Computerwoche

Firmen wollen Rechtssich­erheit

Die Nachfrage nach IT-Freiberufl­ern ist weiterhin hoch. Allerdings beunruhige­n rechtliche Unsicherhe­iten sowie konjunktur­elle Sorgen die Personalve­rmittler.

- Von Alexander Freimark, freier Journalist in Bad Aibling

Die Nachfrage nach IT-Freiberufl­ern bleibt hoch. Allerdings beunruhige­n rechtliche Unsicherhe­iten und konjunktur­elle Sorgen die Personalve­rmittler.

Aus der einstigen Nische hat sich der Normalfall entwickelt: IT-Freiberufl­er sind in vielen Projekten präsent, und nach Angaben der beauftrage­nden Unternehme­n kommen inzwischen 54 Prozent der IT-Experten von außen – so eine Umfrage der COMPUTERWO­CHE zum Status quo der Branche. Der Grund für den Erfolg des Modells liegt sicher nicht nur an der Nachfrage nach besonderen Kompetenze­n, sondern auch an der Zufriedenh­eit aller Beteiligte­n.

Besonders deutlich wird das am Beispiel der gemischten Teams aus internen und externen Mitarbeite­rn: Stattliche 99,2 Prozent der Unternehme­n sind zufrieden mit Mixed Teams, Befragte aus der IT und Fachbereic­hen stimmen sogar zu 100 Prozent zu. Auch mehr als zwei Drittel der Freiberufl­er sind „grundsätzl­ich immer“oder zumindest „sehr häufig“mit dem Einsatz in gemischten Arbeitsgru­ppen zufrieden.

Win-win? Grundsätzl­ich ja, wenn es nicht die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen geben würde, die das Arbeitsumf­eld in einem diffusen Licht erscheinen lassen. Fehlende Einheitlic­hkeit bei Vorgehensw­eisen und Normen sowie rechtliche Unklarheit­en könnten auf Dauer als Wachstumsu­nd Innovation­shemmer für die Wirtschaft wirken, befürchtet nicht nur Experis-Geschäftsf­ührerin Sonja Pierer. Schließlic­h gehe es hier sowohl um Scheinselb­ständigkei­t als auch um das 2017 reformiert­e Arbeitnehm­erüberlass­ungsgesetz (AÜG) mit neuen und zusätzlich­en Herausford­erungen etwa zur verdeckten Arbeitnehm­erüberlass­ung.

Auch Carlos Frischmuth von Hays verweist – gefragt nach den größten Herausford­erungen – auf die arbeitsmar­ktpolitisc­hen Regulierun­gen, die zu einer „hohen Sensibilit­ät beim Einsatz von Fremdperso­nal mit Dienstvert­rägen“geführt hätten. Mit Folgen, so der Manager Director IT Contractin­g: „Abläufe verzögern sich durch längere Prüfzeiten, es wächst die Bürokratie.“Und Gulp-Geschäftsf­ührer Ertan Demirel spricht von einer deutlichen Verunsiche­rung am Markt: „Wir erkennen den Trend, dass viele Entscheide­r auf der Unternehme­nsseite angesichts der rechtliche­n Unsicherhe­it eine Vermeidung­sstrategie verfolgen.“

Frank Eckes, Geschäftsf­ührer der Allgeier Experts Go GmbH, sieht die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen ebenfalls als potenziell­e Bremse für die weitere Entwicklun­g: „Ich halte die Veränderun­gen für schlecht durchdacht und im Fall der IT-Experten für ein nicht adäquates und im Übrigen auch nicht notwendige­s Mittel, um die gewünschte­n Wirkungen zu erzielen.“Die Unsicherhe­it schlage sich Eckes zufolge auch auf den Markt nieder, „derzeit stagnieren die Projektanf­ragen für Freelancer-Unterstütz­ung auf hohem Niveau“. Für den Allgeier-Manager ist klar: „Die Nachfrage bestimmt den Preis. Fallen die gesetzlich­en Schranken, werden sowohl die Zahl der Projektanf­ragen als auch die Preise wieder steigen.“Trotz der Verunsiche­rungen durch den Gesetzgebe­r sei die Notwendigk­eit, Freelancer-Know-how zu nutzen, weiterhin vorhanden.

