Software und Elektromobilität: So rüstet sich Traton für die Zukunft
Elektromobilität, automobiles Fahren und die Vernetzung von Fahrzeugen waren die zentralen Themen auf dem Innovationstag des Lkw-Herstellers Traton. Die Volkswagen-Tochter arbeitet mit verschiedenen Ansätzen an dem großen Ziel, den CO2-Footprint zu reduzieren.
Die Volkswagen-Tochter Traton steht für die Marken MAN, Scania und Volkswagen Caminhões e Ônibus (VWCO). Der Konzern baut Lkw und Busse – und doch, so erläuterte CEO Andreas Renschler auf dem Traton Innovation Day im schwedischen Södertälje, sei der Klimaschutz das beherrschende Thema. Um gegenüber den Besuchern der Veranstaltung ein klares Bekenntnis abzugeben, hängten die Verantwortlichen ein Konterfei der jungen Klimaaktivistin Greta Thunberg auf.
Laut Renschler beschäftigt die Elektromobilität den Konzern massiv, man wolle führender Hersteller von Elektrobussen und -Trucks werden. Um dieses Ziel zu erreichen, will die Gruppe in den nächsten fünf Jahren mehr als eine Milliarde Euro ihres Entwicklungsbudgets in dieses Forschungsgebiet investieren. Das Interesse der Kunden wachse deutlich, führte Renschler aus. Gegenwärtig bremsten aber die noch fehlenden Ladesäulen sowie hohe Anschaffungs- und Betriebskosten für batteriebetriebene Fahrzeuge eine stärkere Marktdurchdringung. „Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, könnte in zehn bis 15 Jahren jeder dritte Lkw und Bus unserer Marken mit alternativen Antrieben fahren – die meisten davon voll elektrisch.“Und dies sei noch eine konservative Schätzung.
Da Batteriezellen im Lauf der Zeit günstiger werden und länger halten, erwartet Traton, dass batteriebetriebene Lkw und Stadtbusse über ihren Lebenszyklus hinweg nicht teurer als Dieselfahrzeuge sind. Eine erste Probe aufs Exempel erfolgt ab kommendem Jahr, wenn der Bier- und Getränkehersteller Ambev in Brasilien 1600 Elektro-Lkws von VWCO einsetzen will. Bis 2023 soll ein gutes Drittel der Fahrzeugflotte von Ambev mit Strom aus sauberen Quellen betrieben werden und dabei über 30.000 Tonnen CO2 einsparen. Um die E-Mobilität in Brasilien zu fördern, baut die Traton-Tochter zusammen mit Partnern ein komplettes Netzwerk für E-Lkw auf, das alles einbezieht – von der Fertigung über die Ladeinfrastruktur bis hin zum Lebenszyklus der Batterien.
Scania und MAN experimentieren in Europa
Auch in Europa gibt es Bemühungen, umweltfreundliche Antriebstechnik auf die Straßen zu bringen. So testet Scania zusammen mit Norwegens größtem Lebensmittelhändler Asko Brennstoffzellen-Lkws mit elektrischem Antriebsstrang, wobei der Wasserstoff der Brennstoffzelle aus erneuerbaren Energien stammt. MAN wiederum hat bereits im September 2018 am österreichischen Produktionsstandort Steyr die ersten elektrisch betriebenen Lkw vom Typ MAN eTGM an neun Mitgliedsunternehmen des österreichischen Council für nachhaltige Logistik (CNL) übergeben. Konkret handelt es sich dabei um vier Kühlfahrzeuge, einen Getränkelaster sowie drei Fahrzeuge für Wechselkoffer und eine Sattelzugmaschine. Die Elektro-Lkws bilden damit laut MAN die gängigsten Verteiler-Transportaufgaben in der urbanen Logistik ab.
Testfahrten auf dem Traton Innovation Day zeigten, dass die elektrisch betriebenen Lkw in Sachen Drehmoment und Fahrgeräusche keine Wünsche offen lassen. Showstopper beim eTGM ist aktuell aber noch – zumindest im Alltagsbetrieb – das hohe Zusatzgewicht durch die schweren Akkus, was zu einer Reichweite von nur 130 Kilometern führt.
