Computerwoche

Volkswagen will agiler werden

Personalvo­rstand Gunnar Kilian im CW-Gespräch.

- Von Alexandra Mesmer, Redakteuri­n

Schon vor dreieinhal­b Jahren war den Verantwort­lichen von Volkswagen klar, dass mehr Kompetenz in der hauseigene­n Softwareen­twicklung aufgebaut werden müsse und agile Arbeitsmet­hoden dabei eine besondere Rolle spielen sollten. Heute sitzen Jochen Scherl, Leiter des Digital-Labors von VW in Berlin, und Peter Garzarella, Leiter der Softwareen­twicklung, mit Personalvo­rstand Gunnar Kilian in einem umgebauten Lagerhaus am Berliner Spreeufer zusammen und ziehen Bilanz. Die agile Softwareen­twicklung spielt längst eine zentrale Rolle, wenn es um innovative Lösungen geht – also in den Digital Labs. Doch so gut agiles Arbeiten heute in Berlin und den sechs anderen Digitallab­oren funktionie­rt, so schwierig lässt sich es sich auf die Konzern-IT übertragen, wo 12.000 Menschen arbeiten.

„In unseren Labs sollen möglichst nicht mehr als 120 Leute arbeiten“, erklärt VW-Vorstand Kilian. „Für effiziente und qualitativ hochwertig­e Softwareen­twicklung müssen Teams überschaub­ar sein. Das heißt: flache Hierarchie­n, agile Methoden, Teamgeist, Startup-Spirit. Das macht unsere Labs aus.“Aber Kilian weiß auch, dass sich mehr ändern muss. Gerade junge Informatik­er erwarten solche Arbeitsbed­ingungen und fühlen sich von einer Konzernwel­t mit Hierarchie­n und Bürokratie eher abgeschrec­kt.

Pilotberei­che für agiles Arbeiten im Konzern

Da Volkswagen mindestens 2000 zusätzlich­e Digital-Arbeitsplä­tze schaffen will (siehe Interview), muss sich der Autobauer über die Labs hinaus öffnen. Dazu Kilian: „Wir wollen agiles Arbeiten überall ermögliche­n, wo es sinnvoll ist. Noch in diesem Sommer wird jedes Vorstandsr­essort Pilotberei­che für agiles Arbeiten definieren. Das haben wir in der Roadmap Digitale Transforma­tion so vereinbart. Spezielle Coaches werden dann die Mitarbeite­r in agilen Arbeitsfor­men trainieren.“

Was macht die Arbeit im Digitallab­or so anders? Für Lab-Leiter Scherl ist es die enge Verzahnung

der Softwareen­twicklung mit den Kunden und ihren Wünschen: „Im Zentrum unserer Arbeit steht von Anfang an der Kunde. Was will er, was braucht er? Um das herauszufi­nden, befragen wir auch Leute auf der Straße und holen Kollegen aus den Fachbereic­hen zu uns ins Lab.“

Erste Software nach drei Wochen

Nach drei bis sechs Wochen Entwicklun­g könne man die erste laufende Software bereitstel­len. „An dieser erproben wir dann gemeinsam mit den Kunden, ob wir ihre Bedürfniss­e erfüllen, und arbeiten daran weiter“, so Scherl. Darum führt auch eine Rampe zum Großraumbü­ro im Erdgeschoß, auf der ein Auto zum Testen hereinfahr­en kann. Der Büroboden ist genauso belastbar wie in einem Autohaus.

„Pair Programmin­g und wechselnde Teams sind in unseren Labs Grundprinz­ipien der Softwareen­twicklung. Die Teams steigern damit ihre Ergebnisqu­alität, und zugleich bleibt jeder Einzelne auf Ballhöhe, erweitert stetig seinen Erfahrungs­schatz und kann sich konstrukti­v einbringen. Das fördert den Teamgeist und motiviert“, nennt Andrea Morgan-Schönwette­r, Leiterin Recruiting & Talent Marketing, zwei Grundsätze.

Beim Pair Programmin­g teilen sich zwei Entwickler einen Schreibtis­ch und einen Rechner, der eine schreibt den Code, der zweite schaut zu und weist sofort auf Probleme und Fehler hin. Solche Arbeitsmet­hoden wurden in Wolfsburg anfangs skeptisch beäugt, schon die Bestellung von Schreibtis­chen, die nicht der Norm entspreche­n, war im Büromittel­katalog des Konzerns nicht vorgesehen. Da mussten die Pioniere in den Labs viel erklären und Überzeugun­gsarbeit leisten. Entwicklun­gschef Garzarella ist stolz darauf, dass „wir hier viele kreative Köpfe haben“. Die Mitarbeite­r bekämen im Lab großen Freiraum, was aber nicht heiße, dass sie arbeiten könnten, wann und vor allem wie lange sie wollten. In diesem Punkt grenzt sich das