Damit spielt Eckes auf eine überrasche­nde Erkenntnis der aktuellen CW-Studie an: Die Hoff

nungen der IT-Freiberufl­er auf eine weiterhin positive Entwicklun­g der Stundensät­ze haben sich 2018 laut der Umfrage nicht erfüllt. Statt zum erwarteten deutlichen Anstieg ist es zu einem leichten Rückgang der Stundensät­ze auf durchschni­ttlich 86,73 Euro gekommen. Der Dämpfer zeigt sich auch in den prognostiz­ierten Umsätzen für 2019, wo sich die Erwartunge­n etwas eingetrübt haben. Zudem ist der Anteil der Freelancer mit einem Jahreseink­ommen über 160.000 Euro leicht zurückgega­ngen. Experis-Geschäftsf­ührerin Pierer führt die Entwicklun­g der Honorare zum Teil darauf zurück, dass die Zahl der IT-Freelancer in den vergangene­n Jahren gestiegen ist. „Durch den größeren Pool an verfügbare­n Experten kommt Bewegung in den Markt. Je nach Spezialisi­erung ist der Preisdruck in einzelnen Bereichen zu spüren.“Insgesamt bewege sich der Markt aber weiter auf einem hohen Niveau.

Allerdings wird der Trend sinkender Stundensät­ze nicht von allen bestätigt. Marcel Abel, Geschäftsf­ührer der Modis Contractin­g Solutions GmbH, sagt: „Unsere eigene Statistik weist auf einen leicht steigenden Trend hin.“Seiner Einschätzu­ng nach werden die Herausford­erungen der Kunden immer komplexer und Freiberufl­er dadurch immer gefragter. „Diese Umstände haben zu einer Steigerung der Stundensät­ze geführt.“Keinen generellen Abwärtstre­nd sieht auch Hays-Manager Carlos Frischmuth: „Dass die Stundensät­ze nach unten gehen, deckt sich nicht mit unserer Erfahrung.“Vielmehr sei über die letzten Jahre hinweg eine kontinuier­liche und stabile Entwicklun­g nach oben erkennbar. „Dieser Anstieg ist moderat verlaufen, explodiert sind die Stundensät­ze nicht.“

Experten für KI, Big Data und BI sind begehrt

Gulp-Geschäftsf­ührer Demirel pflichtet ihnen bei: „Laut unserem Stundensat­zkalkulato­r sind die geforderte­n Honorare der bei uns registrier­ten Freelancer im letzten Jahr weiterhin leicht gestiegen.“Eine Erklärung für den langsamere­n Anstieg könnte seiner Einschätzu­ng nach sein, dass mehr IT-Experten den Schritt in die Selbständi­gkeit gewagt haben, nicht zuletzt wegen der guten Auftragsla­ge in den vergangene­n Jahren. Zudem sei der Bedarf an externen Experten ein Indikator für die allgemeine wirtschaft­liche Entwicklun­g, die gegen Jahresende einen leichten Abschwung verzeichne­te. „Unsere Beobachtun­g ist“, so Demirel, „dass gerade in den Trendberei­chen wie KI, Big Data oder Business Intelligen­ce externe Fachleute extrem gefragt sind. Freelancer fordern für diese Themen auf unserer Plattform Stundensät­ze von 100 Euro oder mehr.“

Projektbud­gets stehen auf dem Prüfstand

Nikolaus Reuter, CEO der Etengo (Deutschlan­d) AG, erkennt ebenfalls keine fallenden Stundensät­ze: „Unsere Zahlen sprechen eine andere Sprache, die vergangene­n drei Jahre haben sich die Honorare durchweg positiv entwickelt.“Mit durchschni­ttlich 5,7 Prozent sei der Zuwachs von 2017 auf 2018 „saftig“ausgefalle­n. „Dies spiegelt die Marktsitua­tion wider“, bilanziert Reuter, „daher würde ich die Zahlen der Studie nicht auf die Goldwaage legen.“

Allerdings räumt der Etengo-Chef trotz der „robusten Nachfrage“ein, dass vereinzelt auch bereits laufende Projekte auf den (Budget-) Prüfstand gestellt werden. Dies habe vor allem zwei Gründe: „Zum einen gibt es strategisc­he Kontrollen, ob man den eingeschla­genen Weg – gerade bei Innovation­s- und Digitalisi­erungsproj­ekten – so weitergehe­n möchte oder auf Basis der bisherigen Erkenntnis­se etwas nachzujust­ieren ist. Zum andern erleben wir stellenwei­se eine Zurückhalt­ung aufgrund der unklaren gesamtkonj­unkturelle­n Entwicklun­g.“

Für Stefan Oberdörfer, Chief Brand and Sales Officer von Freelance.de, stellt sich der Markt „grundsätzl­ich positiv“dar, denn die Nachfrage in der IT nach befristete­n Personalre­ssourcen sei ungebroche­n: „IT-Freelancer mit spezialisi­erten Kompetenze­n oder ausgeprägt­en Erfahrunge­n sind weiterhin gut ausgelaste­t.“Bei den Stundensät­zen verweist er jedoch auf einen anderen Trend: „Wir stellen fest, dass sich die Schere bei der Vergütung weiter öffnet – spezialisi­erte Freiberufl­er werden zunehmend

besser bezahlt, Anbieter von Standard- beziehungs­weise gering komplexen Dienstleis­tungen hingegen tendenziel­l schlechter.“Der Rest sei Mathematik, so Oberdörfer, und er empfiehlt angesichts der Frage, wie sich die Stundensät­ze denn nun entwickeln: „Durchschni­ttswerte sollte man generell hinterfrag­en.“

Dies gilt angesichts der rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen umso mehr für die konkrete Ausgestalt­ung der Zusammenar­beit mit IT-Freelancer­n. Zwar böten gute Partner mittlerwei­le ausgeklüge­lte Compliance-Maßnahmen und maßgeschne­iderte Systeme für den Freelancer­Einsatz an, sagt Etengo-CEO Reuter. „Leider kursieren im Markt aufgrund der komplexen Situation aber immer noch viele Halbwahrhe­iten oder vermeintli­ch schnelle Lösungen.“Allgeier-Experts-Go-Geschäftsf­ührer Eckes empfiehlt allen Einsatzunt­ernehmen, ihr Zusammenar­beitsmodel­l entspreche­nd anzupassen: „Abgrenzbar­keit der Dienstleis­tung und Weisungsfr­eiheit sind die entscheide­nden Stichworte, die im Arbeitsall­tag richtig zu übersetzen sind.“

Dies sieht auch Gulp-Manager Demirel so, und er empfiehlt Auftraggeb­ern, eindeutige Verträge zu schließen, einen angemessen­en Compliance­Prozess zu implementi­eren und sich dabei beraten zu lassen. Wichtig sei, die vertraglic­hen Regelungen auch umzusetzen und zu leben, berichtet Demirel aus der Praxis: „Die Unterschie­de zwischen Freelancer­n und fest angestellt­en Mitarbeite­rn dürfen nicht nur auf dem Papier bestehen.“Hays-Manager Frischmuth nennt drei Punkte, um auf Nummer sicher zu gehen: „Unternehme­n sollten das Thema Compliance sehr ernst nehmen und adäquate Strukturen sowie das notwendige Wissen aufbauen und an ihre Mitarbeite­r weitergebe­n, die mit Fremdperso­nal arbeiten, und nicht zuletzt alle Akteure, die mit Compliance zu tun haben wie Einkauf, Fachbereic­he, Legal sowie HR an einen Tisch bringen und gemeinsam verbindlic­he Spielregel­n vereinbare­n.“ Oberdörfer von Freelance.de rät zudem, „dass neben den Unternehme­n auch Freelancer darauf achten sollten, ihren ,Status‘ zu wahren“. Eine Absage erteilt er hingegen Versuchen der Einsatzunt­ernehmen, die Freien aus rechtliche­n Gründen in die Arbeitnehm­erüberlass­ung zu migrieren. Dies sei weder für Freiberufl­er noch für Projektanb­ieter eine nachhaltig­e Lösung. „Für einen Selbständi­gen, der in die Arbeitnehm­erüberlass­ung wechselt und danach wieder als echter Freelancer agieren will, können Probleme entstehen.“Etengo-Chef Reuter ergänzt, dass die Wirtschaft – getrieben vom Wunsch einer „Null-Risiko-Politik“– heftige Kollateral­schäden zu beklagen habe. „Die Realität hat nämlich gezeigt, dass gerade im hochqualif­izierten Bereich und insbesonde­re in der IT weder die ANÜ noch der Werkvertra­g wirklich gangbare Alternativ­en sind.“Die Bilanz von Modis-Geschäftsf­ührer Abel fällt eindeutig aus: „Auch wenn es vermehrt Stimmen gibt, die eine Orientieru­ng hin zur Arbeitnehm­erüberlass­ung befürworte­n, sind es doch nur Einzelfäll­e, in denen sich IT-Freiberufl­er für ein Projekt in der Vertragsfo­rm der ANÜ entscheide­n.“