Um weite Fahrstrecken überbrücken oder das Gewicht senken zu können, experimentieren die Marken eifrig mit verschiedenen Techniken. So testet Scania einen Oberleitungs-HybridLKW, der bei vorhandener Infrastruktur elektrisch fahren und den Akku für den „Offline“Betrieb laden kann. Interessant ist auch ein erdgasbetriebener Hybrid-Lkw, der etwa in Umweltzonen automatisch auf Elektroantrieb schaltet – gesteuert wird das Ganze über die Geofencing-Lösung Scania Zone.
Daneben bemüht sich die Traton-Gruppe, Energieeffizienz und Akkulaufzeit der Fahrzeuge zu erhöhen, um eine größere Reichweite zu erzielen. Außerdem wird versucht, mit SchnellladeTechnik die Standzeiten zu reduzieren. So genügen beispielsweise dem MAN-Transporter eTGE 45 Minuten für eine Schnellladung von null auf 80 Prozent Ladekapazität. Benötigt wird dazu allerdings eine Gleichstrom-Ladestation mit hoher Leistung. Die Software macht den Unterschied
Traton-CEO Renschler kündigte an: „Wir wollen auf die digitale Überholspur und wandeln uns immer stärker vom Hardware- zum Software- und Serviceanbieter.“Der Wandel zeige sich auch daran, dass heute bereits fast 2000 Softwareingenieure für die Marken arbeiteten – dies entspreche knapp 30 Prozent aller beschäftigten Ingenieure der Traton-Gruppe. Bei künftigen Projekten erfordere die Entwicklung mehr Zeit auf der Software- als auf der Hardwareseite, erklärte Scania-Chef Henrik Henriksson. Gleichzeitig hoffe man, auch die Vorteile von agiler Softwareentwicklung nutzen zu können, um die Entwicklungszeiten zu verringern, kürzere Produktzyklen zu erreichen und kontinuierliche Verbesserungsprozesse zu etablieren.
Traton komme zugute, dass Themen wie Elektromobilität sowie vernetztes und autonomes Fahren den Konzern als Arbeitgeber für Softwareentwickler interessant erscheinen ließen. „Früher hatten wir Schwierigkeiten, uns gegen Google, Apple und Co. zu behaupten, heute sind wir attraktiv für Spitzentalente“, behauptete Henriksson.
Neugier dürften auch so futuristische Konzeptfahrzeuge wie der im Sommer vorgestellte Scania NXT Concept sorgen. Der acht Meter lange, elektrisch betriebene Bus ist modular aufgebaut und lässt sich je nach Tageszeit zu einem Passagierbus, einem Fahrzeug für die Warenauslieferung oder – vermutlich nachts – sogar zu einem Müllauto umbauen. Das Fahrzeug soll autonom fahren und eine aus zylindrischen Zellen zusammengesetzte Batterie im Unterboden tragen. Als Reichweite stellt Scania 245 Kilometer in Aussicht.
400 Entwickler für autonomes Fahren
Bei Traton arbeiten rund 400 Entwickler an einer Plattform für autonomes Fahren, verriet Christian Levin, Forschungs- und Entwicklungsvorstand und Chief Operation Officer bei Traton. Man wolle Möglichkeiten prüfen, das Knowhow der Konzernmutter Volkswagen und ihrer Partner im Bereich autonomen Fahrens zu nutzen. Es gibt in der Traton-Konzerngruppe erste autonome Fahrzeuge im Teststadium und auch im realen Einsatz. So fährt bereits seit 2018 ein Scania-Lkw selbsttätig in einer von Rio Tinto betriebenen australischen Mine.
Im Rahmen des Innovation Day wurde außerdem das Scania-Konzept-Fahrzeug AXL ohne Fahrerhaus vorgestellt. Es handelt sich dabei um einen Kipplaster mit Verbrennungsmotor, der sich mit Hilfe von Kameras, GPS-Antennen sowie Radar- und Lidar-Sensoren orientiert. Damit nicht genug: Ende des Jahres soll ein elektrischer Scania-Bus autonom im Großraum Stockholm testweise Fahrgäste zwischen einer neuen Wohnsiedlung und einer nahe gelegenen U-Bahnstation befördern. Und in wenigen Monaten beginnt ein Praxistest von MAN mit dem Hamburger Hafen, bei dem Trucks abschnittsweise hochautomatisiert auf der Autobahn zum Hafengelände fahren. Dort steigt der Fahrer aus, der Lkw fährt autonom in das Container-Terminal Altenwerder, wird automatisch entladen und kehrt selbständig wieder zum Fahrer zurück.
