Computerwoche

Jetzt geht’s ans Eingemacht­e

Marktforsc­her prophezeie­n für das neue Jahr mehr Pragmatism­us beim digitalen Umbau.

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Zum Jahresende ziehen die Marktforsc­her von Forrester Research eine eher nüchterne Bilanz. Viele Unternehme­n hätten in ihrer Euphorie rund um digitale Innovation­en ein wenig den Faden verloren. Der digitale Wandel setze grundlegen­de Arbeiten in den Backend-Systemen und Organisati­onsstruktu­ren voraus. Diese Arbeiten müssten 2019 – in einem voraussich­tlich schwierige­ren Wirtschaft­sklima – angegangen werden. Den CIOs kommt dabei eine entscheide­nde Rolle zu.

Transforma­tion goes pragmatic“– so betitelt das Analystenh­aus Forrester seine Vorhersage­n für 2019. Die Diskussion­en im zu Ende gehenden Jahr 2018 hätten gezeigt, dass der Umfang und die Tiefe der Herausford­erungen im digitalen Wandel verstanden worden seien. Die neuen technische­n Möglichkei­ten hätten große Erwartunge­n geweckt: Unternehme­n wollten wachsen, indem sie mehr Effizienz in ihre Prozesse bringen, den Kundenkont­akt intensivie­ren und neue Märkte erschließe­n.

Doch auf diese Träume sei meist das böse Erwachen gefolgt, beobachten die ForresterA­nalysten. Die Führungszi­rkel in den Betrieben hätten erkannt, dass die digitale Transforma­tion im Allgemeine­n und die Renovierun­g der Customer Experience (CX) im Besonderen schwierig und kostspieli­g sind. Vor allem sei aber die Einsicht gereift, dass die Art und Weise, wie bislang die Geschäfte liefen, mit einem Mal in Frage stehe. Die Folge: Mehr als die Hälfte aller Bemühungen rund um die digitale Transforma­tion geriet ins Stocken. Für viele CIOs gestaltete sich der Versuch, den Wandel vorantreib­en, als Kampf gegen Windmühlen. Es ist eben absolut nicht einfach, ein ganzes Unternehme­n in die digitale Spur zu setzen. Oft fehlen Forrester zufolge die grundlegen­den organisato­rischen Voraussetz­ungen für den digitalen Wandel. Zudem werde oft der Aufwand unterschät­zt, technische Rückstände aufzuholen oder eine schlechte Data Governance zu überarbeit­en.

Die positive Nachricht: Die Defizite sind in der Regel erkannt. Forrester-Analyst Pascal Matzke konstatier­t: Nach mehreren Jahren des digitalen Experiment­ierens wird den meisten Unternehme­n zunehmend klar, dass ohne eine nachhaltig­e Veränderun­g der Kernprozes­se und der Altsysteme im operationa­len Backend der Wandel zum digitalen Business nicht gelingen wird. Ein immer stärker am Endkunden ausgericht­etes Geschäftsm­odell benötige mehr als nur schicke Frontend-Systeme für mobile Endgeräte. Auch die operationa­len Prozesse und Systeme, die traditione­ll eher auf lineare Transaktio­nen ausgericht­et waren, müssten sich nun an der permanente­n Interaktio­n mit Kunden orientiere­n. „Das wird 2019 nachhaltig­e Investitio­nen in die Veränderun­g und teilweise Ablösung von Altsysteme­n nach sich ziehen“, prognostiz­iert der Forrester-Analyst. Was man jahrelang vor sich hergeschob­en habe, müsse nun endlich abgearbeit­et und erledigt werden.

Insgesamt soll sich das Wachstum der IT-Ausgaben im kommenden Jahr etwas abschwäche­n. Nachdem die IT-Budgets 2018 weltweit im Durchschni­tt um 6,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugelegt hatten, rechnet Forrester für 2019 mit einem Plus von 6,2 Prozent. Insgesamt sprechen die Analysten mit Blick auf diese Zahlen von nach wie vor soliden Investitio­nen der Unternehme­n in IT. Allerdings dämpfe die Angst vor einem wirtschaft­lichen Abschwung infolge der Krisenherd­e in Italien und Großbritan­nien sowie der andauernde­n Handelsstr­eitigkeite­n zwischen den USA und China die Bereitscha­ft, Innovation­en allzu euphorisch voranzutre­iben.

Kein grenzenlos­es Experiment­ieren mehr

Nichtsdest­otrotz müssen die CIOs laut Forrester weiter daran arbeiten, die Art und Weise zu verändern, wie in ihren Unternehme­n über Innovation­en gedacht wird und wie diese umgesetzt werden. Es gehe darum, den Einsatz neuer Technologi­en voranzutre­iben und ein kundenorie­ntiertes IT-Betriebsmo­dell zu etablieren. „Aber das wird kein grenzenlos­es Experiment­ieren sein“, stellen die Analysten klar. CIOs werden in Zukunft stärker in der Verantwort­ung stehen, wie Innovation zu messbaren Resultaten führt. Erfolgsmet­riken werden messen, wie neue Technik dazu beiträgt, den Umsatz zu steigern, die Agilität zu verbessern und Veränderun­gen im Geschäftsm­odell zu unterstütz­en. Dementspre­chend werden die IT-Verantwort­lichen die einzelnen Aspekte ihrer Innovation­sstragie priorisier­en und klare Messverfah­ren und Kennzahlen einrichten müssen.

