Arbeitgeber dürfen spionieren
Unternehmen dürfen ihre Arbeitsplätze mit einer Videokamera überwachen. Strittig war aber, wie lange sie die Aufzeichnungen speichern dürfen. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht entschieden – anders, als viele erwartet hatten.
Wie lange darf ein Arbeitgeber die Aufzeichnungen einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz speichern? Hier trifft das alte Bundesdatenschutzgesetz auf die neue DSGVO. Das Bundesarbeitsgericht hat anders entschieden, als viele erwartet hatten.
Selbst nach Monaten dürfen Arbeitgeber Aufzeichnungen aus Videoüberwachungsanlagen auswerten. Lässt sich daraus die Pflichtverletzung eines Arbeitnehmers ableiten, kann darauf eine (außerordentliche) Kündigung gestützt werden. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 23. August 2018 (AZR 133/19) entschieden. Das Urteil weicht erheblich von der Ansicht ab, die die Datenschutz-Aufsichtsbehörden bislang vertreten haben. Wie aus einer Erklärung des Gerichts hervorgeht, soll diese Einschätzung auch unter der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gelten.
Die Datenschutz-Aufsichtsbehörden haben in einer Vielzahl von Beschlüssen beschrieben, wie und unter welchen Voraussetzungen eine Videoüberwachung aus ihrer Sicht zulässig ist. Diese Vorgaben sind in weiten Teilen durch die Gerichte bestätigt und konkretisiert worden. Dies gilt insbesondere für die Videoüberwachung im Arbeitsverhältnis.
Für die Zulässigkeit wird danach unterschieden, ob es sich um eine offene, das heißt erkennbare, oder eine verdeckte, das heißt heimliche, Videoüberwachung handelt. Die offene Videoüberwachung ist in aller Regel zulässig, solange die überwachende Stelle ein berechtigtes Interesse an der Überwachung hat und keine anderen gleich geeigneten Mittel zum Schutz des berechtigten Interesses zur Verfügung stehen. Folgende Fälle sind beispielsweise anerkannt: der Schutz des Eigentums, die Wahrnehmung des Hausrechts oder das Überwachen bestimmter Produktionsabläufe. Doch der Spielraum ist begrenzt: Die Überwachung von Waschräumen und Toiletten ist beispielsweise unzulässig. Hierbei überwiegt der Schutz der Intimsphäre der Personen so deutlich, dass eine Videoüberwachung per se verboten ist. Generell muss eine offene Videoüberwachung durch Hinweisschilder kenntlich gemacht werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die überwachte Person ihr Verhalten anpassen kann.
Bei Tatverdacht darf überwacht werden
Die verdeckte Videoüberwachung greift intensiver in die schutzwürdigen Belange der Personen ein, weil diese keine Chance haben, sich darauf einzustellen. Deshalb gelten hier strengere Anforderungen als bei der offenen Videoüberwachung. Für die verdeckte Überwachung von Mitarbeitern kommt es darauf an, ob es einen konkreten Tatverdacht gegen einen Mitarbeiter gibt oder nicht. Liegt dieser vor, ist eine Videoüberwachung zulässig, wenn es keine alternativen Möglichkeiten gibt, durch die ein Arbeitgeber prüfen kann, ob sich der verdächtige Arbeitnehmer vertrags- und gesetzestreu verhält. Die Videoüberwachung gilt als Ultima Ratio.
Für die Frage, ob eine Videoüberwachung datenschutzrechtlich zulässig ist, kommt es schließlich darauf an, ob die Aufnahmen gespeichert oder nur an einem Monitor von einer Person überwacht werden. Die bloße Überwachung ohne Aufzeichnung ist weniger eingriffsintensiv, weil hier eine nachträgliche Analyse des
Verhaltens nicht möglich ist. Werden die Daten indes gespeichert, stellt sich die Frage, wie lange die Aufzeichnungen vorgehalten werden dürfen. Sowohl nach alter Rechtslage als auch nach der DSGVO dürfen personenbezogene Daten – und damit die Videoaufzeichnungen – so lange gespeichert werden, wie dies für den Zweck erforderlich ist, für den sie erhoben wurden. Für die Videoüberwachung halten die Datenschutzaufsichtsbehörden eine Speicherfrist von 48 Stunden für ausreichend. Innerhalb von zwei Tagen lässt sich feststellen, ob es zu Eigentumsverletzungen oder Störungen des Hausrechts gekommen ist. Unter besonderen Umständen soll auch eine längere Speicherung möglich sein. Mit dieser Frage hat sich jetzt das Bundesarbeitsgericht beschäftigt.