Mehr als eine Million vernetzte Lkw bis 2025
Auch das Thema vernetzte Lkw will die VWTochter vorantreiben. Traton will so viele Daten wie möglich sammeln, um Rückschlüsse für die Verbesserung seiner Fahrzeuge sowie für neue Angebote und Geschäftsmodelle ziehen zu können. Insbesondere in Hinblick auf die bevorstehende Elektrifizierung der Flotte hat der Konzern Bedarf an Daten. Diese gehören zwar den Kunden, so das Unternehmen, sie würden aber gesammelt und ausgewertet, um Vorteile für alle zu generieren – beispielsweise für das Energie-Management oder die Optimierung der Software, um eine höhere Reichweite
der Elektro-Lkw zu erreichen. Die Kunden wiederum könnten ihre Kosten senken sowie ihre Fahrzeuge und Flotten effizienter steuern und besser auslasten, verspricht Traton. Sie profitierten von einer hohen Verfügbarkeit, geringeren Wartungskosten, niedrigerem Kraftstoffverbrauch und einer besseren Routenplanung. All das komme der Umwelt zugute. Außerdem erhofft sich die VW-Tochter mit zunehmender Vernetzung auch neue Geschäftsmodelle, etwa das Management von Over-the-Air-Updates oder Cybersecurity.
Viele Traton-Lkw sind voll vernetzt
Um hierfür die Voraussetzungen zu schaffen, ist seit Anfang 2019 fast jeder neu ausgelieferte schwere und mittelschwere Lkw von Scania und MAN entsprechend vernetzt. VWCO liefert seine Fahrzeuge seit Anfang September 2019 serienmäßig mit entsprechender Anbindung aus. Waren es Ende 2018 noch rund 450.000 Fahrzeuge, stieg die Zahl 2019 dank dieser Maßnahmen auf rund 600.000 und bis Ende 2025 sollen deutlich mehr als eine Million Fahrzeuge, die von Unternehmen der Traton-Gruppe produziert werden, vernetzt sein.
Eine andere Möglichkeit für Unternehmen, den Flottenverbrauch zu senken, ist die Telematik. Dieser Markt soll nach Schätzungen der Unternehmensberatung Deloitte von 2,3 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf fast zehn Milliarden Euro im Jahr 2026 wachsen. Es geht um eine bessere Auslastung der Lkw-Flotten. So fahren Lastkraftwagen in Europa derzeit im Durchschnitt nur mit einer Kapazitätsauslastung von 50 bis 60 Prozent. Gelingt es mit Hilfe intelligenter digitaler Lösungen, die Zahl der Leerfahrten zu senken oder die Auslastung zu verbessern, wird das den CO2-Ausstoß senken.
MANs RIO-Plattform wächst und gedeiht
Dass Digitalisierung auch in der Logistik einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, haben MAN und Scania schon relativ früh erkannt. Seit 2016 investierten die Unternehmen zweistellige Millionenbeträge in Softwarefirmen, beispielsweise die digitale Spedition Sennder. Außerdem gründete MAN 2016 mit RIO eine eigene Digitalmarke. Dort werden digitale Services für das gesamte Logistik-Ökosystem entwickelt und gebündelt. RIO vernetzt mittlerweile mehr als 115.000 Lkw über eine Cloud-basierte Plattform.
Richtete sich das Angebot bisher vor allem an Spediteure und Organisatoren kleiner Flotten, soll RIO nun ein neues Kundensegment erschließen. Wie Traton auf dem Innovation Day ankündigte, soll RIO künftig die Konzernlogistik der Volkswagen-Gruppe dabei unterstützen, ihre Prozesse zu digitalisieren. Ziel der Zusammenarbeit sind signifikante Einsparungen durch transparentere und effizientere Geschäftsabläufe.
Allein in Europa koordiniert die VolkswagenKonzernlogistik täglich rund 18.000 Lkw-Transporte im weit verzweigten Netz aus Lieferanten, Produktionsstätten, Absatzmärkten und Händlern. Um den immer weiter steigenden Material- und Warenfluss gemeinsam mit 13 Konzernmarken gewährleisten zu können, brauche es eine leistungsfähige und zukunftssichere IT-Lösung, erklärte Thomas Zernechel, Leiter der Volkswagen-Konzernlogistik: „Die Optimierung der Auslastung durch weitere Reduzierung von Leerfahrten und Standzeiten wird uns außerdem helfen, unsere Klimaschutzziele zu erreichen.“