So digitalisieren die Autobauer
Volkswagen, BMW und Daimler haben ihre digitalen Konzepte vorgestellt.
Der Abgasskandal ist für Volkswagen noch längst nicht ausgestanden. Doch hinter den Kulissen arbeitet der Konzern bereits an ganz anderen Baustellen. In den vergangenen zwölf Monaten stellten die Wolfsburger viele Weichen Richtung Digitalisierung. An drei Standorten sollen sogenannte Future Center an Digitalisierungsthemen arbeiten; eine Kooperation mit dem amerikanischisraelischen Uber-Konkurrenten Gett soll helfen, aus VW einen Mobilitätskonzern zu machen. Erste Veränderungen gibt es auch bei den ITBudgets. Etwa 200 Millionen Euro schichtet das Management aus den Etats für die klassischen IT-Abteilungen in die Entwicklung neuer digitaler Technologien um. Seit November 2015 hat Volkswagen mit Johann Jungwirth auch einen Chief Digital Officer (CDO).
Auf dem carIT-Kongress im Rahmen der Messe IAA Nutzfahrzeuge in Hannover erklärte Jungwirth, ein ehemaliger Apple-Manager, wie er sich die digitale Zukunft der Branche vorstellt. Die wichtigsten Treiber der Digitalisierung in der Automotive-Branche sind für Jungwirth Connectivity und Autonomie. Hinter letzterem Begriff verbirgt sich das große Thema autonomes Fahren. Der CDO ist sich sicher: Das „Self Driving System“(SDS), das autonome Fahrzeuge künftig nutzten, werde „das nächste große Ding, die nächste große Kernerfindung“. 90 Prozent der Verkehrsunfälle ließen sich damit künftig verhindern. Im Rennen um das SDS und neue digitale Services sieht der Manager die Volkswagen-Gruppe gut aufgestellt und verweist auf die breite Produktpalette, die alle wichtigen Automobilsegmente abdecke. Er sehe Volkswagen künftig nicht mehr als Autobauer, sondern als ein „integriertes Hardware-, Software- und Services-Unternehmen“.
Kritiker wie der Wirtschaftsjournalist und Automobilexperte Mark C. Schneider sind allerdings skeptisch, wie ernst es der Konzernführung mit der Digitalisierung ist. In seinem Buch „Volkswagen – Eine deutsche Geschichte“, schreibt er über Jungwirth: „Mit seinen Visionen einer schönen neuen Mobilitätswelt, in der alle Menschen unfallfrei autonom unterwegs sind (...), überfordert er die Beweglichkeit des Unternehmens, dessen Kernmannschaft eben noch in Spaltmaßen dachte.“
BMW mit eigener „Internet-Firma“
Bei BMW hat Vorstand Peter Schwarzenbauer im Juni das neue Geschäftsfeld „Digitale Services und Geschäftsmodelle“angekündigt. Ein Team mit mehr als 150 Mitarbeitern soll sich künftig parallel zur Fahrzeugentwicklung ausschließlich um die Entwicklung und den Betrieb
neuer digitaler Services kümmern. Innerhalb des Konzerns arbeite die Einheit wie eine Internet-Firma, sagte Dieter May, Senior Vice President Digital Services and Business Models bei BMW. Seit März hat BMW zudem den ehemaligen Google-Manager Jens Monsees an Bord. Als Vice President Digital Strategy soll er die digitalen Projekte bündeln und neue Geschäftsmodelle entwickeln.
Glaubt man den diversen Ankündigungen, steht beim Münchner Automobilbauer ein Paradigmenwechsel an. Es gehe künftig nicht mehr darum, fahrzeugzentriert, sondern kundenzentriert zu entwickeln, gab May die Marschrichtung vor. BMW treibe die Digitalisierung entlang der drei Themenfelder digitale Kundenerlebnisse und Services, vernetztes und autonomes Fahren sowie Interieur der Zukunft voran.
In Hannover ging May auch auf die vielfältigen Herausforderungen im digitalen Transformationsprozess ein. Die damit verbundenen Themen wirkten sich massiv auf die internen Prozesse aus, erläuterte er: „Geschäftsprozesse sind das A und O in der digitalen Transformation.“In diesem Kontext sei ein Umdenken erforderlich. Dazu gehöre auch die Frage, wie sich die Entwicklung neuer Systeme und Services beschleunigen lasse. In der klassischen Automobilwelt werde noch immer traditionell nach der Wasserfallmethode entwickelt. Das aber passe nicht mehr zu den sich rasch ändernden Anforderungen. Für die Entwicklung digitaler Services seien deshalb agile Methoden gefragt.
Daimler schwärmt für Innovationen
Auch Daimler will sich konsequenter in Richtung Digitalisierung bewegen und schafft dafür neue Konzernstrukturen. Vorstandschef Dieter Zetsche schwebt eine „Schwarmorganisation“vor, wie er Anfang September in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“erklärte. Drei bis vier Prozent der Mitarbeiter sollen sich künftig als Schwarm mit der Mobilität der Zukunft beschäftigen.
Der Konzern beschreibt die Kernthemen mit der Abkürzung „Case“. Das „C“steht für Connected Cars, „a“für autonomes Fahren, „s“für Shared Mobility und „e“für Elektrifizierung. Schon 2015 gründete Daimler in Sindelfingen ein Kompetenzzentrum für „Digital Vehicle and Mobility“, das alle Entwicklungsvorhaben rund um das vernetzte Fahrzeug bündeln soll. Auf dem carIT-Kongress erläuterte Daniela Gerd tom Markotten, wie die Nutzfahrzeugsparte der Daimler AG die digitale Transformation angeht. „Digitalisierung ist für uns kein neues Thema“, erklärte die Leiterin des Bereichs „Digital Solutions and Services Mercedes Benz LKW“. Herausforderungen in der Logistikbranche wie etwa Standzeiten, Staus, die gefürchteten Leerfahrten oder auch ausgebuchte Rastplätze für LKW-Fahrer ließen sich mit Hilfe digitaler Techniken meistern. Mehrere neue Technologien hätten sich dabei als „Gamechanger“für die Branche herauskristalliert, darunter Virtual Reality, künstliche Intelligenz, autonomes Fahren und Big Data.
In den Bereich Big Data fällt etwa das „Truck Data Center“, das Daten aus rund 400 Sensoren im LKW sammelt und daraus bestimmte Aktionen ableitet. Bei drohenden Problemen am Fahrzeug informiert das System automatisch das Flotten-Management. Im April 2016 ging die Einheit „Digital Solutions & Services for Mercedes Benz Trucks“an den Start, berichtete die Managerin. Rund 300 Menschen arbeiteten dort an Innovationen. Gegenwärtig habe man mehr als 600 Ideen für Innovationen in der Pipeline.