Robotic Process Automation
Wie Softwareroboter Business-Prozesse automatisieren
Softwareroboter sind in aller Munde. Unterstützt durch KI-Technologie sollen sie Prozesse automatisieren und der Digitalisierung einen Schub geben. Anbieter wie der BPM-Spezialist Scheer bringen sich für den neuen Markt in Stellung.
Mit Robotic Process Automation rollt die nächste große Welle nach den ERP-Systemen in die Unternehmen“, sagt August-Wilhelm Scheer. „Das Thema gewinnt in Deutschland an Fahrt und bildet die nächste Innovationsstufe der Geschäftsprozessautomatisierung.“Der Inhaber und Geschäftsführer der Saarbrücker Scheer Group verweist auf einschlägige Studien, die dem jungen Markt für Robotic Process Automation (RPA) ein milliardenschweres Umsatzvolumen zutrauen. PricewaterhouseCoopers (PwC) etwa prognostiziert, dass die Umsätze bis 2020 von zuletzt 183 Millionen auf rund fünf Milliarden Dollar anwachsen werden.
Scheer, der einst den Business-Process-Management-Spezialisten IDS Scheer gründete, sieht neben den bereits durch ERP-, Officeund BPM-Systeme digitalisierten Tätigkeiten noch einen großen „Long-Tail“von zu automatisierenden Workflows. Dazu gehörten die klassische manuelle Sachbearbeitung ebenso wie Unterstützungs-, Vorbereitungs- und Bedienungstätigkeiten, wie sie in fast jedem Unternehmen anfallen. „Wir wollen Mitarbeiter nicht nur mit BPM unterstützen, wir wollen sie ersetzen“, erklärte der Manager auf der Kundenveranstaltung Scheer Digital World Congress. „Wir setzen Roboter an die Bildschirme.“
Mehr als klassische Prozessautomatisierung
Noch gibt es keine allgemein akzeptierte Definition des Begriffs Robotic Process Automation. Ulrich Storck, Head of Product Development bei Scheer, will darunter schlicht eine „Weiterentwicklung der klassischen Prozessautomatisierung“verstanden wissen. Ein RPA-System simuliert demnach, wie Menschen einzelne Bedienungsmasken oder auch ganze Geschäftsprozesse bedienen. Dazu werden Softwareroboter eingesetzt, die vom Anwender lernen, Benutzerschnittstellen zu verwenden. Zur Bedienung einer Software nutzen sie eine virtuelle Tastatur und eine Maus.
Mit Blick auf die eigene Produktpalette unterscheidet die Scheer Group einfache, kognitive und intelligente RPA-Systeme. Nach dieser Lesart können einfache RPA-Systeme sich wiederholende Routineaufgaben nachahmen, „indem sie Anwenderinteraktionen über vorhandene Software- und Benutzerschnittstellen automatisiert erfassen, extrahieren und selbst ausführen“. Einen Schritt weiter gehen kognitive RPA-Systeme. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz sollen sie in der Lage sein, das Anwenderverhalten auch in komplexeren Situationen zu replizieren. Sie können Expertenwissen einbringen und verfügen über Fähigkeiten der natürlichsprachigen Kommunikation. Sogenannte intelligente RPA-Systeme sind sogar lernfähig. Sie können Prozesse weitgehend selbstständig abbilden, ohne für einen bestimmten Prozess vorkonfiguriert oder programmiert worden zu sein. Auch hier schlägt der BPM-Anbieter die Brücke zum Produkt-
portfolio der in der Scheer Group vereinten Unternehmen. Neben „etablierten“BPM-Software- und -Beratungsanbietern gehören dazu auch Startups wie der Predictive-AnalyticsSpezialist Predict oder Inspirient, das sich auf automatisierte Datenanalysen mithilfe von KI-Techniken spezialisiert hat.
