Ausgereift
EOS 5D Mark IV. Sie ist kein Update, sondern eine echte Neuentwicklung. Sabine Schneider hat ihre Neuerungen ausgiebig in der Praxis ausprobiert.
Mit einem Preis von 3200 Euro ist die EOS 5D Mk IV vergleichsweise teuer. Doch als Gegenwert bekommt der Fotograf eine verbesserte Ausstattung und profitiert von der höheren Leistung des neuen 30-MegapixelBildsensors – er hat 8 MP mehr als der Bildsensor der Mark III. Rein äußerlich unterscheidet sich die 5D Mark IV mit ihren zahlreichen Direktzugriffen zunächst kaum von ihrer Vorgängerin. In der Praxis lernt man aber ihr helles 100-Prozent-Sucherbild und vor allem die neue, praktische Touchfunktion des großen 3,2-Zoll-Displays schnell zu schätzen.
Dual-Pixel-RAW und Speicher
Der Clou am neuen Mark-IV-Sensor ist seine spezielle „Dual Pixel“-Struktur und das darauf basierende flotte Autofokus-System im Live-View-Betrieb: Jedes Pixel des Sensors besteht aus zwei Subpixeln. Die nutzt die 5D Mk IV, um das Bild aus zwei leicht unterschiedlichen Blickwinkeln zusammenzusetzen. Das ermöglicht nachträgliche Bildkorrekturen und ein hohes AFTempo selbst im Live-View. Auch beim Filmen profitiert man von einer präzisen und sehr leisen Schärfenachführung. Hinzu kommt eine etwas schnellere Serienbildgeschwindigkeit mit 7 B/s statt bislang 6 B/s. Last but not least: Up to date ist die Mark IV auch in puncto Video mit 4K-, Zeitraffer- und Zeitlupen-Aufnahme. GPS, integriertes WLAN und NFC-Funktionalität runden die zeitgemäße Ausstattung ab. Die entscheidende Neuerung versteckt sich hinter dem Begriff „DPR-Format“: Aktiviert man im Menü „Dual Pixel RAW“, zeichnet die Kamera eine RAWDatei auf, die aus zwei Aufnahmen aus leicht unterschiedlichen Blickwinkeln besteht. So kann der Fotograf nachträglich die Schärfe oder das Bokeh verlagern sowie Lichtreflexionen reduzieren. Wie gut das funktioniert, klären wir auf
Seite 40. Das Prozedere ist mit sehr hohem Speicheraufwand von bis zu 80 MB pro Datei verbunden. Gut, dass die Canon zwei Speicherkarten-Steckplätze für SD- und CF-Karten bietet. Allerdings unterstützen diese nicht den schnellen UHS-II oder CFast-Standard, sodass größere Datenmengen Probleme bereiten können.
Ausstattung und Bedienung
Wie bei der Mark III basiert das Handling auf drei Säulen: dem Schnellmenü (Q-Menü), den Direkttasten und dem Kameramenü selbst. Im Schnelleinstellmenü lassen sich die wichtigsten Parameter für Aufnahme und Wiedergabe direkt anpassen. Dazu dient die Q-Taste auf der Kamerarückseite oder der Touchscreen. Per Multicontroller wird die Funktion selektiert und durch Drehen des Haupt- oder Schnellwahlrads festgelegt. Alternativ lassen sich jetzt auch sämtliche Änderungen direkt auf dem Monitor vornehmen. Das individuelle Schnellmenü kann man aus einzelnen Bausteinen selbst zusammenstellen oder neu anlegen.
Direkttasten
Wer seine Kamera regelmäßig einsetzt, profitiert von den zahlreichen individualisierbaren Direkttasten (Individualmenü 3, Customsteuerung). Die Mehrzahl ist mit zwei Funktionen belegt: Möchte man zum Beispiel die Empfindlichkeit ändern, genügt es, die Taste +/-ISO zu drücken und den Wert mit dem Schnellrad anzupassen; wobei man die zweite Option der Belichtungskorrektur mit dem großen Hauptrad des Vierwegeschalters regulieren kann. Für die Beurteilung der korrekten Belichtung am besten geeignet ist das Histogramm. Tippen Sie so oft auf die Info-Taste, bis es im Live-Monitor sichtbar wird. In der Wiedergabeansicht gibt es auch eine Überbelichtungswarnung. Ebenfalls in der Wiedergabeansicht lässt sich im Wiedergabemenü 3 bei „Histogramm“auf RGB umstellen, um die Helligkeit in den einzelnen Farbkanälen zu beurteilen.
Kameramenü
Ein Druck auf die „Menü“-Taste führt zu den Hauptregisterkarten (Aufnahme, AF, Wiedergabe, Einstellungen, Individual und My Menue). Darunter navigiert man durch die untergeordneten
Registerkarten mit fortlaufender Nummerierung und durch die einzelnen Menüelemente. Per Q-Taste kann man übrigens flugs von der ersten auf die nächste Registerkarte hüpfen. Zum Navigieren durch die Unter-Registerkarten nutzen Sie das Hauptwahlrad, die Menüelemente werden per Schnellwahlrad oder Multicontroller markiert. Alternativ kann das Ganze auch per Touchscreen eingestellt werden.
Sucher und Monitor
Der optische Sucher bietet 100 % Bildfeldabdeckung, eine effektive Vergrößerung von 0,71x sowie einblendbare Gitterlinien und eine Wasserwaage. Neben dem Motiv zeigt er alle wichtigen Aufnahmeparameter an. Diese können Sie einstellen oder ändern, ohne das Auge vom Sucher nehmen zu müssen. In der Sucheranzeige erhalten Sie detaillierte Informationen unter anderem über Autofokus, Akku, Bildformat, Weißabgleich und Belichtungsmessmethode. Spezielle „Warnsymbole“werden unten rechts eingeblendet und informieren, wenn die gewählte Funktion andere Aufnahmemodi behindern (etwa der „HDR-Modus“). Mit „Flickr!“weist die Kamera speziell auf Flackern in der Beleuchtung hin. Unterhalb da- von stehen Daten wie Blende, ISOEmpfindlichkeit, Belichtung, Reihenaufnahmen, Blitzbereitschaft mit Highspeed und Blitzbelichtungskorrektur. Ein grüner „Schärfenindikator“weist auf die erfolgreiche Scharfstellung hin und das Symbol „D+“darauf, dass die automatische Kontrast-Korrektur aktiv ist (Tonwert-Priorität). Welche Informationen letztlich tatsächlich eingeblendet werden sollen, können Sie über das Einstellmenü 2 bei „Sucheranzeige“selbst definieren. Das Live-View-Bild auf dem Monitor ist in allen Aufnahmemodi verfügbar und kann per Start/Stop-Taste auf der Gehäuserückseite (de)aktiviert werden. Der Vorteil: Sie können damit im laufenden Betrieb Farben und Belichtung exakt überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Damit das Live-Bild die reelle Situation gut ablichtet, muss in Aufnahmemenü 5 die „Belichtungssimulation“auf „Aktiv“stehen; „Deaktiviert“bietet sich nur dann an, wenn Sie etwa im Studio mit Kunstlicht arbeiten. „Automatisch deaktiviert“ist die Belichtungssimulation übrigens bei Blitzaufnahmen, Langzeitaufnahmen oder im Modus B, HDR und in Kombination mit der Multishot-Rauschreduzierung. Als letzte Variante steht noch „während“zur Auswahl, wobei die Belichtungssimulation nur dann aktiviert wird, wenn man die Schärfentiefentaste drückt. In extremen Lichtsituationen kann es vorkommen, dass die Simulation nicht mehr funktioniert. Wenn Sie per „Info“-Taste die Ansicht mit allen Aufnahmeparametern wählen, können Sie dies am Blinken des Symbols „Exp. SIM“erkennen. Wollen Sie im Live-View möglichst geräuschlos fotografieren, können Sie dies im Aufnahmemenü 6 mit „Leise LV-Aufnahme“festlegen: Im Modus 1 dämpft die Kamera die Auslösegeräusche, indem die Verschlussvorgänge verzögert werden. Im Modus 2 können zwei Verschlussgeräusche zeitlich entkoppelt werden, indem die Aufnahme durch einen ersten Druck leise gestartet und erst durch Loslassen des Auslösers komplettiert wird.
Autofokus
Die EOS 5D Mark IV bietet ein ausgefeiltes AF-System mit verbessertem Autofokus, den sie vom Topmodell EOS 1DX II geerbt hat. Das AF-System besteht aus 61 AF-Feldern, darunter 41 Kreuzsensoren inklusive 5 DualKreuzsensoren. Für die perfekte Schärfe hat die 5D Mark IV drei AF-Modi im Programm: „One-Shot AF“für statische Motive sowie einen „AI Servo AF“und einen „AI Fokus AF“zum Verfolgen bewegter Motive. Damit die Kamera an der gewünschten Stelle fokussiert, stehen 7 AF-Bereiche zur Verfügung: Spot, Einzelfeld, AF-Bereichsumgebung, AFBereichserweiterung, AF-Messfeldwahl in Zone oder in großer Zone. Die „Zonenmessung“fasst Messfelder zu Gruppen zusammen. In der herkömmlichen Einstellung kann aus 9 Zonen ausgewählt werden. Die „Große Zone“unterteilt das Messfeld in nur 3 Felder.
AF-Bedienung individualisieren
Für die Wahl des AF-Bereichs drücken Sie die Taste zur „AF-Messfeldwahl“und bestätigen mit der „M-Fn“-Taste oder der „AF-Bereich“-Auswahltaste. Danach können Sie das Feld oder die Zone mit dem Finger oder per Joystick verschieben. Besonders schnell geht das, wenn Sie im Individualmenü 3 bei „Custom Steuerung“den Multicontroller mit der Option „Direktauswahl AF-Feld“belegen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, den AF-Bereich per AFMessfeldtaste auszuwählen und mit dem Hauptrad einzustellen (AF-Menü 4,
Wahlmethode „AF-Bereich auf Hauptrad“). Sollten Sie feststellen, dass Sie in der Praxis einige AF-Bereiche gar nicht benötigen, können Sie diese im AFMenü 4 bei „Wahlmodus AF-Bereich wählen“deaktivieren.
Autofokus-Bereiche
Mit „Zone“oder „Große Zone“können Sie die aktiven Fokusfelder auf einen bestimmten AF-Bereich beschränken: Bei „Große Zone“teilt die Kamera alle 61 Felder in drei Zonen auf. „Zone” zerlegt die Messfelder in 9 Zonen. Innerhalb dieser Bereiche wählt die Kamera das Motiv automatisch und fo-
kussiert darauf. So sinkt die Gefahr, dass die Kamera auf ein unwichtigeres Detail scharfstellt. Wenn Sie hingegen die „Automatische Wahl“nutzen, sind alle 61 Felder aktiv. Nun entscheidet die Kamera komplett selbstständig. Standardmäßig setzen die Bereiche „Zone“, „Große Zone“und „Automatische Wahl“eine „Intelligente Gesichts- und Farberkennung“(EOS iTR AF) ein, die optional auch in Kombination mit dem AI Servo AF bei bewegten Objekten funktioniert. Dann stellt sie sich jedoch nicht auf Gesichter, sondern auf den vorderen angepeilten Bildbereich scharf.
Die Modi „AF-Bereich Umgebung“und „AF-Bereich Erweiterung“sind die Mittel der Wahl für Motive, bei denen gezielt in einem begrenzten Bereich fokussiert werden soll, etwa spielende Kinder. Orientieren Sie sich bei der Wahl an der Größe und Bewegungsrichtung: Läuft die Bewegung vertikal und horizontal ab, ist „Umgebung“die erste Wahl, nur lineare Bewegungen lassen sich durch die Erweiterung bereits gut einfangen. Kombiniert man den One-Shot AF mit Spot- oder Einzel-AF, kann man aus 61 Feldern diejenigen auswählen, die fürs Fokussieren relevant sind, und so
sehr präzise scharfstellen. Bei kontrastarmen Motiven kann es vorkommen, dass der Spot-AF nicht korrekt fokussiert. Dann können Sie zum manuellen Fokus wechseln oder es mit manuellem Nachfokussieren probieren.
Motive in Bewegung
Mit dem AF-Betrieb „AI Servo AF“hält die EOS bewegte Motive konstant im Fokus, solange der Auslöser auf dem ersten Druckpunkt gehalten wird. Zudem bietet dieser Modus sechs Voreinstellungen im AF-Menü 1, die individuell angepasst und gespeichert werden können. Tendenziell gilt, dass Case 1 in den meisten Fällen sehr gute Ergebnisse liefert. „AI Focus“stellt eine Mischung aus One-Shot und Servo dar. Die Kamera erkennt dabei automatisch, welcher Modus der passende ist. Da die Reaktion der Kamera allerdings in dieser Kombination gerne verzögert eintritt, empfehlen wir, eine der beiden Arten eindeutig festzulegen. Zum Überprüfen der Schärfe ist es ratsam, die Funktion „Beleuchtung Sucheranzeigen“im AF-Menü 5 auf „Aktivieren“zu setzen. So leuchten die aktiven Felder kurz auf, sobald die Schärfe sitzt. Wenig sinnvoll ist diese Option aber beim AI Servo AF, da die Anzeige dann permanent blinken würde.
