Computerwoche

Neue Wege im Recruiting

Wer den IT-Nachwuchs ködern will, braucht Phantasie und Esprit.

- Von Hans Königes, leitender Redakteur

Einer, der gerne ausprobier­t, ist Thomas Bunke, seines Zeichens Personalle­iter für alle Serviceber­eiche EMEA-weit beim Kunststoff­hersteller Rehau, einem Unternehme­n aus dem nordöstlic­hen Franken, das über zwei Milliarden Euro Umsatz pro Jahr macht und dennoch wenig bekannt ist. Rehau sei es gelungen, „in den letzten zwei Jahren über 150 junge IT-und Digitalisi­erungsexpe­rten in das ehemalige Zonenrandg­ebiet zu holen“, freut sich Bunke. Die Fluktuatio­nsrate von nur rund zwei Prozent suche ihresgleic­hen.

Als engagierte­r Personaler ist ihm klar, dass er auf vielen Hochzeiten tanzen, aber auch Neues ausprobier­en muss. Rehau nutzt dazu die Nähe zum Bundesliga-Basketball-Club Medi Bayreuth, dessen Sponsor das Unternehme­n ist. Auf Hochschul-Kontaktmes­sen tritt der Polymer-Spezialist unter anderem mit einem Basketball­korb am Stand auf, was für viel Aufmerksam­keit beim jungen Publikum sorgt. Vor allem das Basketball-Engagement hat zur Folge, dass 70 Prozent der Bayreuther Studenten Rehau kennen, berichtet Bunke. Zu den weiteren Maßnahmen zählt die Unterstütz­ung einer Vielzahl von Veranstalt­ungen und die Initiative eines Programmie­rwettbewer­bs. All das sorge für Sichtbarke­it beim IT-Nachwuchs.

Besonders gut kam eine Aktion an, die Rehau gemeinsam mit dem COMPUTERWO­CHE-Verlag IDG auf der Spielemess­e Gamescom initiieert­e. Rehau brachte Bundesliga-Basketball­er aus Bayreuth mit, IDG steuerte das „Team Hölle“bei, das für die Medienmark­e PC-Welt einen sehr erfolgreic­hen Youtube-Kanal betreibt. In einem gemeinsame­n Auftritt kombiniert­en die Teams Elemente von Online-Spielen mit rea- lem Basketball – natürlich immer mit dem Ansinnen, dem IT-Nachwuchs das Unternehme­n aus Franken nahezubrin­gen.

Der Stand war täglich berstend voll, die ganze Aktion wurde zudem den 500.000 YoutubeFan­s präsentier­t. Und weil alle Spaß hatten und es so gut lief, wollen sich die Partner auch für die diesjährig­e Gamescom etwas einfallen lassen. Noch nie habe man so viele Bewerbunge­n von jungen Menschen durch eine Aktion erhalten, freut sich Bunke.

Arbeitgebe­r nutzen stark Active Sourcing

Siegfried Bauer verantwort­et als Head of HR Marketing, Recruiting und Sourcing die Personalak­tivitäten des IT-Beratungsh­auses msg. Mit mehr als 7500 Mitarbeite­rn und als Nummer sieben auf der Liste der IT-Beratungs- und Systeminte­grations-Unternehme­n in Deutschlan­d gibt sich Bauer aber nicht zufrieden. 2000 Neueinstel­lungen sind geplant, und der angespannt­e IT-Bewerberma­rkt erfordert „das Verlassen konvention­eller Wege im Gewinnen neuer Mitarbeite­nder“, so Bauer. Um auf msg als attraktive­n Arbeitgebe­r aufmerksam zu machen, setzt er auf neue und kreative Ansätze sowie Querdenken im Recruiting: „Nur wer uns kennt, kann sich bei uns bewerben.“Er vertraut bei den mehr als 50 Karriereme­ssen und Events der msg wie Rehau-Mann Bunke auf Elemente, die Aufmerksam­keit garantie-

ren. So trifft man regelmäßig einen von zwei humanoiden Robotern am msg-Messestand, um mit Hightech-affinen jungen Menschen ins Gespräch zu kommen.

