Online-Handel: Mit den Geschäften wachsen die Herausforderungen
Jeder achte Euro im deutschen Einzelhandel wird im Netz ausgegeben – Tendenz steigend. Doch die Online-Händler kämpfen mit Herausforderungen. Die Wachstumsdynamik lässt nach und in Sparten wie dem Lebensmittelhandel geht trotz fortwährender Versuche nicht viel voran. Dazu kommen steigende Retourenquoten, Betrügereien in den Bewertungssystemen sowie wachsende Anforderungen an die Sicherheit der Shops. Unterdessen versucht es ausgerechnet Amazon inzwischen auch offline.
Obwohl die Fronten zwischen stationärem Handel und E-Commerce längst nicht mehr so klar verlaufen wie noch vor wenigen Jahren und die Grenzen zwischen Offline und Online zunehmend verschwimmen, setzt der E-Commerce die klassischen Händler immer stärker unter Druck. Die Zahlen sind eindeutig: Der Bruttoumsatz mit online gehandelten Waren legte in Deutschland allein 2018 um 11,4 Prozent auf 65,1 Milliarden Euro zu, berichtet der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel e. V. (bevh). Mehr als jeder achte Euro im hiesigen Einzelhandel wird damit im Netz erlöst.
Den Löwenanteil verteilen die großen Marktplätze wie Amazon, Otto oder Zalando unter sich. Diese Gruppe konnte ihr Volumen im vergangenen Jahr um 9,7 Prozent auf 30,6 Milliarden Euro steigern. Eine noch größere Wachstumsdynamik legen die „Pureplayer“an den Tag, die Einzel-Online-Händler, die um 14,0 Prozent auf fast 9,8 Milliarden Euro Umsatz zulegen konnten. Die dritte Kategorie, die Multichannel-Händler, wuchs mit 12,9 Prozent ebenfalls prozentual zweistellig. Über die vergangenen fünf Jahre betrachtet, haben sich ihre Erlöse von gut elf Milliarden Euro auf 22,7 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Der E-Commerce dürfte weiter zulegen, wenn auch nicht mehr so rasant wie in den vergangenen Jahren. Laut Angaben der Forscher von Ibi Research an der Universität Regensburg könnte der Anteil der Online-Umsätze am Einzelhandel bis zum Jahr 2024 auf 17 Prozent ansteigen – das ist das „progressive Szenario“der Untersuchung. 2017 lag der Anteil demnach noch bei 9,6 Prozent. Im „Basisszenario“, dem wahrscheinlicheren Fall also, wird der E-Commerce-Anteil 2024 immer noch bei 15 Prozent liegen. Das entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Anstieg von 6,6 Prozent.
Zwischen 2010 und 2017 haben die Umsätze im Online-Handel jährlich um 18,1 Prozent zugelegt, berichten die Forscher. Die Einnahmen des gesamten Einzelhandels, also inklusive des stationären Handels, wuchsen im selben Zeitraum nur um 2,7 Prozent pro Jahr. Dabei konnten vor allem mittelständische Fachhändler das Tempo des Wetbewerbs nicht mehr mitgehen. Ihr Marktanteil habe sich von 2000 bis 2017 nahezu halbiert, heißt es in der Studie. Die Dynamik im E-Commerce bleibe unverändert hoch, sagt Holger Seidenschwarz, der verantwortliche Handelsexperte bei Ibi Research. „Aus unserer Sicht ist noch kein Ende des Online-Booms absehbar.“
Online geht komfortabler und schneller
Die Vorteile des Online-Shoppings liegen auf der Hand. Eine Bitkom-Befragung unter gut 1000 Deutschen über 16 Jahren hat kürzlich gezeigt, dass etwa drei Viertel der OnlineShopper die Unabhängigkeit von Geschäftsöffnungszeiten schätzen sowie die Möglichkeit, sich die Ware nach Hause liefern zu lassen. Zwei Drittel sagen, dass sie durch den Einkauf im Netz Zeit sparen. Für viele ist auch das Angebot ein entscheidender Vorteil. Zwei von drei Online-Käufern erklärten, dass die Auswahl im Internet größer sei. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) begrüßt die Möglichkeit, im Web Produkte zu kaufen, die im stationären Handel gar nicht oder nur schwer zu bekommen sind. Rund jeder Zweite glaubt zudem, dass das Angebot auch günstiger sei als im Geschäft und dass es viel mehr Informationen gibt, darunter vor allem die Bewertungen anderer Kunden.
