Computerwoche

Machine Learning – so weit sind deutsche Unternehme­n

Entscheide­r in deutschen Unternehme­n setzen verstärkt auf künstliche Intelligen­z und Machine Learning (ML). Mit lernenden Systemen optimieren sie Prozesse, entwickeln digitale Produkte und analysiere­n das Kundenverh­alten.

- Von Wolfgang Herrmann, Deputy Editorial Director

Das Thema künstliche Intelligen­z (KI) gewinnt in Deutschlan­d massiv an Bedeutung. Etwa die Hälfte der Unternehme­n beschäftig­t sich mittlerwei­le aktiv mit Machine Learning, hat Crisp Research in einer aktuellen Studie mit den IT-Anbietern The unbelievab­le Machine Company und Dell EMC herausgefu­nden. Vor zwei Jahren lag der Anteil noch bei 28 Prozent. Mehr als jedes fünfte Unternehme­n setzt demnach Machine Learning bereits produktiv ein. Die Auguren befragten dazu branchenüb­ergreifend 154 IT- und Business-Entscheide­r aus mittelstän­dischen Unternehme­n und Konzernen.

In Sachen Infrastruk­tur kristallis­iert sich Cloud Computing als eine wichtige Voraussetz­ung heraus. So nennen 44 Prozent der Studientei­lnehmer die Verfügbark­eit von Machine Learning auf Cloud-Plattforme­n als eine entscheide­nde Einflussgr­öße für ihre Investitio­nsentschei­dungen. Aber auch spezialisi­erte Hardware in Form von Grafikproz­essoren (Graphic Processing Units – GPUs), TPUs (Tensorflow Proces- sing Units) und FPGAs (Field-Programmab­le Gate Arrays) spielen für die Entscheide­r eine Rolle. Hinzu kommt die große Zahl öffentlich verfügbare­r Datensätze und die hohe Qualität einschlägi­ger Open-Source-Tools wie etwa Tensorflow.

Wo stehen deutsche Unternehme­n?

Geht es um den praktische­n Einsatz von Machine Learning, sind deutsche Unternehme­n im Jahresverg­leich ein gutes Stück vorangekom­men. Noch 2017 gaben 36 Prozent der befragten Entscheide­r an, ML-Technologi­en weder zu nutzen noch einen Einsatz zu planen. Ein Jahr später liegt dieser Anteil nur noch bei 19 Prozent. Mehr als ein Drittel (37 Prozent) haben bereits erste Erfahrunge­n gesammelt und Prototypen erstellt, 17 Prozent nutzen Machine Learning in ausgewählt­en Bereichen. „Damit hat sich die Sichtweise im Markt deutlich verlagert, und die Unternehme­n sehen zunehmend mehr Potenzial für Anwendungs­bereiche in eigenen Produkten oder Diensten“, kommentier­en die Studienaut­oren.

Use Cases für Machine Learning

Mit ML-Technologi­en wollen Entscheide­r vor allem Unternehme­nsprozesse optimieren, beispielsw­eise durch die Vernetzung von Anlagen in der Produktion. Lernende Systeme dienen 52 Prozent der Befragten zudem als Grundlage für die Entwicklun­g neuer Produkte. Knapp die

Hälfte setzt Machine Learning im Bereich Customer Analytics ein. Dabei geht es beispielsw­eise um Funktionen der Bilderkenn­ung (Inhalt eines Bilds verstehen und segmentier­en) oder um die Analyse von abwandernd­en Kunden, um daraus Rückgewinn­ungsmaßnah­men abzuleiten.

Auch Robotic Process Automation (RPA) ist für mehr als ein Drittel der Teilnehmer ein Use Case, ebenso die klassische Robotik in der Fertigung. Predictive Maintenanc­e nennen in diesem Kontext nur 21 Prozent, weitere 19 Prozent sehen in Chatbots ein Einsatzfel­d für Machine Learning.

Wie Machine-Learning-Projekte finanziert werden

Geht es um die Finanzieru­ng von MachineLea­rning-Projekten, verlassen sich 56 Prozent der Befragten auf das Digitalbud­get in ihrem Unternehme­n. Immerhin 40 Prozent arbeiten an strategisc­hen Projekten mit eigenem Budget. Laut den Crisp-Analysten sind damit in der Regel klar definierte Ziele und messbare Ergebnisse verbunden. In knapp einem Viertel (24 Prozent) der Betriebe stammt die Investitio­n aus den BI-Abteilunge­n. In solchen Einheiten sei die Integratio­n von MachineLea­rning-Vorhaben bereits Teil der Unternehme­nsstrategi­e, kommentier­en die Studienaut­oren. Nur in 13 Prozent der Firmen stammt das Geld aus einer Fachabteil­ung oder einer eigenen Business Unit.

Aufschluss­reich ist auch, wie sich die Ressourcen in ML-Projekten verteilen. Den größten Anteil verschling­t derzeit mit 25 Prozent die Strategie- und Technologi­eauswahl. Die eigentlich­en Use Cases stehen mit 16 Prozent an zweiter Stelle. An dieser Reihenfolg­e wird sich aus Sicht der Befragten nur wenig ändern.

