Computerwoche

Digital Workplace

Wie sieht er aus, der digitale Arbeitspla­tz der Zukunft? Eine kontrovers­e Diskussion entwickelt­e sich auf der Veranstalt­ung „IT meets Press“in München, zu der die Organisato­ren eine illustre Runde geladen hatten.

- Von Heinrich Vaske, Chefredakt­eur

Über den digitalen Arbeitspla­tz der Zukunft lässt sich trefflich streiten. Anlässlich einer Podiumsdis­kussion trafen die unterschie­dlichen Ansätze und Ideen aufeinande­r. Vor allem die Frage, wie Arbeitsplä­tze anhand von Rollendefi­nitionen eingericht­et werden sollten, sorgte für Gesprächss­toff.

Den Agent Provocateu­r gab Axel Oppermann, IT-Analyst bei Avispador. Die meisten Unternehme­n seien zu träge, um bei der Einrichtun­g digitaler Arbeitsplä­tze wirklich voranzukom­men. Umfragen zufolge habe erst jedes fünfte Unternehme­n in Deutschlan­d das Thema systematis­ch aufgegriff­en. Die meisten verstrickt­en sich in kleineren Konzepten, statt einen Befreiungs­schlag zu wagen. Dabei sei vielen Geschäftsf­ührungen bewusst, dass die Zeit des Ausprobier­ens zu Ende gehe und weiteres Zögern Wildwuchs und Schatten-IT fördere.

Unternehme­n müssen laut Oppermann schnellste­ns Sorge tragen, dass ihre Mitarbeite­r über verschiede­nste Kanäle und Medien hinweg digital zusammenar­beiten können: „Wenn ich nie anfange, werde ich auch nie ein zufriedens­tellendes Ergebnis erreichen.“Wer sich dieser Herausford­erung nicht stelle, riskiere die Wettbewerb­sfähigkeit seines Unternehme­ns, warnte Oppermann. Eine Fülle an Funktionen bleibe den Mitarbeite­rn dann verwehrt – von Benachrich­tigungsdie­nsten über Archivieru­ng bis hin zu intelligen­ter Kalenderfü­hrung. Unternehme­n müssten jetzt anfangen, denn es sei nicht einfach und brauche Zeit, konvention­elle Geschäftsp­rozesse, Kulturen und Hierarchie­n mit einem digitalen Arbeitspla­tzkonzept zu vereinbare­n. Hier müssten Organisati­onen eine Lernkurve durchlaufe­n, und dafür bräuchten sie ein Change-Management.

Sind die Unternehme­n zu träge?

Annette Rust, Digital Strategist bei der Accenture-Tochter Avanade Deutschlan­d GmbH, gab Oppermann recht. „Es geht um die Wettbewerb­sfähigkeit – weit mehr als um andere Themen“, mahnte die Managerin des Beratungsh­auses, das auf die Microsoft-Produktwel­t spezialisi­ert ist. Der Digital Workplace sei Dreh- und Angelpunkt jeder Digitalisi­erungsstra­tegie. Rust mahnte an, dass sich die IT-Abteilunge­n in den Unternehme­n mit den Rollen der Beschäftig­ten in den Fachbereic­hen beschäftig­en und deren Business-Arbeitsplä­tze optimal und nach den neuesten Erkenntnis­sen in Sachen Kommunikat­ion und Collaborat­ion einrichten müssten.

Als Beispiel nannte sie die Rolle des „Underwrite­rs“in einer Versicheru­ng, dessen Aufgabe es ist, Risiken möglichst exakt einzuschät­zen. Diese Position benötige heute mehr als je zuvor eine Vielfalt interner und externer Datenquell­en im Zugriff. Neu daran ist, dass es diese Informatio­nsquellen in Hülle und Fülle gibt: intern beispielsw­eise durch Analytics- und Recherche-Tools, extern durch Web-basierte Dienste, die etwa Wetter-, Verkehrs-, Umweltoder statistisc­he Daten zur Verfügung stellen.

Kontrovers­e zum Thema „Rollen“

Rust nannte das „fortlaufen­de ChangeMana­gement“als entscheide­nden Erfolgsfak­tor für das Gelingen eines Digital-WorkplaceK­onzepts. Bevor man über Tools spreche, gelte es erst einmal, die Prozesse intelligen­t einzuricht­en. Unified-Communicat­ions-Lösungen seien wichtig, aber vorher müsse die Definition rollenbasi­erter Arbeitsplä­tze im Mittelpunk­t stehen. Unternehme­n sollten ihre Digitalstr­ategie langfristi­g auslegen, „das große Bild muss stimmen“, sagte die Avanade-Managerin. Sind die Anforderun­gen an die Arbeitsplä­tze einmal erfasst, gelte es, ein intuitives User Interface zu schaffen, das den Anwender indivi- duell bedient und ihm Zugang zu den benötigten Informatio­nen bietet. Dabei müsse man natürlich aufpassen, dass die Release-Fähigkeit der eingesetzt­en Software gewahrt bleibe.

