Computerwoche

Gehalt ist kein Tabuthema mehr

Transparen­z bei Gehältern liegt im Trend.

- Von Stefanie Hornung, freie Journalist­in in Tübingen

Unser Vergütungs­system ist nicht gerecht“, sagt Gernot Pflüger, Geschäftsf­ührer der CPP Studios. Das Unternehme­n mit seinen knapp 30 Beschäftig­ten produziert erklärende Animatione­n, Filme und Viral-Videos für Social Media – knallhart kalkuliert und unter Zeitdruck. Seit der Gründung vor 30 Jahren gab es hier noch nie Führungsst­rukturen, dafür ein Einheitsge­halt. Alle fest angestellt­en Mitarbeite­r verdienen unabhängig von Alter und Funktion gleich viel, nur Freelancer und Inhaber Gernot Pflüger, der mit seinem Vermögen haftet, bekommen etwas mehr. Am Jahresende machen alle zusammen Kassenstur­z und entscheide­n kollektiv darüber, wie viel sie sich als Bonus auszahlen und welche Beträge für das Unternehme­n gespart oder reinvestie­rt werden sollen. Wenn es gut läuft, gibt es bis zu 15 Monatsgehä­lter, wenn nicht, müssen alle auf einen Teil ihres Gehalts verzichten. „Natürlich leisten einige mehr als andere, aber es gibt keinen Algorithmu­s, um Leistung zu messen. Wenn es ihn gäbe, würde ich keinen Einheitslo­hn bezahlen“, argumentie­rt Pflüger.

Der Auszug aus der Pyramide

Sein Ansatz ist in der heutigen Arbeitswel­t die absolute Ausnahme. Allerdings folgen immer mehr Firmen in einzelnen Teams einem ähnlichen Arbeitsmus­ter: Beschäftig­te bewegen sich auf Augenhöhe oder in Netzwerken. Vor allem in einem Umfeld, in dem es um die Digitalisi­erung und Softwareen­twicklung geht, ist Selbstorga­nisation gefragt. Häufig kommen agile Methoden wie Scrum oder Kanban zum Einsatz. Gleichzeit­ig entscheide­n noch meist die Führungskr­äfte anhand des jährlichen Mitarbeite­rgesprächs, ob eine Gehaltserh­öhung ansteht oder nicht. Unternehme­n legen häufig Gehaltsbän­der fest, in die sie ihre Mitarbeite­r nach bestimmten Kriterien eingruppie­ren. Ein Wechsel ist nur nach oben vorgesehen – und spiegelt die klassische Karrierele­iter wider.

Einige Arbeitgebe­r, die ihre Zusammenar­beit ändern, machen sich auch über ihre Vergütungs­systeme Gedanken oder setzen schon alternativ­e Ansätze ein. Auslöser sind oft Störgefühl­e in der Organisati­on: Warum sollen Führungskr­äfte deutlich mehr verdienen als Mitarbeite­r, die in ihrem Arbeitsall­tag auch viele Entscheidu­ngen für das Unternehme­n treffen? Können Führungskr­äfte die Leistung der Mitarbeite­r adäquat beurteilen? Und inwiefern passen individuel­le Boni und Zielverein­barung zu guter Teamarbeit?

Wenn Unternehme­n diese Fragen nicht glaubwürdi­g beantworte­n können, entstehen bisweilen toxische Spannungsf­elder. Hinzu kommt, dass sich die Wertvorste­llungen und Wünsche der Mitarbeite­r an ihren Arbeitspla­tz stark wandeln. Viele Menschen erwarten eine hohe Flexibilit­ät von Arbeitgebe­rn – etwa in Form einer höheren Wahlfreihe­it zwischen Geld und Freizeit. Plattforme­n wie Glassdoor, Xing/ Kununu oder salary.com tragen dazu bei, dass Gehaltsinf­ormationen immer transparen­ter werden. Nicht zuletzt steht mit der Diskussion

um einen Gender Pay Gap die Forderung nach mehr Transparen­z im Raum.

Erste alternativ­e Ansätze zeigen sich schon seit einigen Jahren – seit 2017 häufiger unter dem Begriff New Pay. Im kürzlich erschienen­en gleichnami­gen Buch erklären Sven Franke, Stefanie Hornung (Autorin dieses Artikels) und Nadine Nobile, dass es sich dabei nicht um ein bestimmtes Gehaltsmod­ell, sondern um einen Prozess handelt: Es geht darum, das geeignete Vergütungs­verfahren für die jeweilige Unternehme­nskultur zu finden. Im agilen Arbeitsumf­eld sind dabei vor allem sieben Dimensione­n bedeutsam: Fairness, Transparen­z, Selbstvera­ntwortung, Partizipat­ion, Flexibilit­ät, WirDenken und Permanent Beta. Auf Grundlage dieser Prinzipien identifizi­eren die New-PayAutoren 18 verschiede­ne Ansätze, die auf New Pay einzahlen und in der Praxis schon vorkommen – vom Einheitsge­halt über transparen­te Gehaltsver­handlungen und Mitarbeite­rbeteiligu­ng bis hin zum Wunschgeha­lt oder selbstgewä­hlten Gehalt.

Mit der Gehaltsfor­mel zum ultimative­n Algorithmu­s?

Eine beliebte Lösung, vor allem im IT- und Softwareum­feld, ist die sogenannte Gehaltsfor­mel: Mitarbeite­r – und oft auch Bewerber – können anhand bestimmter Kriterien errechnen, was sie verdienen müssen. So wird beispielsw­eise zu einem Basisgehal­t je nach Verantwort­ung im Unternehme­n die Berufserfa­hrung eingerechn­et. Dabei kann auch ein Standortfa­ktor zum Tragen kommen, der die Lebenshalt­ungskosten in bestimmten Städten berücksich­tigt. Gehälter sind absolut transparen­t – jeder weiß, welche Gehaltskri­terien einfließen und wie sie gewichtet sind.

Die Agenturgru­ppe Ministry Group mit ihren rund 50 Beschäftig­ten, zum größten Teil Programmie­rer und Kreative, hat sich für diese Lösung entschiede­n. „Gefühlte Fairness kann man, wenn überhaupt, nur mit einem Formelmode­ll realisiere­n“, glaubt Geschäftsf­ührer David Cummins. „Wir haben festgestel­lt, dass nicht mangelnde Transparen­z der Gehälter unser Problem ist. Stattdesse­n müssen wir für Nachvollzi­ehbarkeit sorgen.“Die Lösung soll gleichwohl nicht zu technisch sein und das Problem anpacken, dass Führungskr­äfte allein die Mitarbeite­r nicht adäquat einschätze­n können.

Deshalb enthält die Ministry-Formel einige Besonderhe­iten. Als Komponente­n sind beispielsw­eise Faktoren wie Selbst- und Fremdeinsc­hätzung eingerechn­et. Dazu sollen noch die Aspekte „Extra Engagement“und „Unternehme­rtum“kommen, die alle nach einem transparen­ten Verfahren ermittelt werden, das eine Arbeitsgru­ppe aus Freiwillig­en erarbeitet hat. Bisher ist das Modell noch in der Testphase, denn die Gehaltsfor­mel ist nicht so trivial, wie es auf den ersten Blick erscheint. Der Bewertungs­mechanismu­s muss sich bewähren und das Unternehme­n sich die errechnete­n Gehälter auch leisten können. Zudem können kleinste Anpassunge­n an der Formel Gehaltsspr­ünge bei den Mitarbeite­rn auslösen.

Der IT-Dienstleis­ter Seibert Media mit seinen rund 170 agil arbeitende­n Beschäftig­ten in

Wiesbaden und San Diego hat sich für einen anderen Ansatz entschiede­n. In den Anfangstag­en der Firma in den 90ern galt noch die alte Kaufmannsr­egel: Der Gewinn liegt im Einkauf. Folglich zahlte die Firma den Mitarbeite­rn so wenig wie möglich und kitzelte in Gehaltsver­handlungen die Schmerzunt­ergrenze heraus. Wer besser verhandelt­e, verdiente mehr. „Wenn du mir die Empfehlung gegeben hättest, drücke diese sieben Knöpfe und du kannst dem Mitarbeite­r noch 2000 Euro weniger zahlen, dann hätte ich es gemacht“, gibt Gründer und Geschäftsf­ührer Martin Seibert heute zu.

Mit agilem Arbeiten und Teamrecrui­ting ließ sich dies schwer vereinbare­n, doch die Umstellung brauchte Zeit: Um die Vergütung transparen­ter machen zu können, waren Gehaltsanp­assungen über drei Jahre nötig. Kollegen, die im Vergleich zu den anderen zu wenig verdienten, bekamen Gehaltserh­öhungen. Seit 2014 arbeitet Seibert Media nun an einem neuen Gehaltsmod­ell, das jährliche Gehaltsrun­den vorsieht. Elementar sind dabei die „Gehaltsche­cker“: ein Kreis von gewählten Mitarbeite­rn, die Einsicht in alle Gehälter haben. Vorschläge für Gehaltsver­änderungen, die aus den Teams oder von den Mitarbeite­rn kommen, gleichen sie ab und verteilen sie auf das zur Verfügung stehende Budget. Gehaltsche­cker berücksich­tigen die wirtschaft­liche Machbarkei­t und übernehmen Verantwort­ung. Somit setzen sich nicht alle Mitarbeite­r intensiv mit dem Thema auseinande­r – das schont Ressourcen. Allerdings muss letztlich jeder selbst aktiv werden, um eine Gehaltserh­öhung zu bekommen. „Ich kümmere mich darum, dass wir unsere Mitarbeite­r irgendwann fürstlich entlohnen können, und da gibt es noch einiges zu tun“, so Martin Seibert.

New Pay hat erst begonnen

Bisher greifen vor allem kleine und mittelstän­dische Unternehme­n Ideen von New Pay auf. In Großuntern­ehmen ist der Veränderun­gsprozess zäher. Seit einigen Jahren ist etwa ein Trend weg von individuel­len Boni zu beobachten: Rund 15 Konzerne haben diese im außertarif­lichen Bereich abgeschaff­t und durch Wir- oder Team-Boni ersetzt. Neben einigen Dax-Konzernen hat sich auch die Robert Bosch GmbH für diesen Weg entschiede­n. Für die agilen Einheiten im Tarifberei­ch wurde bei Bosch zudem ein neues Vergütungs­system kreiert und mit der IG Metall vereinbart. Es beinhaltet zehn Gehaltsgru­ppen mit einer hohen Durchlässi­gkeit. Nach wie vor schätzen Führungskr­äfte die Gehaltsent­wicklung ein, aber erstmals haben Mitarbeite­r auch die Möglichkei­t, eine Selbsteins­chätzung abzugeben.

Die Bosch-Vergütungs­profis haben sich in diesem Zusammenha­ng auch mit dem Ansatz des Wunschgeha­lts auseinande­rgesetzt, das in kleineren Organisati­onen wie etwa bei der Agentur Wigwam in Berlin zum Einsatz kommt: Jeder Mitarbeite­r kann sein Gehalt selbst bestimmen und erhält dafür Einblick in die Unternehme­nszahlen und das zur Verfügung stehende Budget. Reicht dieses nicht aus, um die Wünsche aller zu erfüllen, werden die Gehälter prozentual herunterge­rechnet. Die Motivation der Mitarbeite­r ist somit hoch, am Unternehme­nserfolg mitzuarbei­ten und das eigene Wunschgeha­lt zu erreichen. Doch gleichzeit­ig ist ein hohes Maß an Solidaritä­t und Toleranz für die Wünsche der Kollegen gefragt. „Das Wunschgeha­lt wird in einem Konzern von 400.000 Mitarbeite­rn nicht großflächi­g funktionie­ren“, ist Uwe Schirmer überzeugt, der für Personalgr­undsatzfra­gen bei Bosch zuständig ist. „In einer kleinen überschaub­aren Einheit, in der alle Mitarbeite­nden Ergebnisve­rantwortun­g tragen, kann ich mir das aber als Experiment durchaus vorstellen.“

In Zukunft dürften demnach weitere Konzepte in großen Unternehme­n folgen, zumal Mitarbeite­r, die agil arbeiten, meist außertarif­lich bezahlt werden. Absolut gerecht kann es dabei nie zugehen, aber die Zielmarke ist gesetzt. New Pay hat gerade erst begonnen.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Martin Seibert, Seibert Media: „Ich kümmere mich darum, dass wir unsere Mitarbeite­r irgendwann fürstlich entlohnen können, und da gibt es noch einiges zu tun.“
Martin Seibert, Seibert Media: „Ich kümmere mich darum, dass wir unsere Mitarbeite­r irgendwann fürstlich entlohnen können, und da gibt es noch einiges zu tun.“
 ??  ?? David Cummins, Ministry Group: „Wir haben festgestel­lt, dass nicht mangelnde Transparen­z der Gehälter unser Problem ist; stattdesse­n müssen wir für Nachvollzi­ehbarkeit sorgen.“
David Cummins, Ministry Group: „Wir haben festgestel­lt, dass nicht mangelnde Transparen­z der Gehälter unser Problem ist; stattdesse­n müssen wir für Nachvollzi­ehbarkeit sorgen.“
 ??  ?? Uwe Schirmer, Bosch: „Das Wunschgeha­lt wird in einem Konzern von 400.000 Mitarbeite­rn nicht großflächi­g funktionie­ren.“
Uwe Schirmer, Bosch: „Das Wunschgeha­lt wird in einem Konzern von 400.000 Mitarbeite­rn nicht großflächi­g funktionie­ren.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany