Machine Learning bei Siemens
Vor allem in den Bereichen Züge und Turbinen hat der Münchner Industriekonzern zahlreiche Anwendungsszenarien rund um Machine Learning und KI vorzuweisen.
Dass künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML) in der betrieblichen Realität angekommen sind, beweist der Siemens-Konzern, der bereits zahlreiche Anwendungsszenarien umgesetzt hat.
Gasturbinen, die durch niedrige Emissionen und geringen Verschleiß auffallen und sich automatisch auf eine sich verändernde Konsistenz des Gases einstellen; Züge, die zu 99,9 Prozent verfügbar sind und eine Verspätungsquote von 0,04 Prozent erzielen (von 2300 Zügen ist lediglich einer unpünktlich): Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, dass KI und ML bereits im Alltag Mehrwerte liefern. Vorausgesetzt, das Unternehmen hat die richtigen Ideen. Und die hat Siemens, wo man sich schon seit 30 Jahren mit neuronalen Netzen und KI befasst.
Weniger Stickoxide sind machbar
Der KI-Einsatz bei den Gasturbinen zielt in erster Linie darauf ab, dass der Ausstoß an umweltschädlichen Stickoxiden möglichst gering ist. Laut Siemens kann bei einer Gasturbine bereits zwei Minuten, nachdem die KI die Brennersteuerung übernommen hat, der StickoxidWert um 20 Prozent reduziert werden. Zur Senkung der Emissionen ändert das System die Verteilung des Brennstoffs. Das neuronale Modell beeinflusst, wie der Brennstoff in den Brennern verteilt wird. Aber: Für jede Turbine, jeden Standort, jede Gaszusammensetzung und jede Wettersituation sind individuelle Einstellungen erforderlich, die das jeweilige Modell aus den vorhandenen Betriebsdaten selbst errechnet. Eine Gasturbine etwa benötigt einige Wochen Lernzeit, ehe die KI-Software die Steuerung selbständig vorteilhaft verändern kann.
Mehr Strom mit KI-Support
Dank maschinellem Lernen kann auch die Energieerzeugung effizienter gestaltet werden: Windturbinen passen sich den schwankenden Wind- und Wetterverhältnissen an und erhöhen damit ihre Stromerzeugung. Hierzu werden Messdaten zu Windrichtung, Windstärke, Temperatur, Strom und Spannung sowie zu Vibrationen an größeren Bauteilen wie Generator oder Rotorblättern genutzt. Gleichzeitig markiert dies einen Fortschritt gegenüber klassischen IoT-Szenarien, bei denen die Parameter der Sensoren lediglich zur Fernüberwachung und Diagnostik im Service verwendet werden. Nun dienen die Daten auch dazu, den StromOutput zu erhöhen.
KI-Plattform Railigent
Maschinelles Lernen ist auch eine Kernanforderung bei Siemens Rail. Der Geschäftsbereich wertet zunächst die Daten aus, die die OnBoard-Unit eines Schienenfahrzeugs liefert. Dazu zählen etwa die Temperatur der Achslager und der Transformatoren, der Zustand von Hydraulikölen, die Vibrationen der Drehgestelle, dynamische Daten des Antriebs und der Bremsen, die Ströme der Türantriebe und Informationen über Heizung, Lüftung und Klimaanlage. Ebenso werden die Meldungen von Triebfahrzeugführern, Ersatzteilanforderungen, Arbeitsprotokolle der Werkstätten und die Arbeitsanweisungen erfasst und in die laufende Musteranalyse eingebracht.
Durch maschinelles Lernen werden so die Prognosesysteme ständig weiterentwickelt. Daraus entstand die Plattform Railigent. Über diese kann, wie es bei Siemens heißt, der komplette Weg der Daten vom Sensor am Gleis bis zum Bericht auf dem Smartphone abgebildet werden – inklusive Handlungsempfehlungen.
Analysiert werden die Daten im Mobility Data Services Center in München-Allach, das mittlerweile über 500 Züge in Europa überwacht. Dabei entstehen erhebliche Datenmengen: So geht man davon aus, dass eine Flotte von 100 Triebzügen jährlich zwischen 100 und 200 Milliarden Datenpunkte produziert. Eine Flotte kommt damit auf etwa 50 Terabyte Daten.
Ausfallsichere Züge
Auf diese Weise konnte Siemens in Zusammenarbeit mit der spanischen Staatsbahn Renfe auf der Hochgeschwindigkeits-Strecke zwischen Madrid und Barcelona eine hohe Zuverlässigkeit erreichen: Nur alle 2300 Fahrten tritt eine nennenswerte Verspätung auf, die durch technische Probleme verursacht wird. Renfe garantiert heute seinen Zugpassagieren, ihren Fahrpreis ab einer fünfzehnminütigen Verspätung komplett zu erstatten. Auch die russische Staatsbahn RZD erreicht dank KI-gestützter Condition-based Maintenance (CBM) eine Verfügbarkeit von über 99 Prozent. Während hierzulande bereits bei leichtem Frost Weichen und Türen einfrieren, rollen die russischen Bahnen auch bei Temperaturen von bis zu minus 40 Grad. Im Einsatz haben die Russen den Regionalzug Desiro RUS wie auch das ICE-Pendant Velaro RUS (vergleichbar mit dem ICE 3), in Russland besser bekannt als Sapsan – zu deutsch Wanderfalke.
Hierzulande rüstet Siemens unter anderem die Elektrolokomotiven der DB Cargo AG zu vernetzten „TechLOKs“auf, um eine zustandsbasierte und prädiktive Instandhaltung zu ermöglichen. Der 2017 abgeschlossene Vertrag hat eine Laufzeit von sechs Jahren. Die verbauten Telematiksysteme erfassen kontinuierlich den Zustand der Loks. Aus den so gesammelten Daten entwickeln die Experten des Mobility Data Services Center von Siemens gemeinsam mit DB Cargo identifizierte Anwendungs- und Datenanalysemodelle.
Dazu werden die Analytikmodelle der RailigentPlattform von Siemens genutzt, die mit dem IoT-Betriebssystem MindSphere verknüpft ist. Durch die digitalisierte Datenanalyse können sich abzeichnende Fehler und Störungen früh- zeitig erkannt und damit Werkstattaufenthalte flexibler und zustandsbasiert geplant werden. Ziel ist es, die Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Lokomotiven zu optimieren.
AI Lab in München
Damit die Entwicklung neuer Ideen und Anwendungen für KI und ML nicht dem Zufall überlassen bleibt, hat Siemens im November 2017 im Herzen Münchens, mit Blick auf den Viktualienmarkt, ein AI Lab eröffnet. Es ist als CoworkingSpace konzipiert, in dem sich Spezialisten mit der Machbarkeit neuer Ideen rund um das Thema KI befassen. Im Lab arbeiten die zentrale Siemens-Forschung und andere Business Units interdisziplinär zusammen.
Zusätzlich will der Münchner Konzern für sein AI Lab auch externe Akteure finden. Bei Siemens hofft man, dass durch solche Kooperationen peu à peu eine lebendige Community rund um Themen der künstlichen Intelligenz entsteht, die sich austauscht und gegenseitig Anregungen liefert. Teil dieser Gemeinschaft ist nach Angaben des Konzerns bereits die in München sitzende German Entrepreneurship GmbH sowie die Technische Universität (TU) München.