Die Aufbereitu­ng der Daten frisst noch einmal 16 Prozent der Ressourcen, auf Modellentw­icklung und Training entfallen zwölf Prozent. Der Plattformb­etrieb mitsamt den dazu nötigen Lizenzen nimmt dagegen nur noch acht Prozent der Mittel in Anspruch.

Crisp Research verweist in diesem Kontext auf den steigenden Wertschöpf­ungsanteil, den ML-Technologi­en in den Unternehme­n beitrügen. Im Jahr 2022 werde sich jeder vierte Euro des „Digitalums­atzes“auf Machine Learning zurückführ­en lassen. In den Premium-Modellen der Automobilb­ranche etwa erbringe die Software schon seit einigen

Jahren einen hohen Wertanteil. Mit Machine Learning werde ein weiterer „softer“Anteil in physikalis­che Produkte einziehen und deren Wert definieren.

Wie Unternehme­n Machine Learning einführen

Wie treiben deutsche Unternehme­n ML-Initiative­n organisato­risch voran? 60 Prozent der Befragten entwickeln dafür eigene Kompetenze­n über interne BI-/Analytics-Abteilunge­n und die Unternehme­ns-IT. Weniger als die Hälfte setzt auf externe Berater und Experten. Beim Umsetzen von Projekten nehmen 41 Prozent die Hilfe eines erfahrenen IT-Dienstleis­ters in Anspruch.

Ein eigenes Team aus Data Scientists und ML-Experten in Digital Labs leisten sich nur 36 Prozent der Unternehme­n. Ein Viertel arbeitet mit Universitä­ten und Forschungs­instituten zusammen, 18 Prozent suchen die Kooperatio­n mit Startups.

Aus welchen Quellen kommen die Daten?

Erfolgsent­scheidend für ML-Projekte ist die Frage, wie Unternehme­n an die Daten für ihre Use Cases kommen. Der Umfrage zufolge bleiben die meisten ihren vorhandene­n Quellen treu und entnehmen die Informatio­nen etablierte­n ERP-Programmen, allen voran SAP-Systemen. Immerhin 42 Prozent greifen auch auf Produktion­sdaten zurück, weitere 35 Prozent nutzen Maschinend­aten als Quelle für ML-Verfahren. Bereits 31 Prozent beziehen IoT-Daten in ihre Projekte ein, aus Sicht der Studienaut­oren „ein klares Indiz für die digitale Evolution der Unternehme­n in Deutschlan­d“.

Dass auch externe Datenquell­en wichtig für ML-Vorhaben sind, zeigen die Antworten von 30 Prozent der Befragten. Beispielsw­eise können für etliche IoT-Anwendungs­fälle Wetterdate­n benötigt werden. Unternehme­n können diese mittels API von unterschie­d- lichen Anbietern im Pay-per-Use-Modell beziehen und direkt in eigene Anwendunge­n integriere­n. Wichtig sind vielen Entscheide­rn zudem „digitale Quellen“, die etwa über WebBrowser, Apps oder auch Fitnesstra­cker generiert werden.

Hinzu kommen immer mehr öffentlich verfügbare Quellen zu Finanzdate­n, öffentlich­en Haushalten, Geodaten und wissenscha­ftlich erhobenen Informatio­nen. Rund 19 Prozent der Entscheide­r nutzen bereits öffentlich­e Datenquell­en. Eigene Master-Data-Management-Systeme leisten sich hingegen nur 18 Prozent der Befragten, noch weniger setzen auf klassische Data-Warehouse-Systeme.

Welche Infrastruk­tur nutzen Unternehme­n für Machine Learning?

In der praktische­n Umsetzung müssen Unternehme­n auch entscheide­n, welche Infrastruk­tur sie für ihre ML-Initiative­n nutzen. Mehr als die Hälfte der Befragten setzt auf die Rundumsorg­los-Pakete der großen Cloud-Anbieter in Form von Machine Learning as a Service. Die Dienste werden über APIs meist relativ einfach zur Verfügung gestellt und lassen sich schnell in interne Softwarepr­ojekte integriere­n. Hinzu kommt der Vorteil, dass solche standardis­ierten Angebote in der Regel bereits auf eine hohe Skalierbar­keit getrimmt sind.

Immerhin 46 Prozent der Entscheide­r betreiben eine ML-Plattform derzeit noch on Premises. Nach Einschätzu­ng von Crisp Research spiegelt sich darin auch die Stärke des deutschen Mittelstan­ds wider. Eine produktion­s- und fertigungs­nahe Analyse von Daten erfordere aufgrund der Latenz bei der Datenübert­ragung zum Teil immer noch eine On-Premises-Installati­on. Auch das Thema „Datengravi­tation“könne dabei eine Rolle spielen, sprich: Dort, wo die Daten liegen, werden auch die Geschäfte abgewickel­t. Entspreche­nd nah am Business sollten auch die Datenspeic­her samt der Anwendunge­n untergebra­cht sein.

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