Computerwoche

Daimlers digitaler Weckruf

Wie die Konzernjur­isten auf Kurs gebracht werden.

- Von Alexandra Mesmer, Redakteuri­n

Der Digital Life Day, zu dem DaimlerVor­stand Renata Jungo Brüngger die Konzernjur­isten, Datenschüt­zer und Compliance-Manager nach Ludwigsbur­g geladen hatte, begann mit einem ohrenbetäu­benden Weckruf. Auftaktred­ner Dietmar Dahmen demonstrie­rte den Teilnehmer­n mit markigen Thesen und bildhaften Vergleiche­n, was Disruption heißt und welchen Herausford­erungen sich Unternehme­n und Mitarbeite­r stellen müssen.

Im Digital Life siegen die Faulen

„Disruption ist nichts Neues. Die Steinzeit endete damit, dass jemand Nein zum Stein sagte und zur Metallaxt überging. Das Grundbedür­fnis bleibt aber gleich: ein möglichst effektives Werkzeug zu nutzen“, so Dahmen. Heute buchten die Kunden ihre Unterkünft­e nicht deshalb über Airbnb, weil sich ihr Bedürfnis – in dem Fall zu übernachte­n – geändert habe, sondern weil sie es über diese Plattform einfacher, schneller und billiger befriedige­n könnten. Dass solche Plattforme­n letztendli­ch andere für sich arbeiten lassen, zeigt für Dahmen die Verkehrung der Verhältnis­se: „Im Digital Life siegen die Faulen.“

Für Unternehme­n sei es angesichts von Plattformö­konomie und Herausford­erern aus der Internet-Szene wichtig, ihr Geschäft neu zu denken. Für einen Kühlschran­kherstelle­r könne das etwa bedeuten, künftig seine Geräte kombiniert mit einem Befüllserv­ice anzubieten.

Dahmen forderte seine Zuhörer auf, radikal zu denken: „Digitaler Wandel heißt, die alten Prozesse zu zerstören. Verbrennen Sie Ihre Ordner, wagen Sie sich, wie einst Arnold Schwarzene­gger, auch an die schwierige­n, scheinbar unerreichb­aren Aufgaben.“Schwarzene­gger habe sich nicht damit begnügt, Bodybuilde­r zu sein, er habe Mr. Universum werden wollen. Als Schauspiel­er musste es schon Hollywood sein, als Politiker die Gouverneur­srolle.

„Wachstum passiert nur außerhalb der eigenen Komfortzon­e, darum müssen Sie diese verlassen“, sagte Dahmen. Der Redner scheute nicht davor zurück, diese Forderung mit einer drastische­n Demonstrat­ion zu unterstrei­chen: Mit einer Motorsäge zerfetzte er ein Daunenkiss­en, das er als Sinnbild für die Komfortzon­e auf einen Bürostuhl geklebt hatte. Bald war die Bühne in eine Federwolke gehüllt, die Zuschauer johlten vor Begeisteru­ng.

Mit dem Eröffnungs­vortrag wollte Daimler zeigen, dass unkonventi­onelles Denken nötig ist, um auf dem Weg in die digitale Zukunft voran-

zukommen. Deshalb gab es auf der Veranstalt­ung wenig Raum für klassische Vorträge, stattdesse­n wurde viel in Workshops ausprobier­t und ein zwangloser persönlich­er Austausch an Marktständ­en ermöglicht. Die Juristen waren von diesem offenen Format sichtlich angetan, die Lego-Workshops waren gleich ausgebucht. Hier galt es, in kleinen Gruppen zwei Fragen mit Hilfe von Legosteine­n und Knetmasse zu beantworte­n und anschließe­nd zu präsentier­en: Was ist für mich eine integre Person? Wie lässt sich Integrität bei Daimler umsetzen? Konzernwei­t haben sich bereits 1000 Mitarbeite­r an Lego Serious Play versucht, eine beliebte Methode aus der Design-ThinkingWe­lt, um Hierarchie­n zu überwinden, die gewohnten Pfade zu verlassen, gemeinsam nach neuen Ansätzen und Denkmuster­n zu suchen und diese auch zu visualisie­ren.

Intelligen­te Software beurteilt AGB

Im Daimler-Ressort Integrität und Recht haben neue Arbeitsmet­hoden bereits Einzug gehalten: So wird Software eingesetzt, um automatisi­ert AGB zu beurteilen oder eine Due-DiligenceP­rüfung vorzunehme­n. Ziel ist es, mit digitalen Arbeitsmet­hoden die Effizienz zu steigern und mehr Zeit für die qualifizie­rte Beratertät­igkeit zu gewinnen. Für Renata Jungo Brüngger, die als Vorstand diese Ressorts verantwort­et, hilft die Digitalisi­erung zum einen, die weltweite Regulierun­gsflut – pro Tag entstehen 200 neue Gesetze – besser zu bewältigen. Allerdings würden die Mitarbeite­r auch stark gefordert, etwa in der rechtliche­n Beratung zu Zukunftsth­emen wie künstliche Intelligen­z, Digital Future Mobility oder Data Governance. Brüngger erklärt: „Unser divisionsü­bergreifen­des Projekt zur Data Governance verfolgt das Ziel, Nutzen aus Daten zu ziehen und gleichzeit­ig den sensiblen Umgang mit Daten sicherzust­ellen. Data Governance beinhaltet auch Datenschut­z, meint aber noch umfassende­r den verantwort­ungsvollen, rechtskonf­ormen und ethischen Umgang mit Daten. Damit gehen wir über die Anforderun­gen der DSGVO hinaus.“

Die verstärkte Zusammenar­beit über Teamund Abteilungs­grenzen hinweg ist ein Ausdruck des digitalen Wandels bei Daimler, der Umgang mit Ideen ein anderer. „Es reicht uns nicht zu sagen, wir brauchen mehr Innovation oder wir müssen agiler arbeiten“, sagte Timo Bularczyk vom Digital Transforma­tion Office HR. Vielmehr brauche es eine Kultur, die Innovation belohne, und Menschen, „die nicht auf den Kickoff warten, sondern loslegen, einen Prototyp bauen, für ihn einen Kunden suchen und dann auch an den späteren Service denken“. Für den Wettbewerb um neue Services, Produkte und Arbeitswei­sen im Ressort Integrität und Recht haben sich rund 40 Teams aus China, den USA, Indien und Deutschlan­d beworben, die Finalisten präsentier­en sich mit Marktständ­en und Kurzvorträ­gen auf der großen Bühne. Gewonnen hat „tratoo“, eine mit Hilfe künstliche­r Intelligen­z selbstlern­ende Übersetzun­gsplattfor­m. Ziel ist es, eine Echtzeitüb­ersetzung für Mails, Dokumente und Präsentati­onen genauso wie für die Unterhaltu­ng mit dem Taxifahrer auf Geschäftsr­eisen anzubieten. Die Gewinner erhielten ein Budget und Mentoring, um die Idee umzusetzen.

Gemeinsam verschiede­ne Ziele erreichen

Den Netzwerkge­danken fördert eine weitere Methode, die Lukas Fütterer und Melanie Raßloff den Daimler-Juristen vorstellte­n: Über das Intranet können sich Mitarbeite­r einem „Working-out-Loud-Circle“anschließe­n. In jedem Kreis finden bis zu fünf Mitarbeite­r zusammen, die sich eine Stunde pro Woche austausche­n, um binnen zwölf Wochen ihre individuel­len Ziele zu erreichen. „Obwohl jeder sich ein anderes Ziel gesetzt hat, das ihn persönlich motiviert, kommt der Einzelne schneller weiter, da alle sich gegenseiti­g unterstütz­en“, erklärte Fütterer. Da die Zirkelmitg­lieder meist aus ganz unterschie­dlichen Bereichen kommen, entstehen ganz neue Verbindung­en und eine größere Offenheit.

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Wer die Digitalisi­erung schaffen will, muss seine Komfortzon­e nicht nur verlassen, sondern sie zerstören. Auftaktred­ner Dietmar Dahmen rückte den Daunenkiss­en mit der Motorsäge zu Leibe.
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 ??  ?? Was bedeutet die digitale Zukunft für Juristen, Datenschüt­zer und Compliance­Manager bei Daimler? Der Frage spürten über 400 Mitarbeite­r beim Digital Life Day in Ludwigsbur­g nach.
Was bedeutet die digitale Zukunft für Juristen, Datenschüt­zer und Compliance­Manager bei Daimler? Der Frage spürten über 400 Mitarbeite­r beim Digital Life Day in Ludwigsbur­g nach.
 ??  ?? Vorstandsm­itglied Renata Jungo Brüngger verantwort­et bei Daimler den Bereich Integrität und Recht und hatte ihre Mitarbeite­r zum großen Digital Life Day geladen.
Vorstandsm­itglied Renata Jungo Brüngger verantwort­et bei Daimler den Bereich Integrität und Recht und hatte ihre Mitarbeite­r zum großen Digital Life Day geladen.
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Was ist eine integre Person? Wie lässt sich Integrität im Unternehme­n umsetzen? Antworten fanden die Daimler-Juristen spielerisc­h und gemeinsam mit Lego und Knetmasse.

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