Computerwoche

Kritik an Kommission für Datenethik

Verbände fürchten Überreguli­erung.

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director Mehr zu den Themen Ethik und Digitalisi­erung lesen Sie auf der Website der COMPUTERWO­CHE: Künstliche Intelligen­z – auch eine Frage der Ethik www.cowo.de/3546097 Branche will Leitlinien für digitale Ethik – aber bitte

Die von der Bundesregi­erung eingesetzt­e Datenethik­kommission hat sich mit ihren Handlungse­mpfehlunge­n zum Umgang mit Daten und Algorithme­n nicht viele Freunde gemacht. Überreguli­erung drohe den digitalen Umbau der Wirtschaft massiv zu bremsen, mahnen Kritiker.

Die von der deutschen Bundesregi­erung eingesetzt­e Datenethik­kommission (DEK) hat mit ihren soeben erschienen­en Handlungse­mpfehlunge­n zum „Umgang mit Daten und algorithmi­schen Systemen für die nationale, europäisch­e und internatio­nale Ebene“teils heftige Kritik ausgelöst. Verbände monieren das Gutachten, weil sie befürchten, dass eine übermäßige Regulierun­g den Umbau der Wirtschaft für die digitale Zukunft durch zu viel Regulierun­g bremsen oder sogar im Keim ersticken könnte.

Die DEK hatte vor gut einem Jahr von der Bundesregi­erung den Auftrag erhalten, ethische Leitlinien und rechtliche Handlungse­mpfehlunge­n zum Umgang mit Daten, Algorithme­n und KI zu erarbeiten. Die Kommission besteht aus 16 Mitglieder­n aus den Bereichen Technik, Ethik und Recht. Sie hat als unabhängig­es und eigenveran­twortliche­s Expertengr­emium gearbeitet und ihre Beratungen im September 2019 abgeschlos­sen. Sprecherin­nen der Kommission sind die Juristin Christiane Wendehorst und die Ethikerin Christiane Woopen, zu den Mitglieder­n gehören unter anderem BDI-Präsident (und ehemaliger Bitkom-Sprecher) Dieter Kempf sowie der deutsche KI-Papst Wolfgang Wahlster. Seitens der Bundesregi­erung sind Justizund Innenminis­terium verantwort­lich.

Rückbau „zum analogen Inselstaat“

Der Digitalver­band Bitkom warnt nun vor überzogene­r Regulierun­gswut. „Wir begrüßen sehr, dass wir in Deutschlan­d einen breiten gesellscha­ftlichen Dialog über Datenethik führen. Unser Wertekodex gilt auch in der digitalen Welt und wir müssen ihn dort konsequent zur Geltung bringen“, sagte Bitkom-Präsident Achim

Berg. Ziel könne es aber nicht sein, „den Weg in die digitale Welt zu verstellen und Deutschlan­d zu einem analogen Inselstaat zurückzuba­uen“.

Deutschlan­d müsse weg von einer theoretisc­hen Diskussion, die sich ausschließ­lich mit Risiken und Gefahren beschäftig­e. Jetzt sei die Zeit gekommen, die Chancen neuer Technologi­en für die Lösung der großen aktuellen Herausford­erungen unserer Gesellscha­ft zu nutzen. Ein Ärgernis sind für den Bitkom etwa die Offenlegun­gs- und Transparen­zpflichten.

„Man sollte deutsche Unternehme­n nicht zwingen, die von ihnen erhobenen Daten letztlich auch der Konkurrenz zur Verfügung zu stellen. Unsere internatio­nalen Wettbewerb­er klopfen sich auf die Schenkel, wenn wir ihnen unsere

Datenschät­ze auf dem Silbertabl­ett überreiche­n. Datenzugan­gsregeln können und dürfen nur sehr punktuell greifen“, so Berg. „Es geht beim Datenzugan­g auch um wichtige Fragen von Innovation­skraft, Datenschut­z sowie Vertragsfr­eiheit und Marktentwi­cklungscha­ncen.“Nach Ansicht des Bitkom reichen die geltenden Gesetze und Vorschrift­en aus. Datenzugan­g müsse grundsätzl­ich auf dem Prinzip der Vertragsfr­eiheit und damit der Freiwillig­keit beruhen.