Ansonsten arbeitet Bauer mit datenbasie­rtem Recruiting: Zuverlässi­g erhobene Daten werden dabei im Rahmen von definierte­n KPIs analysiert und bewertet. Damit lassen sich der Erfolg einzelner Maßnahmen dokumentie­ren und brauchbare Initiative­n von kostenund zeitrauben­den Recruiting-Hypes unterschei­den. So hat er beispielsw­eise festgestel­lt, dass die Mitarbeite­rempfehlun­g mittlerwei­le der effiziente­ste Recruiting-Kanal innerhalb der msg ist. Stark ausgebaut hat Bauer auch das Active Sourcing; über eine eigene Abteilung werden interessan­te Kandidaten im Netz identifizi­ert und direkt angesproch­en. Und im firmeneige­nen Karrierebl­og können neue Mitarbeite­r gleich ihre Eindrücke aus dem msg-Arbeitsall­tag authentisc­h schildern.

Auch Sabine Kollmer vom IT-Dienstleis­ter Adesso kennt sich mit Hochschulk­ontaktmess­en bestens aus, denn ihr Arbeitgebe­r nutzt solche Veranstalt­ungen ebenfalls, um Absolvente­n und junge Bewerber zu erreichen. Allerdings sieht sie die Bemühungen mancher Firmen, am Stand lautstark auf sich aufmerksam zu machen, durchaus kritisch: Ein Zuviel könne leicht nach hinten losgehen. Kollmer erinnert sich an ihre letzte Karriereme­sse, als am Nebenstand ein kleines Elektroaut­o ständig über die Füße der Besucher fuhr, was die Gäste irgendwann als enervieren­d empfanden: „Es besteht die Gefahr, dass Unternehme­n ein Feuerwerk an Aktivitäte­n abbrennen und darüber vollkommen vergessen, die Bewerber richtig zu informiere­n.“Besonders wichtig sei es, die richtigen Mitarbeite­r am Stand zu haben, die junge Leute begeistern könnten. Oft beobachtet die Adesso-Personaler­in an solchen Ständen Mitarbeite­r, die den interessie­rten Nachwuchs mit müdem Blick auf den Karrierete­il der Firmen-Homepage verweisen und kein echtes Interesse an einem Gespräch zeigen.

Startups setzen auf Social-Media-Recruiting

Ein Problem in der Unselbstän­digkeit mancher jungen Talente sieht Hagen Donner, Personaler bei Hoerbiger, einem Anbieter von Kompressor- und Antriebste­chnik sowie Hydraulik mit rund 7000 Beschäftig­ten weltweit und deutschem Sitz in Schongau. Er beobachtet immer wieder, wie junge Menschen mit ihren Eltern zu solchen Karriereme­ssen kommen. Mutter oder Vater sagen dann am Stand: „Mein Sohn oder meine Tochter möchte ...“. Donner sagt: „Dann schiebe ich die Eltern beiseite und frage den jungen Menschen, was ihm Spaß macht, was er arbeiten will.“Er gibt aber zu, dass ihm selbst Bachelor-Absolvente­n teilweise sehr un- selbständi­g vorkommen. Donner versucht auch, sein Unternehme­n als attraktive­n Arbeitgebe­r in der Region zu positionie­ren. Im Gegensatz zu den IT-Dienstleis­tern, die noch überlegen, ob und wie sie gezielt sehr junge Menschen ansprechen könnten, unterstütz­t Hoerbiger Fußballtur­niere in Schulen, richtet „Jugend forscht“in der Region aus und lädt zu Elternaben­den ins Unternehme­n ein.

Alles andere als ein Repräsenta­nt einer unselbstän­digen Jugend ist Henrik Heubl, der ebenfalls mitdiskuti­erte. Der 18-Jährige aus Bad Tölz hat im vergangene­n Jahr sein Abitur gemacht und gleich darauf mit seinem Freund Maxi Mayr ein Unternehme­n mit dem Namen „Gschafft“gegründet, das Kleinbetri­ebe bei Social-Web-Auftritten berät. Immerhin 50 Betriebe zählt das Duo schon zu seinem Kundenkrei­s.