Aber auch im Online-Business funktioniert längst nicht alles reibungslos. Zu kämpfen haben die Online-Händler derzeit vor allem mit steigenden Retouren-Raten. Mittlerweile wird jeder achte online gekaufte Artikel in Deutschland wieder zurückgeschickt. Vor zwei Jahren war es nur jeder zehnte. Das hat kürzlich eine vom Digitalverband Bitkom in Auftrag gegebene Umfrage unter rund 1000 Online-Käufern ergeben. „Die Retourenquoten sind gerade in speziellen Warengruppen wie bei Kleidung enorm hoch und steigen von Jahr zu Jahr“, beobachtet Julia Miosga, die beim Bitkom für Handel und Logistik zuständig ist. Für die Online-Händler gehörten Rücksendungen zwar zum Alltag. Doch die Aufereitung zurückgeschickter Ware sei mit viel Aufwand verbunden. „Retouren bedeuten für die Anbieter schließlich nicht nur einen entgangenen Umsatz, sie verursachen auch Personal- und Prozesskosten, um die Retoure zu prüfen und in den Lagerbestand zurückzuführen.“
Um diesen Aufwand zu umgehen, werfen nicht wenige Online-Händler zurückgesandte Waren direkt in den Müll. Mit dieser Praxis sorgte vor allem Amazon Mitte vergangenen Jahres für Schlagzeilen. Recherchen des ZDF-Magazins „Frontal 21“und der „Wirtschaftswoche“hatten ergeben, dass tagtäglich Waren im Wert von mehreren Zehntausend Euro vernichtet würden. Und Amazon ist kein Einzelfall. Greenpeace berichtete jüngst unter Berufung auf eine Studie des EHI Retail Institute, dass Online-Händler im Durchschnitt gerade einmal 70 Prozent der Retouren wieder in den regulären Verkauf brächten. Der Rest werde verramscht, gelegentlich gespendet – und häufig vernichtet. Mehr als die Hälfte der befragten Händler habe zugegeben, einen Teil ihrer Retouren direkt zu entsorgen. Das geht sogar so weit, dass ein Drittel der befragten Firmen die Kunden in bestimmten Fällen ersucht, Artikel trotz Retourenanmeldung und -gutschrift nicht zurückzusenden.
Die Option, im Netz Gekauftes einfach wieder zurückzuschicken, ist vielen Verbrauchern längst in Fleisch und Blut übergegangen. Im Rahmen der Bitkom-Umfrage gab jeder zweite Online-Shopper (51 Prozent) an, Waren im Internet hin und wieder mit der festen Absicht zu bestellen, sie zu retournieren, etwa um Kleidung in verschiedenen Größen auszuprobieren: 28 Prozent tun dies selten, 17 Prozent manchmal und sechs Prozent sogar regelmäßig. Diese Mentalität hat Folgen für die Händler. So machte Zalando die „ineffiziente Aufereitung retournierter Artikel“für seine roten Zahlen im dritten Quartal 2018 mitverantwortlich.
Viele Online-Shops bemühen sich, die Zahl der Retouren zu reduzieren. Zu den Maßnahmen zählen detaillierte Produktinformationen sowie Live-Chats zur Kundenberatung. „Je mehr Information es zu einem Artikel gibt, desto besser kann der Kunde das Produkt einschätzen und desto weniger gibt es beim Öffnen des Pakets böse Überraschungen“, konstatiert Bitkom-Expertin Miosga. Viele Händler würden beispielsweise bei Kleidung mittlerweile nicht mehr nur die reinen Größen angeben, sondern auch, wie die Ware ausfällt. Auch 360-GradBilder, Nahaufnahmen und Videos könnten dem Käufer ein Produkt besser vermitteln.
Der japanische Modeversender Zozo verspricht seinen Kunden maßgeschneiderte Kleidung und hofft, so die Retouren zu verringern. Dafür sollen sich die Kunden selbst vermessen. Das funktioniert mit Hilfe eines gepunkteten Ganzkörperanzugs, der sich für drei Euro ordern lässt, und einer Smartphone-App. Interessierte Kunden lassen sich, bekleidet mit dem Punkteanzug, von einem Smartphone in zwölf unterschiedlichen Positionen fotografieren. Aus den weißen Messpunkten errechnet die App die persönlichen Kleidergrößen und schickt sie an Zozo. Auf dieser Basis könne der Online-Händler seinen Kunden passgenaue Mode offerieren, so das Versprechen. Noch ist allerdings das Angebot übersichtlich und auch der Versand aus Asien dauert sehr lange.