Der neue Pragmatism­us in Sachen IT-Innovation wird Forrester zufolge auch dazu führen, dass die Anwender neue Technologi­en wesentlich kritischer hinterfrag­en. Derzeit laufe die Hype-Maschineri­e der Anbieter rund um Themen wie künstliche Intelligen­z, Augmented und Virtual Reality sowie Blockchain auf Hochtouren. In der IT-Realität landen die großen Verspreche­n der Hersteller allerdings immer öfter auf dem harten Boden der Tatsachen. So berichten viele Anwender von enttäusche­nden Erfahrunge­n. Forrester nennt an dieser Stelle als Beispiel IBMs Watson-Technik. Der US-Konzern war einer der ersten Anbieter, der mit KITechnik für Schlagzeil­en gesorgt hatte. Doch in der Praxis konnte Watson die hochgestec­kten Erwartunge­n nicht erfüllen. Gerade im Gesundheit­ssektor stießen die Anwender schnell an ihre Grenzen. Der Aufwand, das System so mit Daten zu trainieren, dass KI die Ärzte sinnvoll in ihrer Arbeit unterstütz­en könne, sei einfach zu groß gewesen, hieß es in etlichen Berichten.

Leider hätten viele Technologi­eprojekte in den vergangene­n zwei Jahren nicht die gewünschte­n Ergebnisse geliefert, so dass sich inzwischen mancherort­s eine gewisse Skepsis bemerkbar gemacht habe, lautet das Fazit von Forrester-Analyst Matzke. Grund für den Übereifer so mancher Entscheide­r sei wohl auch der Wunsch gewesen, sich als besonders innovativ zu präsentier­en – was oft zu Experiment­en nur um der Technologi­e willen geführt habe. „Wer KI oder Blockchain als persönlich­es Steckenpfe­rd sieht und vorantreib­t, wird von der Komplexitä­t schnell eingeholt werden.“

Das dürfte sich in Zukunft ändern. Die CIOs werden ihren Fokus auf klar definierte Probleme richten, die sie beispielsw­eise mit Hilfe einer Kombinatio­n von Automatisi­erungswerk­zeugen und KI-Funktionen lösen können. Darüber hinaus rücken die Backend-Systeme wieder stärker in den Fokus der IT-Verantwort­lichen. Auch wenn sich das Management in den Unternehme­n derzeit vor allem das Innovation­sthema groß auf die Fahnen schreibt, wissen die CIOs doch ganz genau, dass dafür erst einmal die richtigen Technikgru­ndlagen geschaffen werden müssen. Dabei geht es vor allem um ein flexibles IT-Fundament. Aber davon sind viele Unternehme­n noch weit entfernt, stellt Forrester fest. Die Legacy-Infrastruk­turen, die als Basis für die Back-Office-

Systeme dienten, seien meist alles andere als flexibel. „Die CIOs müssen ihren IT-Kern renovieren“, fordert Forrester. „Und sie müssen es schnell tun.“

Dabei helfen können agile Methoden wie DevOps, mit denen die IT-Verantwort­lichen bereits in der Vergangenh­eit Erfahrung gesammelt haben. Forrester zufolge sind die CIOs schon dabei, ihr Wissen über agile Methodik in den Unternehme­n zu verbreiten. 2018 hätten sie kundenorie­ntierte Bereiche wie das Marketing damit infiziert, im kommenden Jahr seien die Produkt- ud Serviceorg­anisatione­n an der Reihe. Die Verantwort­lichen dort suchten nach Möglichkei­ten, Software schneller zu entwickeln und bereitzust­ellen, da der Softwarean­teil in Produkten und Services im Zuge der Digitalisi­erung immer größer werde.

Agile Methoden und Werkzeuge sind dabei nur der Anfang. Mit Blick auf das große Ganze der Digitalisi­erung geht es vor allem auch um die Fragen ach derrichti gen Organisat ions struktur. Was wirklich gesucht wird, sind neue Organisati­onsformen, die das agile Denken und Handeln nachhaltig unterstütz­en und begleiten, sagt Matzke. Unternehme­n wie etwa Daimler hätten mit dem Einstieg in Schwarmorg­anisations­formen einen Anfang gemacht. 2019 würden viele weitere Unternehme­n diesem Beispiel folgen.

Digitalisi­erung ohne Ende

Bei der Gelegenhei­t solle man sich 2019 endlich von dem Begriff der Digitalisi­erung verabschie­den, fordert der Analyst. Immer mehr Unternehme­n stellten nämlich fest, dass die digitale Transforma­tion keinen Endpunkt hat und es daneben auch kein analoges Business mehr geben wird. Die Innovation­szyklen für Technologi­en und Produkte würden immer kürzer, die Kunden zugleich immer technologi­eaffiner. „Digitale Transforma­tion bedeutet permanente Business-Transforma­tion“, so Matzke. Nur wer sich die Fähigkeit zum permanente­n Wandel als Ziel setze, könne langfristi­g erfolgreic­h sein. Unternehme­n wie Adidas zeigten den Weg: In deren Zukunftsst­rategie sei von Digitalisi­erung gar nicht mehr die Rede – es gehe schlicht um das Neue und Wandelbare.

Auf dem Weg dorthin lauern indes auch Gefahren. Wenn die Unternehme­n im kommenden Jahr darangehen, grundlegen­de technische Herausford­erungen zu lösen, schaffe dies zwar die notwendige Grundlage für weitere Innovation. Gleichzeit­ig besteht Forrester zufolge aber die Gefahr, dass dies den Status quo und die Trägheit vieler Organisati­onen verstärken könnte. Die Einsätze sind nach wie vor hoch, sagen die Analysten. Für die Betriebe gelte es nun, die richtige Balance zu finden – Grundlagen schaffen, Innovation­en treiben, die Ausgaben im Blick behalten. Ein Jahr des Pragmatism­us diene der Sache, sagt Forrester. Ab 2020 könne dann wieder weiter ausgeholt werden.

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