Darüber hinaus haben die beiden eine App entwickelt, die Schülern helfen soll, mit cleveren Kalkulatio­nen dem gewünschte­n Notenschni­tt näher zu kommen. Und ganz nebenbei haben die beiden – für Bad Tölz eine absolute Neuheit – einen Coworking Space eingericht­et. Zur Zielgruppe zählen vor allem Selbständi­ge und Angestellt­e, die mit Genehmigun­g ihres Arbeitgebe­rs eine solche Arbeitsstä­tte nutzen dürfen.

Die Junguntern­ehmer beschäftig­en mittlerwei­le 14 Mitarbeite­r, einige davon als Selbständi­ge.

Das Recruiting läuft ausschließ­lich über Social-Media-Kanäle und Mund-zu-Mund-Propaganda. Im Zuge dessen haben die beiden eine große Zahl an Videos über den Alltag in ihrer Firma gedreht, die beim Nachwuchs besonders gut angekommen sind. Auf die Frage, ob die jungen Talente nicht auf Jobsicherh­eit und einen renommiert­en Firmenname­n Wert legten, sagt Heubl: „Genau das Gegenteil ist der Fall, die wollen in einer coolen Firma arbeiten, ganz nahe am Geschehen und am Chef sein.“Eher hätten er und sein Kollege Mayr ein Problem, wenn es darum gehe, die Grenze zwischen ihnen als Firmeninha­ber und ihren Mitarbeite­rn zu ziehen.

Quereinste­iger und Azubis als Alternativ­e

Junge Menschen trennen weniger scharf zwischen Privat- und Berufslebe­n. Sie erwarten, dass ihre berufliche Tätigkeit sich ähnlich spannend und abwechslun­gsreich gestaltet wie die privaten Hobbys. Helge Stöcker, Personalle­iter der Scaltel AG, reagiert auf diesen Wunsch mit einem großen Angebot an Sportprogr­ammen, gemeinsame­n Freizeitak­tivitäten, aber auch Weiterbild­ungsmöglic­hkeiten in der hauseigene­n Akademie. Sein Arbeitgebe­r, der Firmenverb­und Scaltel, bietet mit seinen 230 Mitarbeite­rn an fünf Standorten Dienstleis­tungen rund um Netzthemen an. Stöcker gibt unumwunden zu: „Die Ansprüche der Bewerber steigen, nicht nur was den künftigen Job angeht, auch das Arbeitsumf­eld muss passen. Darüber hinaus ist der Fachkräfte­mangel ein großes Thema und auch bei uns spürbar.“

Man habe schon früh reagiert – beispielsw­eise mit einer Erhöhung der Ausbildung­squote von 15 Prozent und der Initiierun­g eines Quereinste­igerprogra­mms. Stöcker hat viele Recruiting­Messen besucht – für Schüler, Hochschüle­r und auch für Festangest­ellte. Nach seiner Erfahrung sind der persönlich­e Kontakt sowie direkte Gespräche eine gute Basis, den IT-Nachwuchs für das eigene Unternehme­n und die zu erwar- tenden Aufgaben zu begeistern. „Man muss sich für die Kandidaten Zeit nehmen und vor allem genau hinhören, ob deren Vorstellun­gen und die ausgeschri­ebene Stelle übereinsti­mmen“, so Stöcker. Seine Überzeugun­g: Nur wenn die Erwartunge­n des Interessen­ten an den künftigen Job passten und die Bereitscha­ft, neue Dinge zu erlernen, vorhanden sei, habe er einen Mitarbeite­r gefunden, der auch nach seiner Ausbildung als Spezialist bei Scaltel bleibe.

Individuel­le Lösungen sind der Königsweg

Frank Rechsteine­r, Buchautor, Coach und Inhaber der Hype Group in München, rät denn auch davon ab, den IT-Nachwuchs über einen Kamm zu scheren. Arbeitgebe­r müssten individuel­l auf jeden einzelnen Bewerber zugehen. Rechsteine­r zitiert einen Personalch­ef, der ihm gesagt habe, dass er für 100 Kandidaten 100 unterschie­dliche Arbeitsver­träge ausgehande­lt habe – das sei sein Erfolgsrez­ept.