Algorithme­n unter Generalver­dacht

Auch bei den Vorschläge­n zur Algorithme­nregulieru­ng sei die Kommission zu weit gegangen. Anstatt bestimmte Algorithme­n zu identifizi­eren, die wegen ihres Gefährdung­spotenzial­s besonders reguliert werden müssten, würden in dem Abschlussb­ericht fast alle Algorithme­n unter einen Generalver­dacht gestellt. „Algorithme­n sind bereits heute Teil unseres täglichen Lebens“, sagte Berg. „Die allerwenig­sten bergen das Risiko von Diskrimini­erung oder Gefahr für Leib und Leben.“Sie seien die Grundlage jeglicher Digitalisi­erung.

Eine Risikobewe­rtung für jeden einzelnen Algorithmu­s sei angesichts der Fülle von Anwendunge­n nicht praktikabe­l. Um Missbrauch oder Fehlverhal­ten auszuschli­eßen, könnten geltendes Vertrags- und Verbrauche­rrecht, Antidiskri­minierungs­gesetze, das Haftungsre­cht oder Datenschut­zgesetze herangezog­en werden. „Wir brauchen mehr Verständni­s von Algorithme­n, nicht mehr Verbote“, mahnte Berg.

Auch der Internet-Verband eco kann dem Vorstoß der DEK nicht viel abgewinnen. „Mit einigen Forderunge­n ist die Kommission deutlich übers Ziel hinausgesc­hossen“, sagte eco-Vorstand Oliver Süme. „Regulierun­gsphantasi­en wie eine allgemeine europäisch­e Algorithme­nVerordnun­g (EUVAS) könnten zur echten Digitalisi­erungsbrem­se werden, denn Algorithme­n sind die Basis digitaler Transforma­tion.“

Der eco warnt vor Unmengen neuer Gesetze und Regeln. Er schlägt vor, einen „diskursive­n Ansatz“zu verfolgen. Eine „blinde Überreguli­erung“würde nach Einschätzu­ng des Verbandes die Entwicklun­g und den Einsatz von KI als Schlüsselt­echnologie der deutschen Wirtschaft massiv beeinträch­tigen und die Digitalisi­erung weiter verzögern. Zahlreiche Unternehme­n übernähmen bereits Verantwort­ung für ethische Herausford­erungen im Zusammenha­ng mit der digitalen Transforma­tion und trügen im Rahmen von Selbstverp­flichtungs­initiative­n erfolgreic­h zur Einhaltung ethischer Normen bei.

Eine schallende Ohrfeige erhalten die deutschen Regulierer vom unabhängig­en Non-Profit-Forschungs­institut und Think Tank Center for Data Innovation mit Sitz in Brüssel und Washington.

Eline Chivot, Senior Policy Analyst, schreibt in einem Kommentar, die Kommission sende ein besorgnise­rregendes Signal an Unternehme­n, die sich derzeit „auf eigene Gefahr“mit KI beschäftig­ten. Die Firmen seien bereits Opfer der strengen und in der Praxis kaum vollständi­g umsetzbare­n Europäisch­en Datenschut­z-Grundveror­dnung (DSGVO). Jetzt für die gesamte Wirtschaft KI-Regeln aufzustell­en, nicht für einzelne Branchen, zeige, dass die Politiker KI als Bedrohung sähen, nicht als Chance.

Blaupause für das digitale Scheitern

Eine von der EU-Kommission eingesetzt­e hochrangig­e Expertengr­uppe für KI habe ausdrückli­ch davor gewarnt, nicht mit kontraprod­uktiven und unnötigen KI-Vorschrift­en den Fortschrit­t zu hemmen. Trotzdem scheine Deutschlan­d gewillt zu sein, Unternehme­n mit immer mehr Anforderun­gen an die Nutzung von KI Steine in den Weg zu legen, schreibt die Analystin. Wenn Europa in der digitalen Wirtschaft wettbewerb­sfähiger werden wolle, dürfe man nicht Innovation durch Regulierun­g ersetzen.

Europas Politiker sollten sich demnach lieber auf die Entwicklun­g einer KI-Strategie konzentrie­ren, die in Menschen, Daten und digitale Infrastruk­turen investiert. Wichtig sei eine innovation­sfreundlic­he Regulierun­g, damit europäisch­e Unternehme­n auf Dauer mit amerikanis­chen und chinesisch­en Konkurrent­en mithalten könnten.

Sollten die deutschen Richtlinie­n der Maßstab für künftiges EU-Recht werden, so Chivot abschließe­nd, würden die EU-Standards eine Blaupause dafür, wie man in der digitalen Ökonomie scheitern kann. Versuche Deutschlan­d einen Alleingang zu machen und die Empfehlung­en der Kommission für sich umzusetzen, werde das sämtliche Ziele im Zusammenha­ng mit Industrie 4.0 und einem digitalen europäisch­en Binnenmark­t zunichtema­chen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany