Der richtige Ausschnitt
Die gleiche Frage bei jedem Film: Welches Bild zuerst vergrößern? Guter Rat ist in diesem Fall nicht teuer, denn Sie machen mittels einer Kontaktkopie zunächst einmal von allen Negativen einen Abzug.
Eine Kontaktkopie ist ein Positiv im Maßstab 1:1, bei Kleinbildfilmen sind die einzelnen Bilder also nur 24 x 36 Millimeter groß. Das ist zum schnellen Sichten aber allemal genug. Die Kontaktkopie heißt so, weil die Negative direkt aufs Fotopapier gelegt werden. Ein kompletter Film passt auf ein einziges Blatt Papier im Format 24 x 30. Fahren Sie für die Kontaktkopie den Kopf Ihres Vergrößerers so hoch, dass das gesamte Papierformat gleichmäßig ausgeleuchtet wird. Auch hier opfern Sie ein Blatt Papier für Einstellarbeiten. Schließen Sie die Objektivblende auf 8 und achten Sie darauf, dass kein Negativ in der Bildbühne liegt.
Bei ausgeschaltetem Raumlicht fingern Sie dann ein neues Blatt Fotopapier aus der Packung und platzieren es auf der Grundplatte. Obendrauf kommt Ihre Klarsichthülle, die den kompletten, in Streifen geschnittenen Film enthält. Beschwert wird dieses Sandwich mit einer Glasplatte die mindestens so groß ist wie das Papier. Klares Glas ist besser als mattiertes Antireflex-Glas. Belichten Sie fünf Teststreifen – 5, 10, 15, 20 und 25 Sekunden – und verarbeiten Sie das Papier wie gewohnt. Wählen Sie für die Kontaktkopie eine weiche Papiergradation, beispielsweise Filter 1. So bekommen Sie Zeichnung in die hellen und dunklen Partien, auch wenn die einzelnen Bilder unterschiedlich stark belichtet wurden und daher verschieden stark geschwärzt sind.
Mit der ermittelten Zeit belichten Sie jetzt ein frisches Blatt. Sobald es entwickelt, fixiert, gewässert und getrocknet ist, ist Ihre Kontaktkopie fertig. Die heften Sie zusammen mit der Negativhülle in einen Ordner. So können Sie jederzeit schnell erkennen, was auf welchem Film ist und haben gleichzeitig sofort Zugriff auf das entsprechende Negativ. Notieren Sie sich die Einstellungen (Blende, Belichtungszeit, Filter, Höhe des Kopfes), die Sie immer wieder benutzen können. So kontakten Sie in Zukunft ohne Probebelichtung. Kleben Sie auf eine Ecke Ihrer Glasplatte ein Stück schwarzes Klebeband und Sie haben auf jeder Kontaktkopie ein weißes Feld, das sich hervorragend zum Beschriften eignet. Auf dem Kontaktbogen können Sie die Bilder sichten. Unscharfe oder verwackelte Negative werden als unbrauchbar gekennzeichnet. Sind einzelne Kontakte zu hell oder zu dunkel, macht das nichts, es wird beim Vergrößern über die Belichtungszeit korrigiert. Zum Beurteilen der Kontaktbögen sollten Sie eine Lupe benutzen, die mindestens vierfach
vergrößert. Einfache Klapplupen bieten unter anderem Kaiser oder Hama an, Spitzenoptiken kommen auch hier von Rodenstock oder Schneider. Ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis bietet die Apo-Lupe vom Brenner Foto Spezial-Versand.
Mit der Lupe sind Details prima zu erkennen. So können Sie die einzelnen Bilder gut vergleichen. Bei der Auswahl der Bilder zum Vergrößern sollten Sie sich auch gleich darüber Gedanken machen, welcher Teil eines Negativs am besten wirkt. Im eigenen Labor stehen Ihnen alle Möglichkeiten offen, da muss nicht, wie im Großlabor, das ganze Negativ vergrößert werden. Mit einem Ausschnittsucher können Sie das Bild schon auf dem Kontaktbogen in Ruhe »beschneiden«; den Ausschnitt Ihrer Wahl zeichnen Sie gleich mit einem Folienstift an. Sie können sich auch selbst einen Ausschnittsucher basteln: Schneiden Sie aus einfarbigem Karton (am besten weiß, schwarz oder grau) zwei L-förmige Stücke, deren Innenkanten etwas länger sind, als das maximale Negativformat. Legen Sie die beiden L’s so aufs Papier, dass die Innenkanten zueinander zeigen.