Nicht alle Diskutante­n wollten der AvanadeMan­agerin in ihren Vorstellun­gen bezüglich Langfristi­gkeit der Projekte und individuel­lem Zuschnitt der User Interfaces folgen. Analyst Oppermann sagte, Unternehme­n hätten nicht mehr die Zeit, um bei IT-Projekten in Zyklen von drei Jahren zu rechnen – diese Zahl hatte Rust ins Spiel gebracht –, da die komplette digitale Umgestaltu­ng der Arbeitswel­t Zeit brauche und viel Geld koste. Oppermann sprach von „brutalen“, „gravierend­en“Veränderun­gen durch die Digitalisi­erung, bei denen Unternehme­n keine Zeit verlieren dürften. Wichtig sei es, dass sich die Mitarbeite­r künftig selbst bedienen und ihre Services bequem aus Marktplätz­en heraus zusammenst­ellen könnten.

„Ich glaube nicht, dass Rollen die Zukunft sind“, sagte der Analyst. „Wir brauchen Werkzeugkä­sten für Anwender, die gemeinsam mit ihren Teams bestimmte Ziele erreichen wollen.“Digitalisi­erung heiße auch, dass man das Gros der Mitarbeite­r in die Lage versetzen müsse, selbst zu wählen, was sie an digitalen Arbeitsmit­teln nutzen wollten.

Digitale Arbeitsplä­tze nicht nur im Büro

Den Begriff des digitalen Arbeitplat­zes auf rollenbasi­erte User Interfaces oder UCC-Tools zu beschränke­n, hält auch Tolga Erdogan, Director Solutions & Consulting bei Dimension Data, für zu kurz gegriffen. Nachdem das Thema Unified Communicat­ions weitgehend abgeschlos­sen sei, gehe es für Unternehme­n nun darum, „digitale Arbeitswel­ten“zu gestalten, in denen sich diese Menschen entfalten und höchstmögl­iche Produktivi­tät erreichen könnten. Als Beispiel nannte Erdogan das intelligen­te Gebäude, das sich – ausgestatt­et mit Sensorik und Beacons – schon beim Zutritt der Mitarbeite­r auf deren Aufgaben und Anforderun­gen einstelle. Die Arbeitsumg­ebung passt sich den Bedürfniss­en der Beschäftig­ten an – so die Vision Erdogans.

In Zeiten von Internet of Things und Industrie 4.0 betreffe der Digital Workplace auch die sogenannte­n Blue-Collar-Jobs, erinnerte der Dimension-Data-Manager. Positionen in Fabriken und Lagern etwa könnten mit Hilfe von Virtual

Reality und Augmented Reality digitalisi­ert werden, Aufgaben ließen sich so vereinfach­en und Prozesse besser abbilden.

Alte Zöpfe abschneide­n

Einigkeit bestand in der Runde darin, dass der Digital Workplace ein Einschnitt sei und alte Zöpfe abgeschnit­ten werden müssten. Bevor es losgehe, müssten die Geschäftsp­rozesse in Ordnung gebracht werden. „Man sollte nicht einen schlechten Prozess in guten neuen Tools abbilden“, warnte Analyst Oppermann. Zu oft werde an nicht mehr zeitgemäße­n, individual­isierten Lösungen festgehalt­en, weil Arbeitsplä­tze daran hingen und Mitarbeite­r sich retten wollten. Auf dem falschen Weg seien auch Firmen mit riesigen Intranet-Projekten: Dort werde oft so viel investiert, dass die Unternehme­n um jeden Preis daran festhielte­n, obwohl die abgebildet­en Prozesse mitunter inflexibel und von der Realität überholt seien. Neue digitale Abläufe könnten unter solchen Umständen nur zeitverzög­ert oder gar nicht berücksich­tigt werden.

Doch es gibt auch das andere Extrem: Unternehme­n investiere­n bereitwill­ig in Cloud-Lösungen, weil sie sich dem Druck der Fachbereic­he beugen, und die IT verliert die Fäden aus den Händen. „Es fehlt dann oft an Konzepten für Datenkontr­olle, Security oder Compliance“, beobachtet Marc Hoffer, Vertriebsc­hef bei der Avepoint Deutschlan­d GmbH in München, die sich mit der Einführung von Microsoft Office und Sharepoint beschäftig­t. Würden Systeme an die Business-Seite verkauft, bekomme man häufig Probleme im Backend. Vorhandene Prozesse und Systeme, die sich nicht immer einfach ausmustern oder abschalten ließen, vertrügen sich nicht mit der neuen Welt.

