Wie die Allianz vom Silicon Valley lernt
Interview mit Andreas Nolte, CIO der Allianz Deutschland AG
Für Andreas Nolte, den CIO der Allianz Deutschland AG, ist die Digital Factory des Konzerns weit mehr als nur eine Tüftelbude. Im Interview bezeichnet er sie als „Motor für die kundenorientierte Digitalisierung der gesamten Allianz Deutschland“.
CW: Die historische Rolle der IT war in den meisten Unternehmen die des internen Dienstleisters, doch durch die Digitalisierung ändert sich das. Welche Rolle spielt die IT bei der Allianz Deutschland?
Nolte: Es gibt in der Tat eine veränderte Positionierung. Vor ein paar Jahren noch war die IT ein reines Cost Center, ein interner Dienstleister. Dann sind immer mehr neue Geschäftsideen und Business-Felder aufgetan worden, die wir als Enabler unterstützt haben – immer unter einem starken Kosteneffizienz-Gedanken. Inzwischen hat sich unsere Positionierung noch einmal stark gewandelt. Wir werden heute auch als Urheber neuer Geschäftsideen und Verfahrensweisen wahrgenommen.
CW: Wie haben Sie diesen Change eingeleitet?
Nolte: Ich war in den vergangenen Jahren immer wieder im Silicon Valley, um zu lernen, wie man von der traditionellen Vorgehensweise nach dem Wasserfall-Modell hin zu neuen Methoden kommt, die von den Startups vorgelebt wurden. Vor anderthalb Jahren haben wir uns entschieden, innerhalb der Allianz Deutschland eine Digital Factory aufzubauen, mit der wir den Change-Prozess vorantreiben können. Es gibt weitere Digital Factories in anderen Ländern und die Global Digital Factory der Gruppe, die für das Alignment sorgt.
CW: Was genau bezwecken Sie mit der Digital Factory ?
Nolte: Wir sind dabei – zunächst mit einem Fokus auf die Frontends, später dann auch weit ins Backend hinein –, die Art und Weise, wie wir Software entwickeln, umzukrempeln. Agile Softwareentwicklung haben wir schon vor einigen Jahren gemacht, aus der IT heraus. Das hat mal funktioniert, mal auch nicht. Der Ansatz, den wir jetzt verfolgen, ist radikaler. Die Digital Factory versteht sich ganz bewusst als Motor für die kundenorientierte Digitalisierung der gesamten Allianz Deutschland.
Wir haben in der Digital Factory mehrere Hebel identifiziert. Der vielleicht wichtigste ist die Customer Experience: Wir wollen Produkte und Services nahe am Kunden entwickeln. Dazu haben wir vor zwei Jahren eine Firma unter das Dach der Allianz Deutschland geholt, die Kaiser X Labs, damals der deutsche Ableger der Designagentur Teague mit Sitz in Seattle. Die Firma ist relativ klein, hat aber inzwischen rund 40 Mitarbeiter und ist darauf spezialisiert, anhand der Design-Thinking-Methode neue Produkte am Kundenbedarf entlang zu entwickeln. Dabei wird in den agilen Teams immer wieder intensiv mit Kunden-Feedback gearbeitet – in Sprints. Den Stand der Software testen wir mit den Kunden und holen Feedback ein.
CW: Dann arbeiten Sie sicher auch mit Prototypen oder „Minimal Viable Products“(MVPs)?
Nolte: Genau, und das ist auch schon das Stichwort für einen anderen wichtigen Hebel: Lean Startup. Gewerke, Projektvorhaben oder was auch immer werden nach der Lean-Startup-Methode umgesetzt. Wir definieren erst mal ein MVP und implementieren das dann in 100 Tagen. Dazu haben wir ein Review-Board geschaffen, vergleichbar mit einem VentureCapital-Board, vor dem Startups mit ihrer Geschäftsidee auftreten und dafür pitchen müssen. Unsere Teams bewerben sich sozusagen für das Geld, das ihnen – wenn alles gut geht – für diese 100 Tage zur Verfügung gestellt wird.