Fokussieren im Live-View
Zum Scharfstellen im Live-View bietet die EOS drei Optionen: Der „FlexiZone-Single“-AF für die EinzelfeldFokussierung eignet sich besonders für statische Motive, Landschaften oder auch Architekturaufnahmen. Mit dem Multicontroller lässt sich der Fokussierungsrahmen in alle vier Richtungen verschieben und springt per Löschtaste wieder in die Mitte zurück. Der „FlexiZone-Multi“bietet eine Automatik, die über eine größere Bildfläche scharfstellt. Damit eignet sich diese Methode vor allem für spontanes Ablichten oder langsam bewegte Motive. Auch bei schlechten Lichtverhältnissen ist die Methode die erste Wahl. In den Belichtungsprogrammen P bis C3 finden Sie die Möglichkeit, die Zone in weitere, kleinere Einheiten zu unterteilen und auf diese Weise den Auswahlbereich weiter einzugrenzen. Als dritte Variante bietet die EOS den „Gesichts/Verfolgungs-AF“zum Scharfstellen von Gesichtern. Wenn die Kamera dabei auf ein weniger wichtiges Gesicht oder Motiv scharfstellt, lenken Sie den eingeblendeten Rahmen einfach mit dem Multifunktionsregler – oder noch komfortabler per TouchFokussierung – auf ein anderes Gesicht oder Bereich um. Per Set-Taste wird ein doppelter Rahmen eingeblendet, der versucht, dem ausgewählten Motiv zu folgen. Schalten Sie im Quick-Menü dann den AF-Betrieb „Servo“dazu, so führt die Kamera die Schärfe mit, solange der Auslöser halb gedrückt ist.
Manueller Fokus
Für das manuelle Fokussieren bietet die Kamera verschiedene Einstellhilfen: Sofern eines der aktiven AF-Messfelder die optimale Fokussierung erkennt, leuchtet es im Sucher kurz rot auf. Es erscheint der Schärfenindikator im Sucher (grüner Punkt), und es ist ein Piepton zu hören, der sich optional im Aufnahmemenü 1 aktivieren lässt. Per 5- oder 10-facher Lupen-Funktion lässt sich am Monitor schnell klären, ob die Schärfe korrekt sitzt. Dazu genügt es, die Taste „Lupe“zu drücken, oder Sie tippen das Lupensymbol unten rechts im Monitor an. Es wird ein Auswahlfeld eingeblendet, das sich per Fingertipp oder mit dem Multifunktionswähler verschieben lässt.
AF-Feinabstimmung
Ist die Zusammenarbeit zwischen der Kamera und dem angesetzten Objektiv nicht perfekt, kann es zu leichten Fehlfokussierungen kommen. Mit der „AF Feinabstimmung“im Aufnahmemenü 5 kann die Kamera dazu eingestellt werden, kontinuierlich in eine der beiden Richtungen automatisch auszu-
gleichen. Sie können dies pauschal für alle Objektive festlegen („Alle gleichen Wert“). Zu bevorzugen ist jedoch die Einstellung „Abst. Pro Objektiv“, die individuell den Wert für 40 registrierbare Canon-Objektive vornimmt.
Dual Pixel RAW
Die EOS bietet für die Einstellung der Bildqualität verschiedene Dateigrößen und Typen an. Dazu gehört auch das neue Dual Pixel Format (DPR), das die Informationen der Subpixel getrennt speichert. Damit können Sie nachträglich kleine Verlagerungen an der Schärfe und an der Perspektive vornehmen. Am stärksten profitieren Sie davon bei Porträts oder Makroaufnahmen. Von diesem Dateiformat ausgenommen sind Mehrfachbelichtungen, HDRAufnahmen, One-Touchbilder oder Objektivoptimierungen. Man sollte allerdings keine sehr auffälligen Ergebnisse erwarten. Laut Canon – und das hat sich in der Praxis bestätigt – erhält man mit folgenden Kombinationen aus Brennweite und Motivabstand die gelungensten Aufnahmen: 1 bis 10 m bei 50 mm Brennweite, 2 bis 20 m bei 100 mm und 4 bis 40 m bei 200 mm. Im Test erzielten wir die besten Ergebnisse mit kleiner Brennweite, möglichst offener Blende und tendenziell weitem Abstand zum Motiv. Da alle Effekte zum einen aber nur sehr begrenzt ausfallen, zum anderen sich das Speichervolumen der DPR-Dateien mit rund 80 MB im Vergleich zu herkömmlichen RAWs verdoppelt, sollten Sie DPR am besten nur in Ausnahmefällen nutzen. Die Nachbearbeitung der DPRs erfolgt ausschließlich mit der mitgelieferten Canon RAW-Software „Digital Photo Professional“. Für die Bearbeitung eines DPR-Bilds wählen Sie in der Software „Extra, Dual Pixel Optimierung“. Pro Bild ist jeweils nur eine der drei Korrekturen möglich: Fokus-Verschiebung, Bokeh-Verschiebung oder Ghosting-Reduzierung (Minderung von Streulicht). Es lassen sich damit kleine Unstimmigkeiten ändern, am stärksten bei der Schärfe. Sabine Schneider