Tausendsassa Chief Digital Officer
Ein CDO muss viele verschiedene Rollen spielen können: Es gilt, eine digitale Vision zu entwickeln sowie andere Führungskräfte und die Mitarbeiter dafür zu begeistern. Darüber hinaus muss der Chefdigitalisierer natürlich die Technik beherrschen und wissen, wie er sie am besten einsetzt.
Justin Cerilli vom Personalberater Russell Reynolds Associates. Die Rolle des Evangelist gewinne dabei an Bedeutung. Er müsse eine Story entwickeln, die allen Beteiligten deutlich macht, wie sich der digitale Wandel konkret erreichen lässt.
Während viele technisch orientierte Management-Positionen mit einem klaren Karriereweg verbunden sind, kommen CDOs aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Einige haben einen technischen Background oder stammen aus dem Sektor Data Science, andere sind Marketing-Experten oder wechseln aus Beratungsoder Marktforschungshäusern in die CDORolle.
In Deutschland beschäftigt heute schon jedes fünfte Dax-Unternehmen einen Chief Digital Officer, weitere 20 Prozent haben zumindest eine vergleichbare Rolle geschaffen, die CDOAufgaben übernimmt. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, die von der CeBIT unterstützt wurde. Vor allem Industriekonzerne vertrauen zu 60 Prozent auf einen CDO. Chemieunternehmen folgen mit 33 Prozent und Dienstleister mit 30 Prozent. Finanzdienstleister haben dagegen noch kaum Digitalchefs eingesetzt. Der typische deutsche CDO ist laut der Erhebung 41 Jahre alt, männlich und hat ein betriebswirtschaftliches, naturwis- senschaftliches oder technisches Studium abgeschlossen.
Ebenso heterogen wie die Aufgaben und Qualifikationen zeigt sich die organisatorische Einbindung der CDOs in die Führungsstrukturen. Einige berichten an den CIO oder den Chief Marketing Officer (CMO). Füllen sie eine eher visionäre Rolle aus, sollten sie direkt an den CEO oder eventuell den COO berichten, raten Experten. Deloitte-CDO Gurumurthy empfiehlt in solchen Fällen sogar, dass andere Technologie-Manager dem Digitalchef unterstellt werden.
Der CDO wird zum Orchestrator, der Visionen entwickelt und Ziele setzt
„Geht es um technische Entscheidungen für Produkte, sollte der CDO mit dem CTO zusammenarbeiten“, so Gurumurthy. „Stehen interne Prozesse im Mittelpunkt, ist der CIO der geeignete Partner.“Darüber hinaus sollte der CDO auch engen Kontakt mit dem Personalverantwortlichen halten und damit sicherstellen, dass die richtigen Qualifikationen für die digitale Transformation im Unternehmen verfügbar sind. Gurumurthy: „Der Chief Digital Officer wird zum Orchestrator, der Visionen entwickelt und Ziele setzt.“Um erfolgreich zu sein, müsse er mit seinen Peers in der Führungsriege mindestens auf Augenhöhe agieren können. Wann sollte eine Organisation überhaupt einen CDO einstellen? Diese Frage beantworten Experten unterschiedlich. Deloitte-Mann Gurumurthy lehnt sich relativ weit aus dem Fenster, verweist aber darauf, dass es zum Thema noch keine validen Studien gebe. Nach seiner Einschätzung braucht etwa ein Handelsunternehmen, das in der Regel vor großen digitalen Herausforderungen stehe, ab einem Jahresumsatz von zwei Milliarden Dollar einen CDO. Andere Unternehmen, die in geringerem Ausmaß vom digitalen Wandel betroffen sind, sollten ab einem Umsatz von fünf Milliarden Dollar darüber nachdenken. Zu dieser Gruppe zählt er etwa klassische Fertigungsunternehmen.
In jedem Fall aber müssen sich Firmen darüber klar werden, warum genau sie einen CDO benötigen, warnt Mike Doonan von der Personalberatung SPMB. Er kennt viele Unternehmen, die einen Digitalchef ohne fundierte Begründung engagiert haben: „In Boomzeiten fragen Analysten gerne, mit welcher Strategie ein Unternehmen im Wettbewerb mit innovativen Konkurrenten bestehen will. Das Topmanagement bastelt dann eine Digitalstrategie und richtet ein Innovation Center ein, das von einem Chief Digital Officer geführt wird. Entwickelt sich der Markt wieder nach unten, fragen die Analysten: Wo bleibt die Profitabilität? Dann wird das Innovation Center flugs wieder eingestampft.“Bevor Doonan sich auf die Suche
nach einem CDO-Kandidaten macht, stellt er deshalb einige unbequeme Fragen: „Wenn ein Unternehmen nicht in maximal 20 Worten erklären kann, warum es einen CDO will, werde ich nicht tätig.“
Doch was wäre ein guter Grund, einen CDO einzustellen? – Wenn der CTO sich nur auf das Engineering konzentriert, der Produktverantwortliche nur an sein Produkt denkt und der CIO sich einzig um das Backend kümmert, sei der Bedarf für einen CDO klar auszumachen, sagt der Berater. Unternehmen mit einem Business-orientierten CIO könnten dagegen durchaus auf einen CDO verzichten, auch darin sind sich viele Experten einig. CIOs dieses Typs übernehmen schon mal zusätzlich die Rolle des CDO.
Markus Sontheimer, der als CIO beim Logistikdienstleister DB Schenker einstieg, ist dafür ein gutes Beispiel. Nachdem er Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung erkannt und offen angesprochen hatte, ernannte ihn der Aufsichtsrat zusätzlich zum CDO. Seitdem treibt er die Digitalisierung der Bahntochter mit Macht voran. Der Manager sieht CIO- und CDO-Ziele nicht als Gegenpole. Erst das Zusammenwirken beider Rollenmodelle bringe Unternehmen in Sachen Digitalisierung voran, lautet sein Credo.
CDO – gekommen, um zu bleiben?
Das führt zur beliebten Frage, ob der CDO in einer immer stärker digitalisierten Welt nicht ohnehin bald überflüssig wird. Julian Kawohl, Professor für Strategisches Management an der HTW Berlin und Initiator der deutschen CDO-Studie, hat darauf eine klare Antwort: „Unternehmen werden noch auf Jahre, eher Jahrzehnte damit beschäftigt sein, die digitale Transformation zu meistern.“Deloitte-CDO Gurumurthy sieht das etwas anders: „Es ist wie in den 90er Jahren, als die Unternehmen Internet-Verantwortliche ernannten. Die sind längst wieder verschwunden, weil das Internet heute integraler Bestandteil jedes Unternehmens ist.“