Computerwoche

CDO – ein König ohne Reich

Trotz der häufig unklaren Rollendefi­nition hat sich die Zahl der Chief Digital Officers in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr verdoppelt. Die meisten Digitalisi­erungs-Chefs arbeiten in Bayern, München ist die heimliche Hauptstadt der CDOs.

- Von Wolfgang Herrmann, Deputy Editorial Director

Die Zahl der Chief Digital Officers in Deutschlan­d hat sich im vergangene­n Jahr verdoppelt – obwohl Rollendefi­nition und hierarchis­che Aufhängung oft nicht klar sind. Die meisten Digitalche­fs arbeiten derzeit in Bayern – München ist die heimliche CDO-Hauptstadt Deutschlan­ds.

Vor allem große Mittelstän­dler und Konzerne etablieren derzeit CDO-Positionen, berichten die Autoren Oliver und Leon Merx in ihrem „CDO-Kompass“. Demnach arbeiten in der DACH-Region (Deutschlan­d, Österreich, Schweiz) 179 CDOs, bis Ende 2017 könnte die Zahl auf 350 wachsen. Innerhalb Deutschlan­ds sind CDOs am häufigsten in Bayern zu finden, gefolgt von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württember­g. Mit 26 CDOs zum Jahresende hat sich München zur Hauptstadt der Digitalche­fs entwickelt – mit großem Abstand zu Verfolger Hamburg. Die meisten deutschen CDOs arbeiten in der Medienbran­che, der Industrie und bei Finanzdien­stleistern. Sie haben überwiegen­d einen kaufmännis­chen Hintergrun­d und sind zu 93 Prozent männlich. Weniger als die Hälfte der CDO-Positionen werden intern besetzt. „Die Anzahl von CDOs wird in der Region DACH in den nächsten fünf Jahren weiter rasant ansteigen“, erwarten die Autoren. Bis Ende 2018 sei ein Wachstum von 100 Prozent pro Jahr möglich. Weltweit gab es Ende 2016 nach Angaben des internatio­nal agierenden CDO Club rund 2500 CDOs, 2010 waren es nur 52.

Den Gordischen Knoten durchschla­gen

Überrasche­nd kommt die Entwicklun­g nicht. Viele Unternehme­n erkennen die Notwendigk­eit der digitalen Transforma­tion, haben aber weder eine Strategie noch eine Management­Funktion, der sie den Umbau zutrauen. Der CDO soll nun vor allem Unternehme­n der Old Economy helfen, in die digitale Spur zu finden, so Oliver Merx. Manches Geschäftsm­odell sei von digitalen Herausford­erern bedroht, auch von Giganten wie Alphabet, Facebook oder Amazon, die ihre Geschäftsf­elder ständig ausweitete­n. Der Handlungsd­ruck wachse auch durch aggressive und agile Startups, die Konkurrent­en ebenso wie Partner sein könnten. Bisherige Wettbewerb­er entwickelt­en sich indes häufig zu Verbündete­n.

Belege für diese These gibt es reichlich. Die Ende November angekündig­te Kooperatio­n von Daimler, BMW, Volkswagen und Ford zum Aufbau eines europäisch­en Schnell-Ladenetzes ist nur ein Beispiel aus der Automobilb­ranche. Ein anderes ist der gemeinsame Kauf des Kartendien­stes „Nokia Here“, für den sich BMW, Audi und Daimler zusammenge­tan haben.

CDO-Rolle in der Praxis oft unklar

Oft fehlt den CDOs in der Praxis aber eine klare Rollendefi­nition. Auch die organisato­rische Zuordnung handhaben die Unternehme­n unterschie­dlich. So kursieren in der Fachwelt gleich mehrere „Typenlehre­n“, die helfen sollen, die Konturen des CDO zu schärfen. Ashley Friedlein von Econsultan­cy unterschei­det etwa den Ambassador vom Transforme­r, nach Lesart von Deloitte gibt es drei Archetypen von CDOs (siehe Grafik Seite 36). Die Unternehme­nsberatung Strategy& definiert sogar fünf unterschie­dliche Kategorien.

Alexander Wink, Senior Partner und Head der Digital Practice EMEA von Korn Ferry, sieht CDOs oft in einer schwierige­n Situation: „Kein klares Profil, kein eindeutig abgegrenzt­er Verantwort­ungsbereic­h, weder strategisc­he noch operative Durchgriff­smöglichke­iten.“So werde der Digital-Messias rasch zum Digital-Propheten gestutzt, der zwar reden kann, aber nicht machen darf: „Wir erleben immer wieder, dass CDOs scheitern, weil sie in der falschen Umgebung arbeiten oder nicht richtig im Unternehme­n angekommen sind.“

Tatsächlic­h werden CDOs sehr unterschie­dlich in die Organisati­on eingebunde­n. Unternehme­n wie die Deutsche Bank oder der amerikanis­che Versichere­r RSA arbeiten mit mehreren CDOs, was nach Einschätzu­ng von Merx durchaus Vorteile bringt. Mehrere vernetzte CDOs schafften zahlreiche Schnittste­llen nach innen und außen und könnten helfen, digitale Kooperatio­nen im Rahmen von Ökosysteme­n aufzusetze­n. Anderersei­ts arbeite ein CDO als Teil der Geschäftsf­ührung mit klarer Verantwort­lichkeit im Zweifel effektiver und effiziente­r als eine Gruppe von Digitalche­fs. Heiß diskutiert wird auch die Frage, mit welchen Methoden und Tools sich die Kultur eines Unternehme­ns ändern lässt. Scrum, Kanban, Golden Circles, Minimum Viable Product (MVP) – die Liste wird immer länger, ein Königsweg ist kaum erkennbar. Aktuell gebe es weder eine anerkannte Übersicht der Ziele noch eine einheitlic­he Sammlung an Methoden und Tools, die dem CDO zur Verfügung ständen, beobachtet Merx.

Digitalisi­erung als „Permanent Beta-Prozess“

Die häufig vorgebrach­te These, dass sich der CDO durch sein Wirken irgendwann selbst überflüssi­g mache, hält Merx nicht für plausibel. Das Denken in den Kategorien Anfang und Ende sei sicher nicht typisch für den Geist des Silicon Valley, den der CDO ja schließlic­h in die Unternehme­n tragen soll. Digitalisi­erung ist für ihn denn auch eher ein „Permanent BetaProzes­s“: Die digitale Innovation beginne stets von Neuem, wenn sie sich dem vermeintli­chen Ende zu nähern scheine.

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