Die Chancen, gleich das richtige Produkt zu finden, erhöhen sich auch mit den richtigen Artikelbewertungen. „Viele Händler fragen aktiv nach Feedback des Kunden oder belohnen ehrliche Artikelbewertungen mit Vorteilen beim nächsten Einkauf“, berichtet Miosga. Doch dieses System bekam zuletzt einige Kratzer. Wissenschaftler der Technischen Universität Dortmund haben Kundenbewertungen von über 1300 Elektronikprodukten bei Amazon mit Testergebnissen der Stiftung Warentest verglichen. Das Ergebnis: Nur in rund einem Drittel der Fälle ist der Testsieger auch das Produkt mit den meisten Sternchen im Netz. In ihrer Studie „Should We Reach for the Stars?“kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass Online-Käufer die Qualität eines Produkts besser nicht anhand von Amazon-Sternen bewerten sollten. Grundsätzlich sollte man eher den negativen Rezensionen vertrauen, hieß es weiter. Die positiven seien oft manipuliert.
Tatsächlich hat Amazon ein Problem mit gekauften Bewertungen in seinem OnlineShop. Der Konzern hatte vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main gegen ein Bewertungsportal geklagt. Dessen Geschäftsmodell sah so aus, dass Tester an Produktanbieter vermittelt wurden. Diese dürfen das Produkt behalten oder für einen geringen Betrag kaufen, wenn sie eine – natürlich positive – Rezension darüber schreiben. Diese Bewertungen veröffentlichte das Portal bei Amazon, ohne jedoch darauf hinzuweisen, dass die Verfasser bezahlt worden waren. Die Richter entschieden nun, dass Bewertungen mit einem für die Nutzer nicht erkennbaren kommerziellen Hintergrund unlauter seien. In Zukunft müssten die Bewertungen auf Amazon entsprechend gekennzeichnet sein, wenn die Tester dafür etwas erhalten haben.
Ein anderes Thema, um das sich Online-Händler in Zukunft stärker kümmern müssen, ist die Sicherheit ihrer Shops – gerade wenn die Kunden dort sensible Informationen wie beispielsweise Kreditkartendaten hinterlegen. So hat der Security-Spezialist Symantec im Rahmen seines aktuellen „Internet Security Threat Report“(ISTR) festgestellt, dass Formjacking-Angriffe in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen haben. Dabei schleusen Cyber-Kriminelle bösartigen Code auf Retail-Websites und stehlen so die Kreditkartendetails von Verbrauchern. Beispielsweise wurden die Online-Bezahlseiten einiger renommierter Unternehmen wie Ticketmaster und British Airways Opfer solcher Formjacking-Angriffe. Jeden Monat werden Symantec zufolge rund 4800 Websites durch Formjacking-Codes kompromittiert. Fast ein Drittel aller erkannten Attacken fanden im November und Dezember statt, also in den wichtigsten Shopping-Monaten des Jahres.
Hacker infiltrieren Webshops mit Malware
Cyber-Kriminelle stehlen Finanzdaten sowie persönliche Informationen und haben durch Kreditkartenbetrug und Verkäufe im Dark Web Millionen Dollar erbeutet, so die Experten von Symantec. Allein beim Angriff auf British Airways seien mehr als 380.000 KreditkartenDatensätze gestohlen worden. Die Attacke könnte den Hackern mehr als 17 Millionen Dollar eingebracht haben. „Formjacking ist eine ernsthafte Bedrohung für Unternehmen und Verbraucher“, warnt Greg Clark, CEO von Symantec. Konsumenten könnten nicht wissen, ob sie es mit einem Online-Retailer zu tun haben, dessen Seiten befallen sind.
Dazu kommt, dass sich Mitte September dieses Jahres die Regeln für das Online-Bezahlen verschärfen werden. Eine neue EU-Richtlinie verpflichtet Online-Händler, schnelle Verfahren per Kreditkarte oder Paypal mit einer zusätzlichen Authentifizierung abzusichern. Dafür kommen etwa ein Fingerabdruck oder eine PIN in Frage, die auf das Smartphone des Einkäufers gesendet werden. Die Händler sind alles andere als begeistert. Das Verfahren verkompliziere das Einkaufen im Netz, sagen sie, Online-Shopper könnten ihre Transaktionen vorzeitig abbrechen. Zudem braucht es neue
Technik. Schnittstellen zwischen Banken und Händlern müssen entwickelt und getestet werden. In der Branche gibt es Zweifel, ob das Ganze rechtzeitig fertig wird.