Das Team möchte zum Beispiel eine App entwickeln und sagt uns konkret, was es nach 100 Tagen erreicht haben will. Das können beispielsweise Downloads im AppStore sein oder
ein bestimmtes Kunden-Feedback oder ein anderer Score. Wenn das Team überzeugend ist, sagt das Board: Jawohl, ihr dürft in unser Agile Training Center und dort für 100 Tage arbeiten. Das sind in der Regel Teams von zehn bis zwölf Leuten, ein Product Owner, ein bis zwei Designer und der Rest Entwickler. Außerdem gibt es noch Fach-Owner und Business-Analysten.
CW: Kommen die Product Owner aus den Fachabteilungen?
Nolte: Meistens ja. Aber bei den Rollen kommt es mir weniger auf die funktionale Herkunft an als darauf, ob die Person diese Rolle beherrscht. Es gibt zum Beispiel auch einen Product Owner für ein Business-Projekt in Stuttgart, der kommt aus der IT. Weil er es kann. Es gibt auch Entwickler, die kommen aus der Betriebsorganisation. Die Teammitglieder arbeiten zu mindestens 80 Prozent ihrer Zeit zusammen an dem Produkt. Früher waren Mitarbeiter üblicherweise in fünf, sechs oder mehr Projekten aktiv, aber durch die Fokussierung, die wir jetzt haben, bekommen wir viel bessere Arbeitsergebnisse.
CW: Zum Pitching-Prozess: Brauchen die Teams eine Art Business-Plan?
Nolte: Ja. Aber der fällt je nach Produkt mehr oder weniger individuell aus. Messbarkeit ist in jedem Fall ein wesentliches Kriterium, weil man nach diesen 100 Tagen dem Review-Board schon sagen muss: Hat man sein Ziel erreicht oder nicht? Dann kommt ja gleich der nächste Pitch, und man muss Farbe bekennen: Führt man’s fort oder hat sich die These, wie ein Kundenproblem zu lösen ist, als nicht stichhaltig erwiesen?
CW: Wie setzt sich das Review-Board zusammen? Sind auch unternehmensexterne Experten zugelassen?
Nolte: Das ist intern besetzt, mit Entscheidern aus verschiedenen Teams. Je nach Themenstellung haben wir aber auch schon Gäste von auswärts hinzugenommen, zum Beispiel Venture Capitalists.
CW: Ihr Unternehmen ist ja normalerweise klassisch funktional aufgestellt ...
Nolte: Ja, aber an dieser Stelle haben wir das aufgebrochen. Das Team sitzt eng zusammen, es gibt keine Telefone, so dass die Kollegen aus dem Tagesgeschäft nicht anrufen und die Kollegen aus dem Team herausreißen können, wenn es irgendwo brennt. Die sollen sich voll auf ihre Aufgabe konzentrieren.
CW: Wie sieht die Infrastruktur aus, auf der die Entwickler programmieren?
Nolte: Wir arbeiten auf einer elastischen Infrastruktur, setzen dabei schwerpunktmäßig die Cloud Foundry von Pivotal ein und sind prak- tisch mit dem DevOps-Konzept unterwegs. Früher hatten wir das Staging über verschiedene Stufen, was oft mehrere Tage gedauert hat, mit vielen manuellen Tests dazwischen. Heute sind wir in der Lage, Produktiv-Deployments innerhalb von Minuten umzusetzen.
CW: Konnten Sie Ihre Entwickler aus dem Dev- und dem Ops-Bereich schnell auf Kurs bringen, oder war das ein längerer Prozess?
Nolte: Das ist in mehreren Dimensionen ein Riesen-Change. Er ist auch noch bei Weitem nicht beendet. Wir haben dort Leute gezielt weitergebildet und auch Externe eingestellt, es ist ein völlig anderes Prinzip als das vorherige. Der Vorteil ist, dass wir eine stark erhöhte Reaktionsgeschwindigkeit haben.
Wir arbeiten immer im Pair Programming: zwei Bildschirme, zwei Tastaturen, aber eine CPU, so dass immer der gleiche Code gezeigt wird.