RAW-Serie (Teil 3)
Grenzen der RAW-Entwicklung: Thema im letzten Heft war der optimale Workflow einer RAW-Entwicklung. In dieser Folge geht es um die Grenzen und die Frage, welchen Preis man für optimale Schärfe zahlt. Wo liegt der beste Kompromiss?
Potenzial und Grenzen von RAW
Natürlich ist die perfekte RAW-Entwicklung stark vom Motiv abhängig – und letztlich auch Geschmackssache. Da sind sich alle einig. Danach trennen sich die Meinungen schnell. Wir zeigen deswegen hier anhand von drei Kameras unterschiedliche Lösungen mit verschiedenen Schwerpunkten. Im ersten Schritt schaut Reinhard Merz, was er aus dem Rohmaterial maximal herausholen kann. Im zweiten Schritt geht es dann um eine ausgewogene Abstimmung, die Rauschen, Auflösung, Feinzeichnung und einen natürlichen Bildeindruck berücksichtigt. Insgesamt sind die Differenzen zwischen den NEF der Nikon D750, den CR2 der Canon EOS 5D Mark IV und den ARW der Sony Alpha 9 eher moderat. Was generell auffällt: Bei Außenszenen mit Licht satt sind auch Aufnahmen mit ISO 1600 qualitativ sehr gut, der Unterschied zu ISO 100 ist moderat. Für die Praxis heißt das: Wo ohnehin viel Licht ist, kann man den ISO-Spielraum gut nutzen, etwa für sehr kurze Verschlusszeiten bei ActionAufnahmen. Bei unserer Innenraum-Szene sind die Unterschiede dagegen wesentlich deutlicher. Bei wenig Licht macht es natürlich trotzdem Sinn, im Zweifelsfall eher die Empfindlichkeit hochzudrehen statt in Verwacklungsunschärfen zu laufen. Man sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, welchen Preis man dafür zahlt. Wir haben deswegen dieses deutlich komplexere Motiv zur besseren Darstellung für den Workshop im Heft ausgesucht.
Gnadenlose Schärfe
Wie haben wir das Bild optimiert? Während wir für die Grundeinstellungen das Histogramm und den Gesamteindruck zurate zogen, wie in der letzten Ausgabe von COLORFOTO beschrieben, ging es anschließend in die Detailarbeit. Wie lässt sich das Potenzial des Vollformats wirklich ausreizen? Um dieser Frage nachzugehen, haben wir die rechte Flasche im Regal links vom Türrahmen im 2:1-Modus zunächst bei ISO 100 begutachtet und mit den Menüs Präsenz und Details auf die Lesbarkeit des Etiketts hin optimiert. Zu beantworten war die Frage, ob der Name der Bodega (Fernández de Arcaya) und der Jahrgang (1995) lesbar dargestellt werden können. Zur Erinnerung: Die Fläche dieses Etiketts beträgt gerade einmal etwa 0,2 Promille des Vollbildes – wir reden also tatsächlich von einem winzigen Detail. Danach mussten zwei Beobachter, die das Original nicht kannten, versuchen, die Schrift zu entziffern. Anschließend wurden die gleichen Einstellungen auf die ISO-1600-Aufnahme übertragen und im zweiten Schritt für diese Empfindlichkeit optimiert. Dabei haben wir auch die Blätter am linken oberen Ende der Pflanzenwand unter die Lupe genommen. Dort treten bei überzogenem Schärfen gut sichtbar helle Säume auf, die den Bildeindruck ruinieren. Im richtigen Leben gilt es natürlich, diese zu vermeiden. Das ISO-100-NEF der Nikon D750 meistert die Schärfe-Aufgabe locker. Mit der entsprechenden Schärfung (Betrag >100) sind sowohl „Arcaya“als auch „1995“zweifelsfrei lesbar, eine leichte Reduktion des Farbrauschens rundet die Einstellung ab. Klont man die Einstellung auf ISO 1600, springt einen die Pixelwüste förmlich an. Die Erfahrung sagt, dass es Buchstaben sein müssen, die da auf dem Etikett prangen, lesbar ist nichts. Mit einer Rücknahme des Betrags bei gleichzeitiger Erhöhung der Schärfen-Werte für Details und Maskieren sowie der Rauschreduzierungs-Werte für Luminanz und Farbe wirkt das Bild ausgeglichener, das Etikett bleibt aber unlesbar. Die ISO-100-CR2 der Canon 5D Mk IV sind schon bei weit geringerer Schärfung (<80) am Schärfe-Optimum angekommen, hinken allerdings hinter denen von Nikon einen Tick hinterher. Während der in größerer Type gehalte-
ne Name „Arcaya“noch gut lesbar ist, bleiben beim Jahrgang Zweifel. Bei ISO 1600 verkehrt sich das dann ins Gegenteil. Schon die von ISO 100 übernommene Einstellung wirkt ausgewogen und bei leicht weniger schärfen und sehr dezenter Rauschreduzierung lässt sich sogar bei ISO 1600 zumindest erahnen, was auf dem Etikett steht. Die Alpha 9 schließlich liegt nahe bei der Nikon, aber in allen Enden noch etwas ausgeprägter. Nirgendwo war die Etiketten-Schrift in unserem Setting besser lesbar als bei den 100-ISOSony-ARWs. Im Vergleich zu den Nikon-NEFs sind dazu deutlich höhere Werte bei der Maskierung erforderlich. Nutzt man die gleichen Werte bei ISO 1600, ist das Bild arg zerfressen, schräge Linien werden zu Treppen. Mit starker Rücknahme des Schärfens und moderater Anhebung der Reduzierung des Luminanz- und Farbrauschens kann das Bild deutlich Boden gut machen, an Lesbarkeit auf dem Etikett ist aber trotzdem nicht zu denken.
