Für Qualtrics zahlt SAP acht Milliarden Dollar
Viel Geld für Customer-Experience-Management.
Kurz vor dessen Börsengang hat sich SAP den Spezialisten für ExperienceManagement (XM) Qualtrics geschnappt. Mit den Tools des Cloud-Anbieters sollen Anwender analysieren können, wie Kunden und Mitarbeiter zum eigenen Unternehmen stehen und wie Produkte und Marke funktionieren. Das war den Walldorfern acht Milliarden Dollar wert.
SAP-CEO Bill McDermott macht Ernst mit seiner Ankündigung, den Markt für Customer-Relationship-Management (CRM) neu zu definieren. Nach der Übernahme von Callidus Software für 2,4 Milliarden Dollar Anfang des Jahres und der Vorstellung von C/4HANA, einer aus eigenen und zugekauften Produkten neu paketierten CRM-Suite, im Juni 2018 folgte nun der nächste Paukenschlag: Der größte deutsche Softwarekonzern gab bekannt, den US-amerikanischen Softwarehersteller Qualtrics übernehmen zu wollen. Die Stoßrichtung dieser Strategie ist eindeutig. SAP will dem Branchenprimus Salesforce, der den Markt seit Jahren dominiert, Paroli bieten.
Qualtrics, das 2002 gegründet wurde, bezeichnet sich selbst als Pionier für das ExperienceManagement (XM). Aus Sicht des Softwareanbieters geht es für Unternehmen dabei um vier zentrale Erfahrungsaspekte: Kunden, Mitarbeiter, Produkte und die eigene Marke. Mit der Qualtrics-Software „Customer Experience“ könnten Unternehmen in Erfahrung bringen, wie sich der Kundenbedarf ändert, welche Kunden für das eigene Geschäft wichtig sind und wie sich Potenzialkunden von der eigenen Marke überzeugen lassen. Dabei hätten die Nutzer stets das gesamte Kundenerlebnis im Blick und könnten entsprechend reagieren sowie Berührungspunkte gezielt verbessern, versprechen die Verantwortlichen. Darüber hinaus diene das Werkzeug „Employee Experience“dem Anbieter zufolge dazu, entscheidende Momente des Mitarbeiterzyklus besser handhaben zu können. Damit lasse sich das Engagement erhöhen, der Fluktuation entgegenwirken und zudem der Teamgeist stärken.
Zweitteuerster Deal der SAP-Geschichte
Mit „Product Experience“will Qualtrics zudem Unternehmen helfen, das Marktpotenzial ihrer Produkte besser auszureizen. Gerade in Zeiten, in denen sich Märkte immer schneller veränderten, werde es für die Unternehmen wichtiger, die eigenen Produkte optimal am Markt zu platzieren, hieß es. Das Werkzeug misst das Benutzererlebnis und erstellt Prognosen zur Produktnutzung und Marktakzeptanz. Mit „Brand Experience“hätten Organisationen das Markenbewusstsein, den Markenwert und die Markenwahrnehmung im Blick, könnten sie qualitativ bewerten und entsprechend den Auftritt der eigenen Marke zielgenauer steuern.
„Zusammen werden SAP und Qualtrics einen neuen Standard definieren, ähnlich wie sich Märkte durch personalisierte Betriebssysteme, mobile Endgeräte und soziale Netzwerke verändert haben“, kommentierte SAP-Chef McDermott die Akquisition. „Wenn wir unsere Betriebsdaten mit den Erlebnisdaten von Qualtrics kombinieren, schaffen wir umgehend eine neue XM-Kategorie mit einer End-to-End-Lösung von globaler Reichweite.“Die ExperienceDaten und -Erkenntnisse von Qualtrics zusammen mit den umfassenden operativen Daten aus SAP-Systemen ermöglichten Kunden, ihre
Lieferketten, Netze, Mitarbeiter und Kernprozesse besser zu steuern, verspricht SAP.
Mit einem Kaufpreis von acht Milliarden Dollar ist die Übernahme von Qualtrics die zweitteuerste Akquisition in der Geschichte von SAP – nach dem Kauf von Concur, einem Cloud-Spezialisten für das Reise- und Reisekosten-Management, für 8,3 Milliarden Dollar vor rund vier Jahren. Der Kaufpreis für Qualtrics soll in bar entrichtet werden. Die Verantwortlichen beider Unternehmen haben den Deal bereits befürwortet, genauso wie die Investoren beim US-Cloud-Anbieter. Die Genehmigungen der Aufsichtsbehörden vorausgesetzt, soll der Deal im ersten Halbjahr 2019 abgeschlossen werden.
Der XM-Spezialist hat seit 2012 in verschiedenen Finanzierungsrunden insgesamt rund 400 Millionen Dollar bei Investoren eingesammelt, darunter Accel, Insight Venture Partners und Sequoia Capital. In der letzten Runde im April 2017 wurde das Unternehmen mit 2,3 Milliarden Dollar bewertet. Noch bis zum Oktober 2018 hatten die Qualtrics-Verantwortlichen die Vorbereitungen für einen Börsengang forciert. Der Softwareanbieter wies 2016 Einnahmen in Höhe von 190 Millionen Dollar aus, 2017 waren es 290 Millionen Dollar und für das laufende Jahr rechnet das Management mit einem Umsatz von knapp 400 Millionen Dollar. Nachdem 2016 noch ein Verlust von zwölf Millionen Dollar angefallen war, schrieb der Anbieter im vergangenen Jahr mit einem Plus von 2,6 Millionen Dollar schwarze Zahlen – für einen Cloud-Anbieter keine Selbstverständlichkeit.
Das in Provo, Utah, und Seattle, Washington, beheimatete Unternehmen hat rund 1300 Mitarbeiter und mehr als 9000 Kunden weltweit – darunter renommierte Namen wie Allianz und Volkswagen. Momentan ist der Anbieter in 13 Ländern vertreten, in Deutschland mit einem Büro in München. SAP werde Qualtrics helfen, schneller zu wachsen, sagte Qualtrics-CEO Ryan Smith. „Schlagartig gewinnt die XM-Plattform enorme Reichweite.“SAP zufolge sollen die Führungsstruktur, die Mitarbeiter und die Marke von Qualtrics erhalten bleiben. Der Zukauf soll künftig zur Cloud Business Group von SAP gehören. Ryan Smith behalte seine Position als CEO. Die Konzernzentralen in Provo und Seattle blieben ebenfalls bestehen.
Kombi aus Betriebs- und Erlebnisdaten
Aus SAP-Sicht liegt der Mehrwert in der Übernahme von Qualtrics für die Kunden darin, die eigenen operationalen Daten aus den SAPSystemen mit den Experience-Daten aus den Qualtrics-Anwendungen verknüpfen zu können. Anwender erhielten Aufschlüsse darüber, wie Kunden und Mitarbeiter das eigene Unternehmen und dessen Produkte beurteilten, und könnten dann über die Verbindung mit den operationalen Systemen wie CRM und HR sofort geeignete Maßnahmen anstoßen.
Entscheidend dürfte jedoch sein, wie unabhängig die XM-Werkzeuge von Qualtrics in Zukunft funktionieren werden. Derzeit offeriert der XM-Anbieter für den Datenzugriff Schnittstellen in unterschiedlichste Drittsysteme – beispielsweise zu den SAP-Konkurrenten Salesforce, Workday und Marketo, das kürzlich von Adobe geschluckt worden ist. Gerade in dieser Integration liegt auch der Vorteil für die Anwender. SAP selbst hatte sich in der Vergangenheit mit der Akzeptanz von Drittsystemen eher schwergetan. Der Streit mit Anwendern, wie Nutzung von Drittsoftware in Lizenz zu nehmen sei, ist trotz der Bemühungen der SAP- Verantwortlichen längst nicht vom Tisch – wie die Klage des deutschen CIO-Verbands Voice gegen SAP Anfang Oktober gezeigt hat.
Mit der Übernahme von Qualtrics will SAP sein Standing im CRM-Markt verbessern und Boden auf den Marktführer Salesforce gutmachen. Salesforce, das als Software-as-a-Service(SaaS-)Spezialist für CRM-Lösungen gestartet war, hat sein Portfolio über die Jahre hinweg kontinuierlich ausgebaut. Anwender finden in der Salesforce-Cloud unzählige Zusatzservices und -funktionen für ihr Kunden-Management, die teilweise von Salesforce selbst oder von Partnern in einem kontinuierlich wachsenden Ökosystem angeboten werden. Beispielsweise treibt Salesforce derzeit Eigenentwicklungen rund um sein KI-Portfolio „Einstein“voran. Auf seiner Konferenz Dreamforce Ende September in San Francisco hat der Cloud-Spezialist die neue Lösung „Customer 360“präsentiert, mit deren Hilfe Anwender eine einheitliche Sicht auf sämtliche Kundendaten erhalten sollen. Dafür müssten die Daten nicht erst aufwendig integriert und aufbereitet werden, hieß es.
Außerdem suchte der SAP-Konkurrent Bündnisse mit Branchengrößen wie IBM, Google sowie Cisco und kaufte Lösungen zu – zuletzt im März 2018 den Integrationsspezialisten Mulesoft für 6,5 Milliarden Dollar. Mulesoft bietet Anwendern eine Plattform, deren APIs die Konnektivität zu beliebigen Anwendungen, Daten und Geräten herstellen – in der Cloud wie auch on Premise. Verbinde man diese Schnittstellen mit Customer 360, entstehe ein vollständiger Blick auf den Kunden.