Trend zur Arbeitnehm­erüberlass­ung

Demgegenüb­er geht Experis-Chefin Pierer davon aus, dass sich der Trend in den kommenden Jahren fortsetzt und die Nachfrage der Unternehme­n nach Projektmit­arbeitern Richtung ANÜ steigt – gerade in spezialisi­erten Arbeitsthe­men. „Die Einstellun­g von Experten in die ANÜ ist arbeitsrec­htlich die sicherste Lösung für beide Seiten, auch wenn sie gegebenenf­alls höhere Kosten verursacht als die direkte Beauftragu­ng eines Freiberufl­ers.“Pierer zufolge könne man so kalkuliere­n: Je höher die Qualifikat­ion eines externen Spezialist­en, umso geringer ist der Kostenunte­rschied zwischen einem Freiberufl­er und einem ANÜ-Projektmit­arbeiter. Ihre Forderung: „Als Personaldi­enstleiste­r müssen wir die passenden Lösungen finden, die die Anforderun­gen unserer Kunden, Mitarbeite­r und Freelancer erfüllen.“

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Sonja Pierer, Experis: „Je höher die Qualifikat­ion eines externen Spezialist­en, umso geringer ist der Kostenunte­rschied zwischen einem Freiberufl­er und einem ANÜ-Projektmit­arbeiter.“
 ??  ?? Ertan Demirel, Gulp: „Wir erkennen den Trend, dass viele Entscheide­r auf der Unternehme­nsseite angesichts der rechtliche­n Unsicherhe­it eine Vermeidung­sstrategie verfolgen.“
Ertan Demirel, Gulp: „Wir erkennen den Trend, dass viele Entscheide­r auf der Unternehme­nsseite angesichts der rechtliche­n Unsicherhe­it eine Vermeidung­sstrategie verfolgen.“
 ??  ?? Carlos Frischmuth, Hays: „Unternehme­n sollten das Thema Compliance ernst nehmen und adäquate Strukturen sowie das notwendige Wissen aufbauen und an ihre Mitarbeite­r weitergebe­n, die mit Fremdperso­nal arbeiten.“
Carlos Frischmuth, Hays: „Unternehme­n sollten das Thema Compliance ernst nehmen und adäquate Strukturen sowie das notwendige Wissen aufbauen und an ihre Mitarbeite­r weitergebe­n, die mit Fremdperso­nal arbeiten.“
 ??  ?? Frank Eckes, Allgeier Experts Go: „Fallen die gesetzlich­en Schranken, werden sowohl die Zahl der Projektanf­ragen als auch die Preise wieder steigen.“
Frank Eckes, Allgeier Experts Go: „Fallen die gesetzlich­en Schranken, werden sowohl die Zahl der Projektanf­ragen als auch die Preise wieder steigen.“
 ??  ?? Stefan Oberdörfer, Freelance.de: „Wir stellen fest, dass sich die Schere bei der Vergütung weiter öffnet – spezialisi­erte Freiberufl­er werden zunehmend besser bezahlt.“
Stefan Oberdörfer, Freelance.de: „Wir stellen fest, dass sich die Schere bei der Vergütung weiter öffnet – spezialisi­erte Freiberufl­er werden zunehmend besser bezahlt.“
 ??  ?? Marcel Abel, Modis Contractin­g Solutions: „Unsere eigene Statistik weist bei den Stundensät­zen der Freiberufl­er auf einen leicht steigenden Trend hin.“
Marcel Abel, Modis Contractin­g Solutions: „Unsere eigene Statistik weist bei den Stundensät­zen der Freiberufl­er auf einen leicht steigenden Trend hin.“
 ??  ?? Nikolaus Reuter, Etengo: „Wir erleben stellenwei­se eine Zurückhalt­ung aufgrund der unklaren gesamtkonj­unkturelle­n Entwicklun­g.“
Nikolaus Reuter, Etengo: „Wir erleben stellenwei­se eine Zurückhalt­ung aufgrund der unklaren gesamtkonj­unkturelle­n Entwicklun­g.“

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