Der Betreiber eines Tabak- und Zeitschriftenhandels mit angeschlossener Lottoannahmestelle hat bei einer stichprobenartigen Ermittlung in seiner Filiale im dritten Quartal 2016 Auffälligkeiten festgestellt. Deshalb hat er ab dem 1. August 2016 die Aufzeichnungen seiner Videoüberwachungsanlage analysiert. Gegenstand der Kontrolle waren Aufzeichnungen vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2016.
Dabei wurden unter anderem Arbeitstage einer Mitarbeiterin im Februar 2016 überprüft. Die Videoaufzeichnungen zeigten eine Mitarbeiterin, die Tabakwaren nicht ordnungsgemäß abgerechnet hat, so dass hier der konkrete Verdacht für eine Straftat gegen den Arbeitgeber nahelag. Der Arbeitgeber kündigte der Mitarbeiterin daraufhin fristlos. Die Mitarbeiterin klagte gegen diese Kündigung und bekam sowohl vor dem Arbeitsgericht Iserlohn als auch vor dem Landesarbeitsgericht Hamm recht. Das LAG Hamm stellte fest: Die Videoaufzeichnungen hätten nicht verwertet werden dürfen. Denn sie hätten nach Paragraf 6b Absatz 5 BDSG-alt (Bundesdatenschutzgesetz) gelöscht werden müssen. Der Arbeitgeber brachte den Fall deshalb zum Bundesarbeitsgericht (BAG).
Flexible Speicherfrist der Daten
Das BAG musste sich mit der Frage auseinandersetzen, ob der Arbeitgeber auch nach einigen Monaten noch berechtigt gewesen ist, die Aufzeichnungen der Videoüberwachung zu analysieren. Diese Frage ist insoweit relevant, als im Arbeitsgerichtsprozess Informationen, die unter Verstoß gegen das Datenschutzrecht erlangt wurden, einem Beweisverwertungsverbot unterliegen können. Das ist der Fall, wenn die Verwertung unter Verstoß gegen das Datenschutzrecht beschaffter Daten beziehungsweise der aus diesen Daten gewonnenen Erkenntnisse mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht vereinbar ist. Ein Gericht berücksichtigt diese Informationen bei der Entscheidungsfindung dann nicht.
Würde ein solches Beweisverwertungsverbot für den vorliegenden Fall greifen, könnte der Arbeitgeber nicht auf die Videoaufzeichnungen zurückgreifen, um seinen Tatverdacht zu belegen. Außer diesen Videoaufzeichnungen hatte er aber keine anderen Anhaltspunkte dafür, dass seine Mitarbeiterin Tabakwaren falsch abgerechnet hatte. Es kam also darauf an, ob die Aufzeichnungen rechtmäßig über Monate gespeichert und ausgewertet werden durften. Das Bundesarbeitsgericht hat zugunsten des Betreibers entschieden: Der Arbeitgeber musste das Bildmaterial nicht sofort auswerten. Er durfte so lange warten, bis er dafür einen berechtigten Anlass sah. Diese Grundsätze sollen auch unter der DSGVO gelten.
Für die Interessen der Arbeitgeber ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichts begrüßenswert: Es stellt klar, dass das Datenschutzrecht nicht herangezogen werden kann, um strafbares Verhalten zu verdecken. Allerdings scheint das Urteil mit den allgemeinen Vorgaben des Datenschutzrechts zu brechen. Danach muss ein Arbeitgeber personenbezogene Daten unverzüglich löschen, wenn er diese für den Zweck, für den er sie erhoben hat, nicht mehr benötigt. Nach dem Entscheid des BAG können nun theoretisch die Arbeitgeber die Speicherdauer beliebig festlegen. Tatsächlich wird man das BAG-Urteil – zumindest so lange, bis es im Volltext veröffentlich wird – nicht so verstehen können, dass Arbeitgeber einen Freibrief für die unbeschränkte Speicherung von Videoaufzeichnungen erhalten haben.
Vielmehr wird man es so interpretieren müssen, dass die von den Datenschutzaufsichtsbehörden vertretene Aufsicht der Speicherfrist von 48 Stunden flexibilisiert werden muss. Danach wird es für Arbeitgeber umso wichtiger sein, das berechtigte Interesse der Speicherung beziehungsweise deren Dauer gemäß Artikel 6 Absatz 1 f DSGVO konkret darzulegen. Ein solches Interesse kann unserer Einschätzung nach – jedenfalls mit Blick auf die aktuelle BAG-Entscheidung – dann gegeben sein, wenn es für bestimmte Vorgänge einen festgelegten Kontrollmechanismus gibt (zum Beispiel eine quartalsweise Inventur). Ein solcher vierteljährlicher Überprüfungsrhythmus (etwa im Handel) dürfte nach dieser BAG-Entscheidung möglich sein.