Voice e. V. auf Europakurs
Der CIO-Verband Voice will sich für die Interessen der Anwenderunternehmen auch europaweit engagieren. Außerdem appellierte Präsident Hans-Joachim Popp an die Mitglieder, sich beim Einkauf von IT-Lösungen auch mit Open-SourceLösungen und den Produkten kleinerer Anbieter zu beschäftigen.
„Als Repräsentant der Politik halte ich es für wichtig zu bekennen, dass wir als Staat mit der Digitalisierung überfordert sind.“Mit diesen offenen Worten überraschte der niedersächsische CDU-Politiker Stefan Muhle die CIOs beim 4. VoiceEntscheiderforum in Berlin.
Muhle, Staatssekretär im niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit und Digitalisierung, sprach von einer Überforderung der Politik in Sachen Komplexität, Know-how und vor allem Tempo. „Es ist ganz klar, die Politik braucht die gesamte Gesellschaft und die Unternehmen, um in der Digitalisierung deutlich voranzukommen. Allein werden wir es nicht schaffen.“
Muhle war auf dem Entscheiderforum nicht der einzige, der sich in Demut übte. So beklagte der schleswig-holsteinische Politiker Jan Philipp Albrecht, der für Bündnis 90/Die Grünen als Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung in Amt und Würden ist, dass „uns die gesetzlichen Rahmenbedingungen noch ausbremsen, wenn es darum geht, Verwaltungsdienstleistungen bis 2022 digital zur Verfügung zu stellen“.
Auch Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Bürgermeister von Hamburg, war als Sprecher geladen. Er mahnte eine bessere Führung in die digitale Zukunft an. „Eine Welt im Umbruch braucht auch einen Umbruch in der Führung“, sagte von Dohnanyi und erhielt dafür die Zustimmung der CIOs. Das SPD-Urgestein rief die Unternehmen dazu auf, jüngere Entscheidungsträger in Vorstände und Aufsichtsräte zu berufen. „Die meisten Aufsichtsräte mit grauen Haaren verstehen die heutige digitale Welt überhaupt nicht mehr.“
Konkreter als die Politiker wurde Hans-Joachim Popp, Vorsitzender des Voice-Präsidiums, in seiner Grundsatzrede. „Wir müssen die Digitalisierung vorantreiben, aber dazu müssen wir auch die Arbeitsbedingungen unserer über 400 Mitgliedsunternehmen mit ihren insgesamt 2500 Firmen deutlich verbessern.“Diese Bedingungen beschrieb Popp als „nicht rosig“. Für IT-Security, Datenschutz und InternetSicherheit gebe es zu wenige Mittel. Auch die Softwarequalität und die Lizenzpolitik der Hersteller bereiteten den IT-Chefs große Sorgen.
Popp kündigte an, dass der CIO-Verband Voice e. V. künftig noch entschiedener auftreten werde. „Wir müssen aktiv mitgestalten. In diesen disruptiven Zeiten brauchen wir auch disruptive Ideen, um die Marktbedingungen, das Verhältnis zwischen Anwendern und Anbietern und die Gesetzeslage zu verbessern.“Der Verbandspräsident appellierte an die CIOs, mit ihren Kaufentscheidungen den Wettbewerb zu fördern und Softwarequalität generell stärker zu honorieren.
Neues Einkaufsverhalten angemahnt
„Nur wenn wir auch alternative Produkte kaufen und intensiv einsetzen, werden sie entsprechend reifen und neuen Anbietern eine Chance bieten, auf dem Markt zu bestehen.“Der Voice-Vorsitzende forderte die Software
industrie direkt auf, die Qualität ihrer Produkte zu verbessern. „Hohe Softwarequalität führt zu kürzeren Implementierungszeiten und geringerem Wartungsaufwand. Das entlastet die Anwender und ermöglicht ihnen, schneller zu digitalisieren.“
Um hier voranzukommen, werde sich Voice künftig auch stärker international orientieren. „Mein Gefühl ist, dass wir das nur in Europa regeln können. Deshalb wird sich der Voice in Richtung EU positionieren und aktiv die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Anwenderverbänden suchen.“
EU ruft zu gemeinsamer Anstrengung auf
Das passte zur Videobotschaft der bulgarischen EU-Kommissarin Mariya Gabriel, zuständig für digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Sie lud die Teilnehmer des Voice-Entscheiderforums ein, ihren Input in die europäischen Initiativen einzubringen, damit die Digitalisierung den Gesellschaften als Ganzes zugutekommen könne: „Werden Sie Teil unserer Reise, schauen Sie sich unsere Vorschläge an und lassen Sie uns wissen, was Sie darüber denken.“ Thyssenkrupp goes digital
Wie immer beim Voice-Entscheiderforum gaben IT-Chefs tiefe Einblicke in ihre Agenda. Martin Hölz, CIO der Thyssenkrupp AG, beschrieb die Digital Journey seines Unternehmens und den Beitrag, den die IT-Organisation dazu leiste. Die IT richte in ihrer Strategie alle Aktivitäten auf „Move to Digital“und „Capability to Execute“aus. Dabei werde primär Wert auf gute Lösungen, betriebliche Exzellenz und eine leistungsorientierte Kultur gelegt. Der Weg führe in Richtung mehr Automatisierung und Skalierbarkeit.
Laut Hölz sind bei Thyssenkrupp hierfür ein strukturierter IT-Innovations-ManagementProzess sowie eine „IT 4.0“erforderlich, die auf Cloud-Plattformen und digitale Ökosysteme setzt. Ebenso geht der Konzern neue Wege in der Arbeitskultur und der Organisation von Zusammenarbeit. Auf seiner Digital Journey konnte der Konzern bereits etliche Resultate erzielen und Erkenntnisse sammeln. Die IT ist der Haupttreiber der digitalen Transformation und wird sich auch in Zukunft um neue Themen und Trends sowie eine moderne Arbeitskultur kümmern.
Wer profitiert von der Public Cloud?
Über die dramatischen Veränderungen, die Cloud Computing für Technologie-Ökosysteme bedeute, sprach Maximilian Ahrens, CTO von T-Systems. Er stellte die provokante Frage, ob Cloud-Hyperscaler wie Amazon, Microsoft oder Google nicht von den Geschäftsmodellen ihrer Großkunden profitierten und ob diese dann überhaupt noch den erwarteten Mehrwert aus ihren Entwicklungen ziehen könnten.
Um einem solchen „Schwarze-Witwe-Effekt“(das größere Spinnenweibchen frisst nach der Paarung das kleinere Männchen) entgegenzuwirken, müssten Anwender sowie mittelgroße und kleinere Cloud-Provider eine Strategie entwickeln, die eine eigene und nachhaltige Wertschöpfung biete, sagte Ahrens. „Wir müssen die Open-Source-Communities stärken und eine Multi-Cloud-Strategie verfolgen.“Das beinhalte auch ein Commitment von Kundenseite: „Anwender können nicht nur abwarten, bis die Clouds der Non-Hyperscaler attraktiv genug sind, sie müssen sich selbst engagieren, um diese Clouds attraktiv zu gestalten.“Ahrens sieht Raum für europäische Lösungen: „Wir sind kein Spielball, wir können die Digitalisierung in Europa gestalten, auch technologisch.“ Preis für Bestimmung des Datenwerts
Im Rahmen der Veranstaltung verlieh der Voice e. V. zum zweiten Mal den High Potential Award. Gewonnen hat den „Ideenwettbewerb für Führungskräfte von morgen“Michaela Regneri, Senior Expert AI & Cognitive Computing bei Otto, für ihre Berechnung des monetären Datenwerts. Dabei finden KIAlgorithmen heraus, welche Datenpunkte zum Beispiel bei Online-Recommendation-Anwendungen wie stark zum Kauf eines Produkts beitragen und welche Datenpunkte eher den Kauf verhindern.
In seiner Laudatio sagte Voice-Chef Popp: „Die Jury hat fasziniert, dass mit der Methode von Frau Dr. Regneri sogenannten BrainformeticsDaten jetzt ein echter Wert zugeordnet werden kann. Die Zeiten, in denen diese Daten allgemein als Gold oder neues Öl bezeichnet wurden, weil man ihren genauen Wert nicht kannte, sind endlich vorbei. Otto kann jetzt den Wert von Daten anhand ihrer Auswirkungen auf datengetriebene Prozesse bestimmen.“Die dreiköpfige Jury bestand aus Stefan Pickl von der Universität der Bundeswehr, Ralf Schneider, Group CIO Allianz, und Hans-Joachim Popp, Vorsitzender des Voice-Präsidiums.