Unternehmen können von RPA-Systemen in vielerlei Hinsicht profitieren. Generell würden Prozesse damit nicht nur automatisiert, sondern auch beschleunigt und transparenter, argumentiert Scheer-Manager Storck. Mitarbeiter würden von „profanen und langweiligen Tätigkeiten“entlastet und hätten mehr Zeit für wertschöpfende Aufgaben. Im Gegensatz zu menschlichen Angestellten arbeiteten Softwareroboter 24 Stunden am Tag, machten keine Flüchtigkeitsfehler und dokumentierten ihr Tun zuverlässig und ausführlich. Darüber hinaus, so argumentieren die RPA-Protagonisten, eröffne sich für Unternehmen die Chance, einstmals ausgelagerte Tätigkeiten in automatisierter Form zurückzuholen. Ein typisches Beispiel sind Callcenter-Aufgaben.
Typische Anwendungsfelder für RPA lassen sich vor allem in der Finanz- und Versicherungsbranche finden – insbesondere im Personalwesen, in der Supply Chain und in der IT. So könnte ein RPA-System etwa die Änderung von Kundenadressen in den diversen Datentöpfen eines Versicherers übernehmen, eine Aufgabe, die bisher meist händisch erledigt wird und als besonders fehlerträchtig gilt. Auch eine polizeiliche Personenüberprüfung, wie sie etwa beim Beantragen eines Waffenscheins obligatorisch ist, ließe sich beschleunigen. Bearbeiter müssen heute verschiedene Datenbanken konsultieren, um zu prüfen, ob gegen einen Antragsteller etwas vorliegt. Diese Aufgabe könnte ein RPA-System zumindest teilweise erledigen und beispielsweise alle Personen aussortieren, für die kein negativer Eintrag zu finden ist. Genauer prüfen müssten die Bearbeiter dann nur noch wenige Einzelfälle. In Deutschland wurden RPA-Systeme bislang noch verhalten angenommen, berichtet Scheer. Erste größere Projekte gab es vor allem in Asien und Großbritannien. Inzwischen setze sich das Thema aber auch hierzulande auf breiterer Front durch. Finanzdienstleister wie die Deutsche Bank oder Versicherer wie Cosmos Direkt verfolgten RPA-Vorhaben; auch Volkswagen habe ein groß angelegtes Projekt begonnen.
Besonders weit fortgeschritten ist die Telekom. Schon seit drei Jahren beschäftige man sich mit RPA-Technologie, berichtet Ferri Abolhassan, Geschäftsführer des neu geschaffenen Bereichs Service. Im März 2015 habe die Telekom die ersten Softwareroboter installiert und betreibe heute eine der größten Roboterfarmen in Europa. Mehr als 100 Prozesse seien bereits automatisiert worden, fast ebenso viele würden derzeit entwickelt. Mit sogenannten „Frontend-Assistenten“unterstützt die Telekom vor allem ihre Servicemitarbeiter, die bei Bedarf per Mausklick einen „ServiceBot“für eine bestimmte Aufgabe starten können.
Arbeitsplätze können wegfallen
Doch gerade im deutschen Markt gibt es Vorbehalte gegen den Einsatz von Softwarerobotern. Viele Unternehmen beschäftigten sich zwar damit, scheuten aber angesichts zu erwartender Stellenstreichungen die Öffentlichkeit, war auf der Scheer-Konferenz zu hören. Auch Scheer sieht diesen Aspekt. Natürlich könnten Arbeitsplätze wegfallen, konzediert er. Doch es gebe auch positive Effekte, beispielsweise durch das Insourcing von Aufgaben und ganzen Prozessen. Nach seinen Erfahrungen werden RPA-Projekte überwiegend von Fachabteilungen getrieben, die schneller und näher am Kunden sein wollten. Das bedeute aber nicht, dass damit auch die berüchtigte Schatten-IT Auftrieb erhalte. IT-Manager könnten beruhigt sein: „Wir schauen dem Sachbearbeiter über die Schulter. Die IT-Infrastruktur muss dazu nicht angefasst werden.“