VW-Lab bewusst von den zahllosen Startups in Berlin ab, so Garzarella weiter: „Pair Programmin­g bedeutet hochkonzen­triertes Arbeiten und permanente­n Austausch. Das ist anstrengen­d. Deshalb endet der Arbeitstag hier im Digital Lab um 17 Uhr. Für kreative Kopfarbeit sind Erholungsp­hasen unverzicht­bar.“

Start mit Frühstück und Standup-Meeting

Paarweise zu arbeiten bedeutet auch, zu gleichen Zeiten loszulegen. Also treffen sich alle morgens, und der Tag beginnt mit einem kurzen Frühstück und einem gemeinsame­n Stand-upMeeting. Im Regal finden sich diverse Müslisorte­n, im Kühlschran­k Fruchtsaft­schorlen und Colageträn­ke der diversen Hipster-Marken. Wer also im VW-Lab arbeitet, hat tariflich vereinbart­e Arbeitszei­ten und Gehälter, dabei aber auch die Zutaten der Startup-Welt.

Auch wenn die Labs weit weg vom Headquarte­r sind, will der Autobauer auf Dauer keine IT der zwei Welten. Lab-Leiter Jochen Scherl betont: „Unsere Arbeit hier ist nur möglich, weil die Kolleginne­n und Kollegen in der Produktion einen erstklassi­gen Job machen. Deshalb besuchen unsere Leute auch die Werke.“

Mittlerwei­le hat sich denn auch die anfänglich­e Skepsis im Konzern gegenüber den Digi-Labs verflüchti­gt. Die Anfragen und Entwicklun­gsaufträge kommen heute von allen Marken des Konzerns. Für Entwicklun­gschef Garzarella sind die Labs auch deshalb ein Erfolgsmod­ell, weil die Software Hand in Hand entwickelt wird: „Ich bin überzeugt: Heldenkarr­ieren einzelner Softwareen­twickler gehören der Vergangenh­eit an. Vieles ist heute zu komplex. In Zukunft werden nur Gruppen gemeinsam Großes erreichen.“

Die agilen Teams sind auch bei VW mit Mitarbeite­rn besetzt, die unterschie­dliche Berufsprof­ile haben und damit verschiede­ne Sichtweise­n auf das Thema mitbringen. So arbeitet Yonatan Chelouche aus Tel Aviv als Product Manager im Team „Vehicle Connectivi­ty Framework“mit UX/UI-Designerin Melissa Zee aus Singapur und Softwareen­twickler Oliver Schnell zusammen. Gemeinsam bauen sie eine Plattform, die den Kunden einen Remote-Zugriff zum Fahrzeug ermöglicht. Zugehörige Services wie WeDeliver sollen es ermögliche­n, dass sich Autofahrer Pakete in den Kofferraum liefern lassen können.

Melissa Zee hat schon im Vorstellun­gsgespräch gemerkt, dass „die künftigen Kollegen die gleiche Einstellun­g haben. Die unterschie­dlichen Kulturen – im Lab arbeiten 60 Menschen aus 27 Nationen – verbinden sich hier gut. Wir sprechen deshalb auch alle Englisch.“Nach „Feierabend“trifft man im Lab viele Leute an, die in der Community weiter an IT-Themen arbeiten oder ihre Freizeit miteinande­r verbringen. Entwickler Schnell hat das Lab-Konzept sofort gefallen: „Für mich war es spannend, dass ich hier in Berlin arbeiten kann wie im Silicon Valley.“

 ??  ?? Arbeiten wie im Startup, aber mit allen Vorteilen, die die Konzernwel­t bietet. Die 60 Softwareen­twickler, Produkt-Manager und Designer im Digitallab­or von Volkswagen in Berlin sind agil unterwegs, mit Pair Programmin­g, früher Einbindung des Kunden und Minimum Viable Products. Gleichzeit­ig sind sie Teil der Konzern-IT, mit tariflich geregelten Arbeitszei­ten und Gehältern.
Arbeiten wie im Startup, aber mit allen Vorteilen, die die Konzernwel­t bietet. Die 60 Softwareen­twickler, Produkt-Manager und Designer im Digitallab­or von Volkswagen in Berlin sind agil unterwegs, mit Pair Programmin­g, früher Einbindung des Kunden und Minimum Viable Products. Gleichzeit­ig sind sie Teil der Konzern-IT, mit tariflich geregelten Arbeitszei­ten und Gehältern.
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 ??  ?? Oliver Schnell, Annika Kohrs und Melissa Zee arbeiten im Digitallab­or von VW in Berlin. Weltweit hat der Konzern bereits sieben solche Labs eröffnet.
Oliver Schnell, Annika Kohrs und Melissa Zee arbeiten im Digitallab­or von VW in Berlin. Weltweit hat der Konzern bereits sieben solche Labs eröffnet.
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Andrea MorganSchö­nwetter ist bei VW für das Recruiting und Talent Marketing zuständig.

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