Mut zum Beschnitt
Sie betreiben bei der Wahl des Ausschnitts noch einmal aktive Bildgestaltung, wie bei der Aufnahme auch. Sie können – in den durch das Negativ vorgegebenen Grenzen – Motivteile neu platzieren und andere ganz verschwinden lassen. »Wenn Ihre Bilder nicht gut sind, waren Sie nicht nahe genug dran«. Dieser Satz stammt vom berühmten amerikanischen Kriegsfotografen Robert Capa und gilt im übertragenen Sinn auch fürs Labor: Entscheiden Sie sich im Zweifelsfall lieber für den knappen Ausschnitt. Dabei kann aus einem Hochformat-Negativ ruhig mal ein Querformat-Bild werden oder umgekehrt. Wir sind es gewohnt, auf rechteckige Bilder zu schauen. Etwa drei Viertel davon sind Querformate. Das Querformat ist uns deshalb so vertraut, weil es in etwa unserem Blickwinkel entspricht. Gerade deshalb kann es aber sehr spannend sein, die eingefahrene Sehweise zu verlassen und dem Betrachter eine andere Sicht der Dinge anzubieten. Gute Bilder leben auch von der Spannung, also nur Mut zum Be
schnitt. Dazu sollten Sie wissen, dass jedes Blatt Papier, das Sie unter den Vergrößerer legen, etwa anderthalb mal so breit ist wie hoch – etwas genauer gesagt, liegt das Seitenverhältnis zwischen 1:1,2 und 1:1,5. Theoretisch können wir Bilder in allen möglichen Formen erzeugen, doch hier sollten Sie sich ein wenig zügeln. Das ästhetische Empfinden der meisten Menschen sucht nach einem Viereck, nicht umsonst benutzten schon die alten Meister der Malerei diese Form. Neben dem Rechteck mit Kantenlänge 3:2 – Quer- oder Hochformat – kommen vor allem zwei Formate in Betracht: das Quadrat mit gleich langen Kanten und ein breit gezogenes Rechteck mit einem Seitenverhältnis von etwa 3:1, das oft als Panoramaformat bezeichnet wird.
Die wichtigste Voraussetzung für Formatexperimente ist ein ausreichend großes Negativ, denn bei jedem Beschnitt geht ein Teil des Bildes verloren. Soll der Rest trotzdem noch in ansehnlicher Größe und Schärfe erscheinen, muss genug Substanz vorhanden sein. Bei Ausschnittvergrößerungen kommen Kleinbildnegative schnell an ihre Grenzen. Gleichmäßige Flächen wirken aufgerissen, unerwünschtes Kornrauschen wird sichtbar. Wer Ausschnitte auf 24 x 30 oder größer hochziehen möchte, hat beim Mitteloder Großformat deutlich mehr Reserve. Dass zudem niedrigempfindliche und feinkörnige Filme wie Agfa APX 25, Ilford Pan F oder Kodak Technical Pan erste Wahl sind, wenn das Motiv es zulässt, versteht sich von selbst. Um ein bisschen Beschnitt kommen Sie ohnehin kaum herum: Die Seitenverhältnisse liegen bei Film und Papier zum Teil erheblich auseinander, da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder alles vergrößern und das Papier zurechtstutzen oder kreativ sein und einen geeigneten Ausschnitt des Bildes wählen. Mit zwei L-förmigen Masken aus Karton können Sie die Wirkung des Ausschnitts direkt überprüfen Der Kontaktabzug ist Ihr Wegweiser zum richtigen Bild. Anhand des hier gewählten Ausschnitts platzieren Sie das Fotopapier in der Vergrößerungskassette. Offensichtliche Fehler werden hier sofort behoben, etwa ein schiefer Horizont gerade gerückt oder überflüssige Bildteile entfernt. Wenn Sie von einem interessanten Motiv gleich mehrere Varianten aufnehmen, können Sie beim Vergrößern aus dem Vollen schöpfen. Um Ihre Bilder durch die Wahl des Ausschnitts wirklich zu verbessern, sollten Sie mit ein paar Regeln der Bildgestaltung vertraut sein. Für erste Beschnittübungen eignen sich besonders Landschaftsaufnahmen. Wir sehen in der Mitte des Sehfeldes am besten und rücken deshalb markante Punkte gerne in die Mitte. Bei Landschaftsaufnah
men ist das oft der Horizont, der das Bild in eine obere und eine untere Hälfte teilt. Ohne besonderen Gestaltungswillen verläuft diese Trennlinie in der Regel in der Mitte des Bildes. Dass eine Dreiteilung – also zwei Drittel Landschaft, ein Drittel Himmel oder umgekehrt – einen Schwerpunkt legt und das Auge des Betrachters führt, merken Sie selbst, wenn Sie es ausprobieren. Die Verteilung der Flächen ist in der Schwarzweiß-Fotografie besonders wichtig, weil das andere wichtige Spannungselement der Bildgestaltung – die Farbe – fehlt.