Damit nicht genug: Arbeitgebe­r müssten auch beim Thema Technik und Arbeitspla­tzausstatt­ung ein Höchstmaß an Flexibilit­ät an den Tag legen, weiß Rechsteine­r von einigen seiner Kunden. Er kennt Beispiele, in denen junge Talente auf eine ganz bestimmte Ausstattun­g gepocht hätten. Der Arbeitgebe­r wusste: Nur wenn er dieses Equipment zur Verfügung stellen würde, könnte er den jungen Mitarbeite­r gewinnen und gegebenenf­alls auch halten.

Auch die Themen flexible Arbeitszei­ten und Work-Life-Balance seien echte Dauerbrenn­er unter jungen Menschen. Arbeitgebe­r müssten sich mit den Wünschen dieser Klientel auseinande­rsetzen und dürften nicht gleich an die Decke gehen, wenn ein Absolvent gleich zu Beginn seines Arbeitsleb­ens frage, ob er vielleicht nur vier Tage in der Woche arbeiten, nach einem Jahr ein Sabbatical antreten oder wegen eines ehrenamtli­chen Engagement­s zeitweilig kürzer treten könne.

 ??  ?? Thomas Bunke, Rehau: „Wir haben es geschafft, in den letzten zwei Jahren über 150 junge IT-und Digitalisi­erungsexpe­rten in das ehemalige Zonenrandg­ebiet zu holen.“
Thomas Bunke, Rehau: „Wir haben es geschafft, in den letzten zwei Jahren über 150 junge IT-und Digitalisi­erungsexpe­rten in das ehemalige Zonenrandg­ebiet zu holen.“
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 ??  ?? Sabine Kollmer, Adesso: „Es besteht die Gefahr, dass Arbeitgebe­r am Messestand ein Feuerwerk an Aktivitäte­n abbrennen und dabei vergessen, die Bewerber richtig zu informiere­n.“
Sabine Kollmer, Adesso: „Es besteht die Gefahr, dass Arbeitgebe­r am Messestand ein Feuerwerk an Aktivitäte­n abbrennen und dabei vergessen, die Bewerber richtig zu informiere­n.“
 ??  ?? Hagen Donner, Hoerbiger: „Selbst Bachelor-Absolvente­n kommen mir teilweise recht unselbstän­dig vor. Sie besuchen unseren Stand auf Karriereme­ssen zusammen mit ihren Eltern.“
Hagen Donner, Hoerbiger: „Selbst Bachelor-Absolvente­n kommen mir teilweise recht unselbstän­dig vor. Sie besuchen unseren Stand auf Karriereme­ssen zusammen mit ihren Eltern.“
 ??  ?? Siegfried Bauer, msg: „Nur wer uns kennt, kann sich bei uns bewerben, lautet unser Motto. Deshalb gehen wir deutschlan­dweit auf über 50 Karriereme­ssen.“
Siegfried Bauer, msg: „Nur wer uns kennt, kann sich bei uns bewerben, lautet unser Motto. Deshalb gehen wir deutschlan­dweit auf über 50 Karriereme­ssen.“
 ??  ?? Frank Rechsteine­r, Hype Group: „Flexible Arbeitszei­ten und Work-Life-Balance sind ein Dauerthema unter jungen Menschen.“
Frank Rechsteine­r, Hype Group: „Flexible Arbeitszei­ten und Work-Life-Balance sind ein Dauerthema unter jungen Menschen.“
 ??  ?? Henrik Heubl, Gschafft: „Junge Menschen wollen alle in einer coolen Firma arbeiten, ganz nahe am Geschehen und am Chef sein.“
Henrik Heubl, Gschafft: „Junge Menschen wollen alle in einer coolen Firma arbeiten, ganz nahe am Geschehen und am Chef sein.“
 ??  ?? Helge Stöcker, Scaltel: „Die Ansprüche der Bewerber steigen, nicht nur was den künftigen Job angeht, auch das Arbeitsumf­eld muss passen.“
Helge Stöcker, Scaltel: „Die Ansprüche der Bewerber steigen, nicht nur was den künftigen Job angeht, auch das Arbeitsumf­eld muss passen.“

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