Schärfe ungleich gutes Bild
Diese Bilder zeigen sehr gut, wie weit sich die Detailschärfe eines Bildes tatsächlich verbessern lässt. Wenn man sich dann aber andere Bildteile anschaut, wie die Blätter am Rand der grünen Wand, sind die Konsequenzen brutal. Denn zu viel Schärfe zerstört andere Bereiche des Bildes gnadenlos. Schlecht eingestellte Kameras bekommen Ähnliches hin, und das führt im COLORFOTO-Test zu harten Punktabzügen. Wer also nicht nur kriminalistisch sein Bild erkunden will, muss einen anderen Ansatz wählen. Für eine möglichst ausgewogene Darstellung auf dem Bildschirm eignet sich der Topf mit den Sukkulenten in der unteren Bildhälfte. Hier liegen glatte Flächen, Farbverläufe und Kanten in unmittelbarer Nachbarschaft beieinander. Wenn man es schafft, diesen Bildteil möglichst gut darzustellen, ist das gesamte Bild im nahe am Optimum. Die CR-2-RAWs der Canon benötigen auch hier vergleichsweise wenig Anpassung. Farbrauschen ist kaum zu erkennen, entsprechend wenig muss entrauscht werden. Letztlich sorgen ein moderates Schärfen um die 30 und eine Luminanz Rauschreduzierung um etwa 25 für den besten Gesamteindruck. Ähnlich verhalten sich die Nikon-NEFs. Sie brauchen mehr Schärfe (Wert nahe 40), kommen aber auch mit moderater Rauschreduzierung aus. Die
ARWs der Sony benötigen den gleichen Tacken mehr Schärfe als die NEFs und zudem mehr Rauschreduzierung, sowohl bei Farbe als auch bei der Luminanz. Dafür wird das Ergebnis noch einen Hauch plastischer, was sich vor allem in den dunkleren Bereichen der Blätter zeigt. Diese Beispiele zeigen, wie sich die einzelnen Faktoren bei der RAW-Entwicklung gegenseitig beeinflussen und dass man letztlich immer irgendeinen Tod sterben muss. Gut ist es im Vorfeld zu wissen, wofür das Bild letztendlich verwendet werden soll. Denn nicht jedes Rauschen, das bei 1:1-Ansicht auf dem Bildschirm stört, ist auch später im Druck erkennbar, und unser kleines Etikett ist in einem A4 großen Fotobuch ohnehin nicht lesbar – auf einem A1-Ausdruck dagegen schon.
Selektive Werkzeuge
Feintuning ist also letztlich immer ein Balanceakt zwischen Schärfen (mehr Rauschen, feinere Details) und Glättung (weniger Rauschen, Detailverlust). Und die verschiedenen Bildteile benötigen oft unterschiedliche Einstellungen. Für den letzten Optimierungsschritt kommen deshalb die selektiven Werkzeuge von Lightroom zum Einsatz. Der Verlaufsfilter, der Radialfilter und der Korrekturpinsel erlauben Korrekturen an ausgewählten Bildteilen: Sie befinden sich zusammen mit dem Freistellwerkzeug und den Werkzeugen zur Bereichsreparatur und zum Entfernen von Roten Augen unter dem Histogramm. Diese drei Werkzeuge erzeugen Masken, die sich in ihrer Form unterscheiden. Beim Verlaufsfilter nimmt die Wirkung von der Anfangslinie zur Endlinie linear ab, er eignet sich z.B. um bei einer Landschaftsaufnahme den Himmel unabhängig vom Vordergrund anzupassen. Beim Radialfilter ist die Maske rund, und er dient zur Korrektur von kleineren runden oder ovalen Strukturen. Beim Korrekturpinsel schließlich lassen sich freie Formen auftragen. Die erzeugte Korrekturmaske kann zum besseren Arbeiten ein- und ausgeblendet werden. Dabei kann man zwischen den Maskenfarben Rot, Grün, Weiß und Blau umschalten, um die Maske bei jedem Bildhintergrund gut zu erkennen. Verlaufsfilter, Radialfilter und Korrekturpinsel bieten eine ähnliche Palette an Korrekturen mit vielen Werkzeugen aus den Grundeinstellungen, die dann nur im ausgewählten Bildbereich ausgeführt werden. Unter dem Menü für die drei Werkzeuge kann man die einzelnen Effekte feintunen und die entsprechenden Einstellungen auch speichern. Mit dem Regler Betrag lässt sich dabei der Gesamteffekt der Maske verstärken oder abschwächen, ohne dass man dazu die einzelnen Regler nachjustieren muss – immer dann von Vorteil, wenn man zum Anpassen an mehreren Reglern gleichzeitig gearbeitet hat. Die selektiven Werkzeuge kommen bei mir immer dann zum Einsatz, wenn ich ähnliche Bilder habe, die in gleicher Weise bearbeitet werden sollen. Man könnte noch vieles mehr in Lightroom machen – etwa störende Bildelemente entfernen, aus Einzelbildern HDR-Aufnahmen erstellen oder Bilder in Schwarzweiß konvertieren. Für all das ist Lightroom ein großartiges Werkzeug. Ich erledige das dann aber lieber in Photoshop, letztlich ist das eine Frage der Gewohnheit.