Mit der Platzierung des Horizonts verändern Sie den Charakter eines Bildes. Während ein mittiger Horizont die Gleichförmigkeit einer Landschaft betont, vermittelt ein tiefer Horizont ein Gefühl von Weite. Liegt der Horizont dagegen oben, beschäftigt sich der Betrachter zwangsläufig intensiver mit den Details im Vordergrund.
Eine Betonung der Diagonale bringt Spannung ins Bild. Ganz gleich, ob es sich um den Verlauf einer Straße, die Positionierung von Personen oder den Fall von Schatten handelt: Die Verbindung der gegenüber liegenden Ecken durch eine sichtbare Linie wird von unsrem Unterbewußtsein sofort wohlwollend registriert.
Ist das Hauptmotiv - von vielen Fotografen auch Blickfang genannt - nicht linienförmig, sondern flächig, positionieren Sie es so, dass sowohl Höhe als auch Breite des Bildes im Verhältnis drei zu fünf aufgeteilt werden. Es gibt vier Punkte, an denen das der Fall ist. Man nennt dieses Verhältnis von Strecken und Flächen zueinander den Goldenen Schnitt. Die Platzierung des Hauptmotivs im Goldenen Schnitt zieht sich als Gestaltungsmittel durch alle Epochen der Kunstgeschichte.
Dieser Blickfang verhindert, dass sich das Auge im Bild verliert - er zieht den Blick regelrecht an. Bei der Schwarzweiß-Fotografie ist es tatsächlich oft gar nicht so einfach, den richtigen Blickfang zu finden.Das Motiv muss nämlich auch den richtigen Grauwert haben, um nicht im Hintergrundgrau unter zu gehen - also helles Motiv vor dunklen Hintergrund oder umgekehrt. Oft genügt dazu schon ein winziger Punkt.
Auch die Wahl des Schnittpunktes ist keinesfalls egal, gerade bei einem bewegten Objekt. Ist mehr Raum hinter als vor dem Motiv, scheint es sich aus dem Bild heraus zu bewegen. Es ensteht der Eindruck, die Handlung
sei bereits vorbei und man hat als Betrachter das wichtigste verpasst. Mehr freier Raum vor dem Motiv steigert dagegen die Spannung, die Handlung hat ja schließlich gerade erst begonnen.
Stürzende Linien
Vor allem Architekturfotografen schlagen sich mit einem weiteren Problem herum: den stürzenden Linien. Wenn Sie die Kamera bei der Aufnahme schräg auf das Objekt richten – etwa um auch noch den oberen Teil eines Gebäudes mit auf das Bild zu bekommen – lernen Sie diesen Effekt kennen. Linien, die im Motiv tatsächlich senkrecht und parallel verlaufen, bewegen sich im Bild nach oben aufeinander zu. Es macht den Eindruck, als würden Sie nach hinten weg kippen. Professionelle Architekturfotografen arbeiten deshalb meist mit schwenkbaren Großformatkameras.
Wenn sich Kopf und Objektivebene Ihres Vergrößerers neigen lassen, können Sie die Bilder nach der Scheimpflugschen Regel entzerren. Solange Negativebene, Objektivebene und Bildebene eine gemeinsame Schnittkante besitzen, ist die Schärfe über die ganze Bildebene gleich. Aber auch ohne Scheimpflug lassen sich stürzende Linien korrigieren. Durch einfaches Anheben des Vergrößerungsrahmens an der breiteren Motivseite erreicht man wieder parallele senkrechte Linien. Dadurch wird die Geometrie zwar etwas verzerrt, das fällt aber meist nicht weiter auf.
Durch das Anheben der Kassette verläuft die Schärfe allerdings nicht mehr parallel zur Grundplatte. Teile des Bildes drohen in der Unschärfe zu versinken. Wie beim Fotografieren müssen Sie deshalb die Schärfentiefe des Objektivs ausnutzen und abblenden. Stellen Sie auf einem Punkt im oberen Drittel scharf, denn beim Abblenden wächst die Schärfe nach unten doppelt so schnell wie nach oben. Wedeln Sie die obere Partie während eines Teils der Belichtungszeit ab, damit sie nicht zu dunkel wird (mehr dazu ab Seite 37).