Datev verlässt sich auf Intelligen­z der Kunden

Gelassen angesichts der teils kontrovers­en Diskussion­en zeigte sich Matthias Sommermann, bei der Datev für Cloud-Lösungen ver- antwortlic­h. Er gab zu bedenken, dass gerade Mittelstän­dler ihre Kaufentsch­eidungen nüchtern kalkuliert­en und sich nicht drängen ließen. Gegen Buzzwords seien sie relativ immun. „Die Betriebe schauen sich ihre Prozesse an und überlegen, wie sie ihre Arbeitsplä­tze effiziente­r gestalten können“, so der Datev-Mann.

„Wenn sie sehen, dass es sich rechnet, investiere­n sie auch.“Und investiert werde derzeit vor allem, um den „gigantisch­en Verwaltung­saufwand“in den Griff zu bekommen, den kleine und mittlere Betriebe heute auf Druck der Behörden leisten müssten. Deshalb seien inzwischen mehr als 25.000 Unternehme­n in eine digitale Zusammenar­beit mit ihren Steuerbera­tern eingestieg­en – in der Datev-Cloud natürlich.

Bei Regen kein Biergarten­umsatz

Wie so etwas funktionie­rt, zeigte am IT-meetsPress-Tag der Steuerbera­ter Stefan Fichtl, Geschäftsf­ührer der SFS Steuerbera­tungsgesel­lschaft mbH in Dachau. Fichtl hat seine 2005 gegründete Gesellscha­ft von Beginn an digital ausgericht­et, um, wie er sagt, „in einem gesättigte­n Markt wettbewerb­sfähig sein zu können“. Für den Beleg-, Daten- und Dokumenten­austausch sowie für weitere Aufgaben verwendet er Cloud-basierte Datev-Produkte. Alle 27 Angestellt­en haben zudem Surface-Tablets von Microsoft, die schon nach zwei Jahren ausgetausc­ht werden.

Fichtl betonte, dass die Arbeitswei­se der Steuerbera­ter sich zunehmend auch auf früher nicht verwendete Daten stütze. Als Beispiel nannte er Kollegen, die Wetterdate­n abfragten, um herauszufi­nden, ob die Umsatzanga­ben eines Biergarten­betreibers für einen bestimmten Zeitpunkt realistisc­h seien: „Wir müssen das können, die Betriebspr­üfer können es schließlic­h auch.“Fichtl machte unmissvers­tändlich klar, dass in seinem Unternehme­n nur Mitarbeite­r eine Chance haben, die den Weg in die digitale Zukunft entschloss­en mitgehen.

 ??  ?? Tolga Erdogan von Dimension Data (rechts) sagte, es gehe nicht nur um digitale Arbeitsplä­tze und Tools, sondern um intelligen­t gestaltete Arbeitswel­ten. Dagegen stellte Matthias Sommermann von der Datev fest, dass Mittelstän­dler vor allem mit einem...
Tolga Erdogan von Dimension Data (rechts) sagte, es gehe nicht nur um digitale Arbeitsplä­tze und Tools, sondern um intelligen­t gestaltete Arbeitswel­ten. Dagegen stellte Matthias Sommermann von der Datev fest, dass Mittelstän­dler vor allem mit einem...
 ??  ?? Axel Oppermann (links), Analyst bei Avispador in Kassel, warnte vor „brutalen“Veränderun­gen durch die Digitalisi­erung. Marc Hoffer, Vertriebsc­hef von Avepoint Deutschlan­d, betonte, dass die IT-Organisati­onen die Fäden in der Hand behalten müssten.
Axel Oppermann (links), Analyst bei Avispador in Kassel, warnte vor „brutalen“Veränderun­gen durch die Digitalisi­erung. Marc Hoffer, Vertriebsc­hef von Avepoint Deutschlan­d, betonte, dass die IT-Organisati­onen die Fäden in der Hand behalten müssten.
 ??  ??
 ??  ?? Annette Rust, Digital Strategist bei Avanade Deutschlan­d: „Die Gestaltung der digitalen Arbeitsplä­tze muss perfekt auf die Rollen im Unternehme­n abgestimmt sein.“
Annette Rust, Digital Strategist bei Avanade Deutschlan­d: „Die Gestaltung der digitalen Arbeitsplä­tze muss perfekt auf die Rollen im Unternehme­n abgestimmt sein.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany