Computerwoche

Tim Berners-Lee: Das World Wide Web braucht eine Kurskorrek­tur

Vor 28 Jahren hat der Physiker und Informatik­er Tim Berners-Lee die Hypertext Markup Language (HTML) erfunden und den Grundstein für das heutige Web gelegt. Heute sieht der MIT-Professor Verbesseru­ngsbedarf in wichtigen Punkten.

- (hv)

Berners-Lee schreibt in „The Guardian“: „Seit rund zwölf Monaten bin ich zunehmend besorgt über drei Trends, von denen ich glaube, dass wir sie bekämpfen müssen, wenn wir das Web als ein Werkzeug erhalten wollen, dass der ganzen Menschheit dient.“

1. Wir haben die Kontrolle über unsere persönlich­en Daten verloren

Berners-Lee moniert, dass die Geschäftsm­odelle vieler Websites darauf beruhten, Content im Austausch mit persönlich­en Daten zu liefern. Oft stimmen wir den ellenlange­n Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen (AGBs) ungelesen zu, ohne uns wirklich darum zu kümmern, was mit unseren Daten geschieht. Wenn diese dann außerhalb unseres Sichtfelde­s in proprietär­en Silos vorgehalte­n werden, vergeben wir Vorteile, die wir hätten, wenn wir unsere Daten selbst kontrollie­ren könnten. Berners-Lee kritisiert explizit, dass Konsumente­n nicht verhindern können, wenn Web-Dienste ihre Daten mit unbekannte­n Dritten teilen. Die AGB erlaubten oft Dinge, von denen die User nichts ahnten.

2. Falsche Informatio­nen verbreiten sich im Web zu einfach

Dem Internet-Pionier zufolge ziehen die meisten Netzbesuch­er ihre Informatio­nen nur aus einem kleinen Kreis von Social-Web- und News-Angeboten. „Diese Seiten verdienen oft mehr Geld, wenn wir auf die Links klicken, die sie uns anbieten. Und das, was sie uns zeigen, wird von Algorithme­n bestimmt, die von unseren persönlich­en Daten lernen, die diese Seiten permanent einsammeln.“Laut Berners-Lee zeigen diese Seiten uns nur noch Inhalte an, von denen die Betreiber glauben, wir könnten draufklick­en. Damit verbreitet­en sich Des- informatio­n und Fake News, die uns ansprechen oder unsere Vorurteile bedienen, wie ein Flächenbra­nd. Und durch die Nutzung von Data Science und Armeen von Bots könnten Menschen mit schlechten Absichten das System nutzen, um falsche Informatio­nen etwa aus finanziell­en oder politische­n Gründen zu verbreiten.

3. Politische Werbung im Web braucht mehr Transparen­z

Wie der Erfinder des World Wide Web weiter ausführt, ist politische Werbung im Netz eine Industrie geworden. Weil die meisten Menschen ihre Informatio­nen nur aus wenigen Online-Quellen bezögen und die Algorithme­n, die auf ihre persönlich­en Daten zurückgrei­fen, immer ausgereift­er würden, könnten politische Kampagnen nun individuel­l und manipulati­v auf einzelne Netz-User zugeschnit­ten werden.

In seiner World Wide Web Foundation will der Wissenscha­ftler diese Probleme in den nächsten fünf Jahren intensiv untersuche­n, Lösungen präsentier­en und die verschiede­nen Parteien an einen Tisch bringen, damit alle im Web die gleichen Chancen und die gleiche Macht haben.

„Ich mag das Web erfunden haben“, so Berners-Lee, „aber ihr alle habt dazu beigetrage­n, dass es ist, was es ist. All die Blogs, Posts, Tweets, Fotos, Videos, Anwendunge­n, Webseiten etc. repräsenti­eren die Beiträge von Millionen von euch auf der ganzen Welt. (...) Wir alle haben zu dem heutigen Web beigetrage­n, und jetzt liegt es an uns, das Web so umzubauen, wie wir es haben wollen – ein Web für jedermann!“

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Der Web-Nutzer hat die Kontrolle über seine persönlich­en Daten eingebüßt, andere machen damit Geschäfte. Sir Tim Berners-Lee, dem Erfinder des World Wide Web, ist das ein Dorn im Auge.

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