wird. Jetzt im Augenblick ist es der Gaza-Konflikt, wo Trolle intensiv am Werk sind und Propaganda sehr gezielt pushen, um gesellschaftlich zu spalten.
Das ist auch der Grund, warum auch die AfD und andere Extremisten immer gegen diejenigen gehen, die in der Mitte unserer Gesellschaft den Konsens herstellen. Das ist genau das, was sie nicht wollen. Warum werden wir Grünen derzeit so scharf angegriffen? Das liegt natürlich daran, dass wir eine durchaus einflussreiche Partei sind, die mit der SPD, der FDP, der Linken und der Union koalieren kann. Immer mit dem Ziel, um den Kompromiss in der Mitte zu finden. Oder einst Frau Merkel, die in der Mitte unserer Gesellschaft den Konsens organisiert hat. Die Logik dieser Kampagnen ist es, immer die Extreme zu pushen. Sie sollen sagbar gemacht werden.