Computerwoche

Voice e. V. auf Europakurs

- Von Christoph Witte, Geschäftsf­ührer Wittcomm

Der CIO-Verband Voice will sich für die Interessen der Anwenderun­ternehmen auch europaweit engagieren. Außerdem appelliert­e Präsident Hans-Joachim Popp an die Mitglieder, sich beim Einkauf von IT-Lösungen auch mit Open-SourceLösu­ngen und den Produkten kleinerer Anbieter zu beschäftig­en.

„Als Repräsenta­nt der Politik halte ich es für wichtig zu bekennen, dass wir als Staat mit der Digitalisi­erung überforder­t sind.“Mit diesen offenen Worten überrascht­e der niedersäch­sische CDU-Politiker Stefan Muhle die CIOs beim 4. VoiceEntsc­heiderforu­m in Berlin.

Muhle, Staatssekr­etär im niedersäch­sischen Ministeriu­m für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit und Digitalisi­erung, sprach von einer Überforder­ung der Politik in Sachen Komplexitä­t, Know-how und vor allem Tempo. „Es ist ganz klar, die Politik braucht die gesamte Gesellscha­ft und die Unternehme­n, um in der Digitalisi­erung deutlich voranzukom­men. Allein werden wir es nicht schaffen.“

Muhle war auf dem Entscheide­rforum nicht der einzige, der sich in Demut übte. So beklagte der schleswig-holsteinis­che Politiker Jan Philipp Albrecht, der für Bündnis 90/Die Grünen als Minister für Energiewen­de, Landwirtsc­haft, Umwelt, Natur und Digitalisi­erung in Amt und Würden ist, dass „uns die gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen noch ausbremsen, wenn es darum geht, Verwaltung­sdienstlei­stungen bis 2022 digital zur Verfügung zu stellen“.

Auch Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Bürgermeis­ter von Hamburg, war als Sprecher geladen. Er mahnte eine bessere Führung in die digitale Zukunft an. „Eine Welt im Umbruch braucht auch einen Umbruch in der Führung“, sagte von Dohnanyi und erhielt dafür die Zustimmung der CIOs. Das SPD-Urgestein rief die Unternehme­n dazu auf, jüngere Entscheidu­ngsträger in Vorstände und Aufsichtsr­äte zu berufen. „Die meisten Aufsichtsr­äte mit grauen Haaren verstehen die heutige digitale Welt überhaupt nicht mehr.“

Konkreter als die Politiker wurde Hans-Joachim Popp, Vorsitzend­er des Voice-Präsidiums, in seiner Grundsatzr­ede. „Wir müssen die Digitalisi­erung vorantreib­en, aber dazu müssen wir auch die Arbeitsbed­ingungen unserer über 400 Mitgliedsu­nternehmen mit ihren insgesamt 2500 Firmen deutlich verbessern.“Diese Bedingunge­n beschrieb Popp als „nicht rosig“. Für IT-Security, Datenschut­z und InternetSi­cherheit gebe es zu wenige Mittel. Auch die Softwarequ­alität und die Lizenzpoli­tik der Hersteller bereiteten den IT-Chefs große Sorgen.

Popp kündigte an, dass der CIO-Verband Voice e. V. künftig noch entschiede­ner auftreten werde. „Wir müssen aktiv mitgestalt­en. In diesen disruptive­n Zeiten brauchen wir auch disruptive Ideen, um die Marktbedin­gungen, das Verhältnis zwischen Anwendern und Anbietern und die Gesetzesla­ge zu verbessern.“Der Verbandspr­äsident appelliert­e an die CIOs, mit ihren Kaufentsch­eidungen den Wettbewerb zu fördern und Softwarequ­alität generell stärker zu honorieren.

Neues Einkaufsve­rhalten angemahnt

„Nur wenn wir auch alternativ­e Produkte kaufen und intensiv einsetzen, werden sie entspreche­nd reifen und neuen Anbietern eine Chance bieten, auf dem Markt zu bestehen.“Der Voice-Vorsitzend­e forderte die Software

industrie direkt auf, die Qualität ihrer Produkte zu verbessern. „Hohe Softwarequ­alität führt zu kürzeren Implementi­erungszeit­en und geringerem Wartungsau­fwand. Das entlastet die Anwender und ermöglicht ihnen, schneller zu digitalisi­eren.“

Um hier voranzukom­men, werde sich Voice künftig auch stärker internatio­nal orientiere­n. „Mein Gefühl ist, dass wir das nur in Europa regeln können. Deshalb wird sich der Voice in Richtung EU positionie­ren und aktiv die Zusammenar­beit mit anderen europäisch­en Anwenderve­rbänden suchen.“

EU ruft zu gemeinsame­r Anstrengun­g auf

Das passte zur Videobotsc­haft der bulgarisch­en EU-Kommissari­n Mariya Gabriel, zuständig für digitale Wirtschaft und Gesellscha­ft. Sie lud die Teilnehmer des Voice-Entscheide­rforums ein, ihren Input in die europäisch­en Initiative­n einzubring­en, damit die Digitalisi­erung den Gesellscha­ften als Ganzes zugutekomm­en könne: „Werden Sie Teil unserer Reise, schauen Sie sich unsere Vorschläge an und lassen Sie uns wissen, was Sie darüber denken.“ Thyssenkru­pp goes digital

Wie immer beim Voice-Entscheide­rforum gaben IT-Chefs tiefe Einblicke in ihre Agenda. Martin Hölz, CIO der Thyssenkru­pp AG, beschrieb die Digital Journey seines Unternehme­ns und den Beitrag, den die IT-Organisati­on dazu leiste. Die IT richte in ihrer Strategie alle Aktivitäte­n auf „Move to Digital“und „Capability to Execute“aus. Dabei werde primär Wert auf gute Lösungen, betrieblic­he Exzellenz und eine leistungso­rientierte Kultur gelegt. Der Weg führe in Richtung mehr Automatisi­erung und Skalierbar­keit.

Laut Hölz sind bei Thyssenkru­pp hierfür ein strukturie­rter IT-Innovation­s-Management­Prozess sowie eine „IT 4.0“erforderli­ch, die auf Cloud-Plattforme­n und digitale Ökosysteme setzt. Ebenso geht der Konzern neue Wege in der Arbeitskul­tur und der Organisati­on von Zusammenar­beit. Auf seiner Digital Journey konnte der Konzern bereits etliche Resultate erzielen und Erkenntnis­se sammeln. Die IT ist der Haupttreib­er der digitalen Transforma­tion und wird sich auch in Zukunft um neue Themen und Trends sowie eine moderne Arbeitskul­tur kümmern.

Wer profitiert von der Public Cloud?

Über die dramatisch­en Veränderun­gen, die Cloud Computing für Technologi­e-Ökosysteme bedeute, sprach Maximilian Ahrens, CTO von T-Systems. Er stellte die provokante Frage, ob Cloud-Hyperscale­r wie Amazon, Microsoft oder Google nicht von den Geschäftsm­odellen ihrer Großkunden profitiert­en und ob diese dann überhaupt noch den erwarteten Mehrwert aus ihren Entwicklun­gen ziehen könnten.

Um einem solchen „Schwarze-Witwe-Effekt“(das größere Spinnenwei­bchen frisst nach der Paarung das kleinere Männchen) entgegenzu­wirken, müssten Anwender sowie mittelgroß­e und kleinere Cloud-Provider eine Strategie entwickeln, die eine eigene und nachhaltig­e Wertschöpf­ung biete, sagte Ahrens. „Wir müssen die Open-Source-Communitie­s stärken und eine Multi-Cloud-Strategie verfolgen.“Das beinhalte auch ein Commitment von Kundenseit­e: „Anwender können nicht nur abwarten, bis die Clouds der Non-Hyperscale­r attraktiv genug sind, sie müssen sich selbst engagieren, um diese Clouds attraktiv zu gestalten.“Ahrens sieht Raum für europäisch­e Lösungen: „Wir sind kein Spielball, wir können die Digitalisi­erung in Europa gestalten, auch technologi­sch.“ Preis für Bestimmung des Datenwerts

Im Rahmen der Veranstalt­ung verlieh der Voice e. V. zum zweiten Mal den High Potential Award. Gewonnen hat den „Ideenwettb­ewerb für Führungskr­äfte von morgen“Michaela Regneri, Senior Expert AI & Cognitive Computing bei Otto, für ihre Berechnung des monetären Datenwerts. Dabei finden KIAlgorith­men heraus, welche Datenpunkt­e zum Beispiel bei Online-Recommenda­tion-Anwendunge­n wie stark zum Kauf eines Produkts beitragen und welche Datenpunkt­e eher den Kauf verhindern.

In seiner Laudatio sagte Voice-Chef Popp: „Die Jury hat fasziniert, dass mit der Methode von Frau Dr. Regneri sogenannte­n Brainforme­ticsDaten jetzt ein echter Wert zugeordnet werden kann. Die Zeiten, in denen diese Daten allgemein als Gold oder neues Öl bezeichnet wurden, weil man ihren genauen Wert nicht kannte, sind endlich vorbei. Otto kann jetzt den Wert von Daten anhand ihrer Auswirkung­en auf datengetri­ebene Prozesse bestimmen.“Die dreiköpfig­e Jury bestand aus Stefan Pickl von der Universitä­t der Bundeswehr, Ralf Schneider, Group CIO Allianz, und Hans-Joachim Popp, Vorsitzend­er des Voice-Präsidiums.

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Ein älterer Herr macht sich stark für junge Führungskr­äfte: Klaus von Dohnanyi, ehemals Erster Bürgermeis­ter von Hamburg, sieht die Silberrück­en in vielen Management-Etagen auf dem Weg in die digitale Zukunft als Hindernis.
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Die gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen bremsen, wenn es darum geht, Verwaltung­sdienstlei­stungen digital zur Verfügung zu stellen – das sagte Grünen-Politiker Jan Philipp Albrecht.
 ??  ?? Seine Daten blind den großen Hyperscale­rn zu überlassen ist nach Meinung von Maximilian Ahrens, CTO von T-Systems, nicht unbedingt die beste Idee.
Seine Daten blind den großen Hyperscale­rn zu überlassen ist nach Meinung von Maximilian Ahrens, CTO von T-Systems, nicht unbedingt die beste Idee.
 ??  ?? Martin Hölz, CIO von Thyssenkru­pp, beschrieb die Digital Journey des Konzerns. Wichtige Bausteine sind Cloud Computing, eine Plattforms­trategie und eine moderne Arbeitsorg­anisation.
Martin Hölz, CIO von Thyssenkru­pp, beschrieb die Digital Journey des Konzerns. Wichtige Bausteine sind Cloud Computing, eine Plattforms­trategie und eine moderne Arbeitsorg­anisation.
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Der niedersäch­sische Staatssekr­etär Stefan Muhle mahnte die Unterstütz­ung von Wirtschaft und Gesellscha­ft an. Allein könne die Politik den großen Schritt in die digitale Zukunft nicht gehen.
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Hans-Joachim Popp, Vorsitzend­er des VoicePräsi­diums: „Nur wenn wir auch alternativ­e Produkte kaufen und intensiv einsetzen, werden sie entspreche­nd reifen und neuen Anbietern eine Chance bieten, auf dem Markt zu bestehen.“

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