A. LANGE & SÖHNE ODYSSEUS
FANS UND SAMMLER VON A. LANGE & SÖHNE BEWEGTE VIELE JAHRE LANG EINE FRAGE: BRINGT DIE MANUFAKTUR AUS GLASHÜTTE IRGENDWANN EINMAL EINE UHRENLINIE IN EDELSTAHL? UND WENN JA, WANN? JETZT IST ES SO WEIT.
Mit einem Paukenschlag hat die Glashütter Manufaktur ihre erste Serienuhr in Stahl präsentiert. Chronos nimmt sie unter die Lupe und interviewt CEO Wilhelm Schmid.
PATEK PHILIPPE hat eine, Vacheron Constantin hat eine und Audemars Piguet sowieso: Sportliche Luxusuhren aus Edelstahl gehören zum Programm der großen, bekannten Top-luxusuhrenmarken. Eigentlich. A. Lange & Söhne machte da bisher eine Ausnahme. Wer eine Lange kaufte, konnte zwischen Gold – in verschiedenen Farbtönen – und Platin wählen. Nicht zuletzt angesichts der geringen Stückzahlen (die Marke selbst spricht von Zahlen zwischen 5000 und 7500) schien im Produktfolio der Glashütter Manufaktur bisher kein Platz zu sein für eine Stahluhr à la Royal Oak, Nautilus oder Overseas. Nicht, dass es noch nie ein Stahlmodell von Lange gegeben hätte, aber da handelte es sich um winzige Sonderserien oder Einzelstücke, die zum Teil bei Auktionen zu hohen Preisen verkauft wurden (roter Balken rechts). Gleichwohl hörte man seit Jahren, dass das Thema Stahluhr in den Chefetagen diskutiert wurde.
Start einer neuen Modellfamilie
Jetzt ist es so weit: Am 24. Oktober 2019 stellte A. Lange & Söhne die erste in Serie gebaute Stahluhr vor – genau 25 Jahre, nachdem der damalige Markenchef Günter Blümlein Langes erste Uhrenkollektion nach dem Zweiten Weltkrieg präsentiert hatte, darunter die zur Ikone gewordene Lange 1 und das Tourbillon Pour le Mérite.
DURCH DIE KLEINE SEKUNDE IST DIE ODYSSEUS SOFORT UND EINDEUTIG ALS LANGE-UHR ERKENNBAR.
Der Name der neuen Uhr ist Odysseus. Sie bildet den Auftakt zu einer neuen Linie bei A. Lange & Söhne: der sechsten nach Lange 1, Saxonia, 1815, Richard Lange und Zeitwerk. Bei der Odysseus fällt gleich Mehreres ins Auge. Da ist zunächst das dunkelblau lackierte, im klassischen Lange-stil gehaltene Messingzifferblatt. Ausnahmsweise ist es nicht aus Silber, da die dünne Lackschicht an den Kanten sonst die Gefahr des Oxidierens bergen würde. Lange arbeitet absichtlich mit relativ wenigen (elf) Lackschichten, um die Rillen und Kanten auf dem Zifferblatt scharfkantiger erscheinen zu lassen. Auf dem Zifferblatt findet man die typischen Erkennungszeichen der Marke: Schriftzug, Zeiger und kleine Sekunde, deren Zeiger durch sein langes Gegengewicht so gut erkennbar ist. Dann das Großdatum: Es ist zum ersten Mal bei einer Langeuhr bei drei Uhr platziert. Um ein optisches Gegengewicht zu schaffen, finden wir bei neun Uhr eine Wochentaganzeige, die aus zwei Buchstaben besteht – übrigens in derselben Schrift wie das Markenlogo. Man hätte bei einer sportlichen Luxusstahluhr vielleicht eine Zentralsekunde erwartet, aber gerade durch die kleine Sekunde, deren Kreis fast bis zur Zifferblattmitte reicht, ist die Uhr sofort und eindeutig als typische Lange erkennbar. Das ist auch gut so, denn das Äußere der Uhr bietet viel Neues. Da ist vor allem das breite fünfreihige, integriert ausgeführte Stahlband.
Mehr als alles andere verleiht es der Odysseus ihren sportlichen Charakter. Geöffnet und geschlossen wird das Band mit einer Faltschließe, auf der ein neu anmutendes Logo prangt, das dem runden Markenschriftzug auf der Krone entlehnt ist. Die Schließe erlaubt eine Feinverstellung um sieben Rastpositionen. Das Gehäuse selbst ist rund, besitzt aber auf der rechten Seite integrierte Drücker: Mit dem oberen kann man das Datum, mit dem unteren den Wochentag schnellverstellen. Gleichzeitig ist diese Drückerkonstruktion ein geschicktes Designmerkmal: Sie macht die eigentlich runde Odysseus zu einer Uhr mit Ecken und Kanten und unterstreicht so ihren sportlichen Charakter. Hier wäre ein optisches Gegengewicht auf der linken Seite keine gute Idee gewesen, denn dann wäre die Uhr gestalterisch zu nah an die Nautilus gerückt – ein Fettnäpfchen, in das Lange bewusst nicht getreten ist.
DIE DRÜCKER MACHEN DIE EIGENTLICH RUNDE ODYSSEUS ZU EINER UHR MIT ECKEN UND KANTEN UND UNTERSTREICHEN IHREN SPORTLICHEN CHARAKTER.
Neues Automatikkaliber
Wie immer bei einem neuen Modell hat Lange auch hier ein neues Werk entwickelt; es ist bereits das 64. Manufakturkaliber seit 1994. Die beiden ersten Ziffern seines Namens L155.1 Datomatic lassen erkennen, dass die Entwicklung 2015 begann. Wie es sich für eine sportliche Uhr gehört, zieht das Kaliber, das 50 Stunden Gangreserve bietet, automatisch auf. Dafür sorgt ein einseitig wirkender, skelettierter Zentralrotor mit Schwungmasse aus Platin, auf dem das Wort „Datomatic“in erhaben ausgeführter Gravur zu lesen ist. Eine handgravierte Unruhbrücke ersetzt den sonst verwendeten Kloben. Die Unruh selbst schwingt mit vier Hertz (28 800 Halbschwingungen pro Stunde) nicht nur schneller als in anderen Lange-kalibern, sie wird außerdem mit vier versenkten Schrauben reguliert. Sie stehen nicht über den Unruhreif hinaus, sodass es zu weniger Luftverwirbelungen kommt. Diese Konstruktion sorgt zusammen mit der höheren Frequenz und der Unruhbrücke insgesamt für eine höhere Belastbarkeit des Uhrwerks, wie es sich für ein sportliches Modell geziemt.
Dazu passt auch das wasserdichte Gehäuse, das nicht zuletzt dank einer verschraubten Krone eine Druckfestigkeit bis zwölf Bar
(120 Meter) gewährleisten soll. Die keilförmigen Drücker sind speziell abgedichtet. Trotzdem gerät das Ganze nicht zu groß: Mit einem Durchmesser von 40,5 Millimetern und einer Höhe von 11,1 Millimetern hat die Odysseus angenehme Proportionen. Die
Uhr liegt angenehm am Arm, die Lünette rutscht gut unter die Manschette, und auch die Härchen werden vom Armband nicht eingeklemmt.
Alles in allem ist die Odysseus eine sehr gelungene Uhr. Sie hat das, was eine sportliche Luxusuhr mitbringen muss: eine gewisse Robustheit genauso wie eine erstklassige Verarbeitung in allen Details. Sie gibt der Marke ein neues Gesicht, ohne sich zu weit von den bekannten Elementen des Lange-designs zu entfernen. Am Ende des Tages hat das Ganze dann auch seinen Preis: Mit 28 000 Euro liegt die Odysseus noch oberhalb ihrer Konkurrenzmodelle Patek Philippe Nautilus, Audemars Piguet Royal Oak und Vacheron Constantin Overseas. [10840]