Trotz aller Kritik am E-Commerce, die vor allem auf die wachsende Verkehrs- und Umweltbelastung durch Auslieferfahrzeuge in den Innenstädten sowie die Verpackungsmüllberge abzielt, blickt die Mehrheit der Online-Händler optimistisch in die Zukunft.
Doch es gibt nach wie vor Bereiche, in denen sich der Einkauf im Netz nicht so recht durchsetzen will. Zum Beispiel der Lebensmittelhandel, der derzeit kaum neue Käufergruppen erschließen kann, wie Bitkom Research zuletzt berichtete. 2016 hatten 28 Prozent der InternetNutzer schon einmal Lebensmittel aus dem Web besorgt, zwei Jahre später waren es mit 29 Prozent nur marginal mehr – auch wenn die Zufriedenheit mit dem Haustürservice laut Umfrage hoch ist.
Ein gutes Drittel aller Befragten (35 Prozent) könne sich durchaus vorstellen, in Zukunft Lebensmittel oder Getränke online zu kaufen, so der Bitkom. Das will allerdings nicht viel heißen. 2015 hatten ebenfalls im Rahmen einer Bitkom-Umfrage 38 Prozent der knapp 800 befragten Internet-Nutzer Interesse an einem Lebensmitteleinkauf im Netz bekundet – ohne dass der Anteil in den folgenden Jahren nennenswert gestiegen wäre.
Dabei schrecken die Verbraucher insbesondere davor zurück, frische Lebensmittel online zu bestellen. Überwiegend werden Süßwaren (52 Prozent), Fertiggerichte und Konserven (41 Prozent), spezielle Lebensmittel, etwa zur veganen oder glutenfreien Ernährung (29 Prozent), oder Spezialitäten und Gourmetprodukte (27 Prozent) im Web gekauft. Fleisch- oder Wurstwaren (25 Prozent) und Milchprodukte (22 Prozent) sowie Obst und Gemüse (21 Prozent) rangieren hingegen weit unten auf der Einkaufsliste. Amazon goes offline
Auch die großen Online-Händler merken, dass sich nicht jedes Shopping-Erlebnis eins zu eins ins Netz übertragen lässt, und suchen nach neuen Möglichkeiten – allen voran Amazon. So wie die stationären Händler ihre Fühler ins Online-Business ausstrecken, versucht sich der Internet-Riese im stationären Handel und baut seine Ladenketten aus. Die Übernahme der Supermarkt-Kette Whole Foods Mitte 2017 war ein klares Signal. Außerdem betreibt der Online-Handelsriese inzwischen etliche kleine, kassenlose „Amazon-Go“-Läden. Dort registrieren Kameras und Sensoren, was die Kunden einkaufen. Bezahlt wird automatisch per Kreditkarte oder Mobile Payment.
Offenbar will Amazon seine Offline-Aktivitäten erheblich ausbauen. Bloomberg zufolge sollen bis 2021 weitere 3000 Go-Stores eröffnet werden. Verschiedene US-Medien berichten darüber hinaus, der Konzern wolle Dutzende von Supermärkten in US-Metropolen wie Los Angeles, San Francisco, Seattle und Washington aufmachen. Außerdem überlegen sich die Amazon-Verantwortlichen, lokale Supermarktketten zu übernehmen.
Offiziell kommentieren wollte das Unternehmen diese Informationen bis dato nicht. Ein Amazon-Sprecher ließ aber gegenüber dem US-Nachrichtensender CNBC durchblicken, man plane weitere Amazon-4-Star-Stores, in denen die beliebtesten Produkte aus dem Online-Shop angeboten werden. Zudem denke das Unternehmen über zusätzliche Buchläden nach.
Bis dato konzentrieren sich Amazons OfflineAktivitäten weitestgehend auf die Vereinigten Staaten. Es ist aber davon auszugehen, dass diese Ideen – soweit sie sich als erfolgreich erweisen – sehr schnell auch in anderen Ländern umgesetzt werden. Das dürfte für zusätzliche Unruhe in der hiesigen Retail-Branche sorgen. In den USA brach jedenfalls auf die Nachricht, Amazon werde weitere Buchläden aufmachen, prompt die Aktie des Buchhändlers Barnes & Noble deutlich ein. Ein Signal, das auch hierzulande die Alarmglocken im Handel noch lauter schrillen lassen dürfte.