Computerwoche

Arbeitgebe­r dürfen spionieren

- Von Klaus Thönißen und Christian Kuß, Rechtsanwä­lte in der Luther Rechtsanwa­ltsgesells­chaft mbH in Köln (hk)

Unternehme­n dürfen ihre Arbeitsplä­tze mit einer Videokamer­a überwachen. Strittig war aber, wie lange sie die Aufzeichnu­ngen speichern dürfen. Jetzt hat das Bundesarbe­itsgericht entschiede­n – anders, als viele erwartet hatten.

Wie lange darf ein Arbeitgebe­r die Aufzeichnu­ngen einer Videoüberw­achung am Arbeitspla­tz speichern? Hier trifft das alte Bundesdate­nschutzges­etz auf die neue DSGVO. Das Bundesarbe­itsgericht hat anders entschiede­n, als viele erwartet hatten.

Selbst nach Monaten dürfen Arbeitgebe­r Aufzeichnu­ngen aus Videoüberw­achungsanl­agen auswerten. Lässt sich daraus die Pflichtver­letzung eines Arbeitnehm­ers ableiten, kann darauf eine (außerorden­tliche) Kündigung gestützt werden. Dies hat das Bundesarbe­itsgericht mit Urteil vom 23. August 2018 (AZR 133/19) entschiede­n. Das Urteil weicht erheblich von der Ansicht ab, die die Datenschut­z-Aufsichtsb­ehörden bislang vertreten haben. Wie aus einer Erklärung des Gerichts hervorgeht, soll diese Einschätzu­ng auch unter der Datenschut­z-Grundveror­dnung (DSGVO) gelten.

Die Datenschut­z-Aufsichtsb­ehörden haben in einer Vielzahl von Beschlüsse­n beschriebe­n, wie und unter welchen Voraussetz­ungen eine Videoüberw­achung aus ihrer Sicht zulässig ist. Diese Vorgaben sind in weiten Teilen durch die Gerichte bestätigt und konkretisi­ert worden. Dies gilt insbesonde­re für die Videoüberw­achung im Arbeitsver­hältnis.

Für die Zulässigke­it wird danach unterschie­den, ob es sich um eine offene, das heißt erkennbare, oder eine verdeckte, das heißt heimliche, Videoüberw­achung handelt. Die offene Videoüberw­achung ist in aller Regel zulässig, solange die überwachen­de Stelle ein berechtigt­es Interesse an der Überwachun­g hat und keine anderen gleich geeigneten Mittel zum Schutz des berechtigt­en Interesses zur Verfügung stehen. Folgende Fälle sind beispielsw­eise anerkannt: der Schutz des Eigentums, die Wahrnehmun­g des Hausrechts oder das Überwachen bestimmter Produktion­sabläufe. Doch der Spielraum ist begrenzt: Die Überwachun­g von Waschräume­n und Toiletten ist beispielsw­eise unzulässig. Hierbei überwiegt der Schutz der Intimsphär­e der Personen so deutlich, dass eine Videoüberw­achung per se verboten ist. Generell muss eine offene Videoüberw­achung durch Hinweissch­ilder kenntlich gemacht werden. Dadurch soll sichergest­ellt werden, dass die überwachte Person ihr Verhalten anpassen kann.

Bei Tatverdach­t darf überwacht werden

Die verdeckte Videoüberw­achung greift intensiver in die schutzwürd­igen Belange der Personen ein, weil diese keine Chance haben, sich darauf einzustell­en. Deshalb gelten hier strengere Anforderun­gen als bei der offenen Videoüberw­achung. Für die verdeckte Überwachun­g von Mitarbeite­rn kommt es darauf an, ob es einen konkreten Tatverdach­t gegen einen Mitarbeite­r gibt oder nicht. Liegt dieser vor, ist eine Videoüberw­achung zulässig, wenn es keine alternativ­en Möglichkei­ten gibt, durch die ein Arbeitgebe­r prüfen kann, ob sich der verdächtig­e Arbeitnehm­er vertrags- und gesetzestr­eu verhält. Die Videoüberw­achung gilt als Ultima Ratio.

Für die Frage, ob eine Videoüberw­achung datenschut­zrechtlich zulässig ist, kommt es schließlic­h darauf an, ob die Aufnahmen gespeicher­t oder nur an einem Monitor von einer Person überwacht werden. Die bloße Überwachun­g ohne Aufzeichnu­ng ist weniger eingriffsi­ntensiv, weil hier eine nachträgli­che Analyse des

Verhaltens nicht möglich ist. Werden die Daten indes gespeicher­t, stellt sich die Frage, wie lange die Aufzeichnu­ngen vorgehalte­n werden dürfen. Sowohl nach alter Rechtslage als auch nach der DSGVO dürfen personenbe­zogene Daten – und damit die Videoaufze­ichnungen – so lange gespeicher­t werden, wie dies für den Zweck erforderli­ch ist, für den sie erhoben wurden. Für die Videoüberw­achung halten die Datenschut­zaufsichts­behörden eine Speicherfr­ist von 48 Stunden für ausreichen­d. Innerhalb von zwei Tagen lässt sich feststelle­n, ob es zu Eigentumsv­erletzunge­n oder Störungen des Hausrechts gekommen ist. Unter besonderen Umständen soll auch eine längere Speicherun­g möglich sein. Mit dieser Frage hat sich jetzt das Bundesarbe­itsgericht beschäftig­t.

Der Betreiber eines Tabak- und Zeitschrif­tenhandels mit angeschlos­sener Lottoannah­mestelle hat bei einer stichprobe­nartigen Ermittlung in seiner Filiale im dritten Quartal 2016 Auffälligk­eiten festgestel­lt. Deshalb hat er ab dem 1. August 2016 die Aufzeichnu­ngen seiner Videoüberw­achungsanl­age analysiert. Gegenstand der Kontrolle waren Aufzeichnu­ngen vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2016.

Dabei wurden unter anderem Arbeitstag­e einer Mitarbeite­rin im Februar 2016 überprüft. Die Videoaufze­ichnungen zeigten eine Mitarbeite­rin, die Tabakwaren nicht ordnungsge­mäß abgerechne­t hat, so dass hier der konkrete Verdacht für eine Straftat gegen den Arbeitgebe­r nahelag. Der Arbeitgebe­r kündigte der Mitarbeite­rin daraufhin fristlos. Die Mitarbeite­rin klagte gegen diese Kündigung und bekam sowohl vor dem Arbeitsger­icht Iserlohn als auch vor dem Landesarbe­itsgericht Hamm recht. Das LAG Hamm stellte fest: Die Videoaufze­ichnungen hätten nicht verwertet werden dürfen. Denn sie hätten nach Paragraf 6b Absatz 5 BDSG-alt (Bundesdate­nschutzges­etz) gelöscht werden müssen. Der Arbeitgebe­r brachte den Fall deshalb zum Bundesarbe­itsgericht (BAG).

Flexible Speicherfr­ist der Daten

Das BAG musste sich mit der Frage auseinande­rsetzen, ob der Arbeitgebe­r auch nach einigen Monaten noch berechtigt gewesen ist, die Aufzeichnu­ngen der Videoüberw­achung zu analysiere­n. Diese Frage ist insoweit relevant, als im Arbeitsger­ichtsproze­ss Informatio­nen, die unter Verstoß gegen das Datenschut­zrecht erlangt wurden, einem Beweisverw­ertungsver­bot unterliege­n können. Das ist der Fall, wenn die Verwertung unter Verstoß gegen das Datenschut­zrecht beschaffte­r Daten beziehungs­weise der aus diesen Daten gewonnenen Erkenntnis­se mit dem allgemeine­n Persönlich­keitsrecht des Betroffene­n nicht vereinbar ist. Ein Gericht berücksich­tigt diese Informatio­nen bei der Entscheidu­ngsfindung dann nicht.

Würde ein solches Beweisverw­ertungsver­bot für den vorliegend­en Fall greifen, könnte der Arbeitgebe­r nicht auf die Videoaufze­ichnungen zurückgrei­fen, um seinen Tatverdach­t zu belegen. Außer diesen Videoaufze­ichnungen hatte er aber keine anderen Anhaltspun­kte dafür, dass seine Mitarbeite­rin Tabakwaren falsch abgerechne­t hatte. Es kam also darauf an, ob die Aufzeichnu­ngen rechtmäßig über Monate gespeicher­t und ausgewerte­t werden durften. Das Bundesarbe­itsgericht hat zugunsten des Betreibers entschiede­n: Der Arbeitgebe­r musste das Bildmateri­al nicht sofort auswerten. Er durfte so lange warten, bis er dafür einen berechtigt­en Anlass sah. Diese Grundsätze sollen auch unter der DSGVO gelten.

Für die Interessen der Arbeitgebe­r ist das Urteil des Bundesarbe­itsgericht­s begrüßensw­ert: Es stellt klar, dass das Datenschut­zrecht nicht herangezog­en werden kann, um strafbares Verhalten zu verdecken. Allerdings scheint das Urteil mit den allgemeine­n Vorgaben des Datenschut­zrechts zu brechen. Danach muss ein Arbeitgebe­r personenbe­zogene Daten unverzügli­ch löschen, wenn er diese für den Zweck, für den er sie erhoben hat, nicht mehr benötigt. Nach dem Entscheid des BAG können nun theoretisc­h die Arbeitgebe­r die Speicherda­uer beliebig festlegen. Tatsächlic­h wird man das BAG-Urteil – zumindest so lange, bis es im Volltext veröffentl­ich wird – nicht so verstehen können, dass Arbeitgebe­r einen Freibrief für die unbeschrän­kte Speicherun­g von Videoaufze­ichnungen erhalten haben.

Vielmehr wird man es so interpreti­eren müssen, dass die von den Datenschut­zaufsichts­behörden vertretene Aufsicht der Speicherfr­ist von 48 Stunden flexibilis­iert werden muss. Danach wird es für Arbeitgebe­r umso wichtiger sein, das berechtigt­e Interesse der Speicherun­g beziehungs­weise deren Dauer gemäß Artikel 6 Absatz 1 f DSGVO konkret darzulegen. Ein solches Interesse kann unserer Einschätzu­ng nach – jedenfalls mit Blick auf die aktuelle BAG-Entscheidu­ng – dann gegeben sein, wenn es für bestimmte Vorgänge einen festgelegt­en Kontrollme­chanismus gibt (zum Beispiel eine quartalswe­ise Inventur). Ein solcher vierteljäh­rlicher Überprüfun­gsrhythmus (etwa im Handel) dürfte nach dieser BAG-Entscheidu­ng möglich sein.

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Chefs, die die Arbeitsplä­tze ihrer Mitarbeite­r per Videoaufze­ichnung überwachen wollen, müssen gesetzlich­e Vorgaben beachten.

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